Im Zeichen des Boing-Balls

Amiga-Messe in Köln

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Herbst in Köln: das heißt traditionell Nebel, Karneval-Sessionsauftakt - und es heißt Amiga-Messe. An diesem Wochenende versammelten sich die Fans des einst revolutionären Computers im Kölner Media-Park. Obwohl der Computer schon dutzendfach für Tod erklärt wurde, lockte die Messe noch über Tausend Fans an.

An der Comdex kann sich die Amiga 2001 wahrhaft nicht messen. Statt 2000 Ausstellern sind nur 40, statt mehreren Messehallen nur 400 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Aber immerhin: die Messe existiert noch. Und mit ihr existiert auch noch der Amiga.

Früher fand die Messe noch in den Kölner Messehallen statt. Zigtausende Amiga-Fans schoben sich durch sechs Meter breite Gänge, die großen Spielehersteller präsentierten ihre neusten Hits.

Der Revolutionär

Damals war der Amiga noch ein Massencomputer. Das revolutionäre Chipset machte Multimedia für zu Hause bezahlbar, als PCs noch mit hässlichen Monochrom-Monitoren waren. Der Newcomer entwickelte sich trotz des katastrophalen Managements von Mutterfirma Commodore prächtig. Auf den Amiga 1000 folgten Amiga 500, Amiga 500+, Amiga 600, Amiga 2000, Amiga 3000, Amiga 4000, Amiga 1200 und CDTV (siehe Big Book of Amiga Hardware). Es gab sogar eine Amiga-Spielekonsole, der CD32. Dann das vorläufige Ende: 1994 meldete Commodore Konkurs an.

Zirka alle zwei Jahre wechselte Amiga den Besitzer. Zuerst der Konzern Escom, der einige Amigas nachbauen ließ und dann Konkurs ging, weil er schlichtweg zu viele Firmen übernommen hatte. Dann tauchte wie ein Messias Gateway-Manager Jim Collas auf, der die Vision eines völlig neuen Amigas präsentierte, des AmigaNG. Doch der Mutter-Konzern drehte den Geldhahn zu. Schließlich - es war zur Amiga-Messe 1999 - kam die Nachricht, dass ein Ex-Angestellter Gateway die Rechte an Amiga abgekauft hatte und wieder eine eigenständige Firma namens Amiga Inc. gründete. Deren Zukunftsmodell hat nun kaum mehr etwas mit dem Original-Amiga zu tun, außer der bisweilen halbherzigen Unterstützung des Classic Amiga. Ein neues Betriebssystem soll es sein, das selbständig laufen kann oder eben eigenständig - schlank, schnell, skalierbar. Doch so richtig viel hat das Konzept mit Amiga nicht zu tun. Das erste greifbare Produkt sind ein paar Spiele, die auf einem Handheld der Firma Sharp laufen.

Am Wochenende drängten sich Amiga-Fans durch die Messe - auch wenn die Gänge bedeutend enger waren. Viele trugen den Boing-Ball - Markenzeichen des Amigas, auf Hemden, Mützen oder als Anstecknadel am Revers.

Von dem Sharp-PDA ist auf der Messe nichts zu sehen, ebenso wenig wie von der Firma Amiga. Die Amiganer lassen sich davon die Laune nicht verderben. Mittlerweile hat sich ein gewisser Gleichmut gegenüber dem entwickelt, was von Amiga Inc. kommt. So glaubt fast niemand mehr, dass die angekündigte neue Hardware AmigaOne in nächster Zeit erscheinen wird. Stattdessen macht man sein eigenes Ding. Dritthersteller rüsten die klassischen Amigas auf. So ist auf der Messe zum ersten Mal ein USB-Controller für die betagten Computer zu besichtigen, kostengünstige PCI-Karten passen jetzt auch in Amiga-Gehäuse, bald sollen auch G3- und G4-Prozessoren den Oldtimern neuen Schub geben.

Entwickler Michael Böhmer sagt: "Wenn ich etwas brauche und es macht kein anderer, mache ich es halt selber". Und wenn er die Lösung entwickelt hat, dann gibt er die Platine in die Serien-Produktion. Das heißt im Amiga-Bereich 100er-Serien, dennoch werden sie produziert. Jens Schoenfeld ist einer der erfolgreichsten Entwickler. Seine Karten erreichen manchmal sogar die magische Grenze von Tausend Exemplaren - so viel, dass er davon hauptberuflich leben kann. Er wagt sich bisweilen auch in noch kleinere Nischenmärkte vor. So hat er eine die Retro Replay 2001 entwickelt, eine Karte für den 20 Jahre alten C64. Immerhin 300 Stück will er davon verkaufen.

Emulation ist auch ein Schwerpunkt der Messe. So sorgt Haage und Partner mit seinem Paket AmigaOS XL für Furore. Eigentlich ist es für hartgesottene Amiga-Freaks eine bittere Pille, die sie schlucken müssen. Ihr geliebtes AmigaOS läuft auf einem PC schneller als auf der Originalhardware - und das, nachdem der Amiga jahrelang in Punkto Rechenleistung die Nase vorn hatte. Mit dem Paket AmigaForever von Cloanto und dem Programm WinUAE läuft die Amiga-Software sogar unter Erzfeind Windows. Eine letzte nostalgische Erinnerung an den Amiga auf der Festplatte neben Windows? Nein, für echte Fans kann es das nicht sein.

Ein neuer Anfang?

Dritthersteller haben den Amiga über die Jahre am Leben gehalten, auf der Messe präsentieren sie ihre Konzepte für die Zukunft. Die Entwicklung der Version 4.0 des klassischen AmigaOS hat Amiga Inc. der Firma Hyperion übergeben, die bisher auf Spieleportierungen vom PC spezialisiert war. Das neue Betriebssystem soll auf schnellen PPC-Rechnern laufen. Die Firma bplan wartet mit einem solchen Rechner auf, hat aber sein eigenes System, AmigaOS zu starten. Ab nächstem Jahr soll das Pegasos-System für 1000 Euro zu kaufen sein.

Verspätungen sind Amiganer gewohnt. "Im nächsten Quartal" heißt für gewöhnlich "in einem Jahr", und "im nächsten Jahr" heißt für gewöhnlich "niemals". Trotzdem haben die Amiganer ihre Zuversicht nicht verloren. Man liest zwischen den Zeilen und richtet sich darauf ein. Trotzdem hat bplan neue Hoffnungen geweckt. Um den Stand der Firma drängen sich über beide Tage die Besucher, jeder will das neue Board ansehen. Misstrauisch äugt man auf den Monitor, wenn ein Programm vorgeführt wird. Doch die Vorführung überzeugt, letztlich sind alle Besucher und auch die Aussteller von dem Konzept begeistert. Ein neuer Anfang in einer Zeit, wo die alten Rechner an Altersschwäche leiden und Ersatzteile kaum noch zu bekommen sind.

Wie groß ist die Amiga-Gemeinde noch? Keiner weiß es. Es gibt Amiganer in USA, in Australien und in Polen. Man hört von Amigas bei indischen Fernsehsendern und von Amiga-Messen in Australien. Der Amiga-Club-Guide verzeichnet 37 Amiga-Clubs mit 880 Mitgliedern allein in Deutschland. Seit der Messe ist es offiziell einer mehr: am Rande der Veranstaltung wurde der Amiga-Club Deutschland gegründet. "Gerade bei Fahrten durch unklare Gewässer braucht man doch ein großes Boot", erklärt der erste Vorstand Rüdiger Engel.