Pop goes Krieg

Statt Rebellion nur Konformismus in der Pop- und Rockkultur

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"Dass sich Wolfgang Niedecken von BAP etwa zeitgleich mit Joseph Fischer für die Nato-Einsätze in Jugoslawien aussprach, zeigt, dass diese Band (und mit ihr jene engagierte, friedensbewegte Rockkultur, für die sie einmal stand) dieselbe Entwicklung genommen hat, die die Grünen als Partei nahmen," schreibt Martin Büsser in seinem Buch: Wie klingt die neue Mitte? Rock- und Popmusik habe nun durchweg die "Aura in Sachen Rebellion und gesellschaftliche Bedrohung verloren", es sei fast "ein subversiver Akt", wenn die Jugend Gustav Mahler statt Prodigy höre.

Um es vorweg zu nehmen: Der Autor, Jahrgang 1968, hat ein Manifest vorgelegt darüber, dass die (Neue) Mitte den siamesischen Zwillingen der Rock- und Popmusik nahezu alle Zähne gezogen hat. Die CDU modernisierte sich auf der letzten Popkomm. (vgl. Herz für Nationalpop) und die heutigen Regierungsparteien trieben es zuvor schon wild und bunt mittels Anbiedern am Sound. Dass 1998 die Love Parade durch das Brandenburger Tor in Berlin tanzte, wertet Büsser als "symbolisch perfiden Höhepunkt", den die etablierte Politik als positives Deutschlandbild propagierte, womit es sich gut vom prügelnden und brandmordenden Neo-Nazi ablenken ließ.

Für Büsser wurde "mithilfe von Pop Konformismus" erzeugt, "der sich zugleich als das Gegenteil zu verkaufen weiß". Das mache "Pop auch für Unternehmen und Parteien attraktiv." Immerhin, zitiert er Florian Koerner von Gustorf, Musiker der Band Mutter, sei es doch erschreckend, "dass Bill Clinton den smarten Pop-Präsidenten verkörpert hat und gerade dadurch davon hat ablenken können, dass unter ihm die Todesstrafe genauso selbstverständlich praktiziert wurde" wie bei allen anderen US-Präsidenten zuvor.

Martin Büsser, bekannt für seine theoretischen Abhandlungen über die Popkultur in Zeitschriften wie Intro, Konkret oder in der von ihm herausgegebenen Buchreihe testcard hat ein interessantes Buch vorgelegt. Anhand der Zeitreise von den Rolling Stones bis hin zu den Videoclip-Abspulstationen MTV oder Viva hat er die Verflachung des Pops dargestellt. Die Neue Deutsche Härte von Rammstein ist für ihn denn auch nur noch ein "Cartoon aus Gesten von Männlichkeit, Kraft und Stärke." Das "Faschistische" an jener Unterhaltungskultur indes sei "nicht so sehr das Spiel mit Feuer und das rollende 'R'", sondern dass Rammstein dem kritischen Betrachter "die Nähe zum neoliberalen Überlebenskampf und Sozialdarwinismus vor Augen führen kann" - die Band-Ästhetik stehen für "Sieg und Überlegenheit".

So weit musste es indes erst kommen. Um das zu skizzieren, begibt sich Büsser zudem in die subkulturellen Tiefen zweier spezieller Szenen, die zum Teil von der Rechten unterwandert wurden oder deren Mitglieder über diesen Umweg zur Neuen Rechten respektive den Stiefelnazis stießen. Zu den Gothics und deren Randerscheinung des Apokalyptic Folk stellt Büsser fest, dass die Vorliebe jener Szene fürs Esoterische Raum für die "antisemitischen Verschwörungstheorien eines Lars van Helsing (gemeint ist Jan van Helsing; mk)" bot, die "wie ein Krimi konsumiert (wurden), ohne dass die antisemitische Propaganda darin überhaupt wahrgenommen wurde."

Ideologisch weich geklopft im Hirn bot sich die Szene geradezu an für Bands wie Death in June oder Josef Maria Klumb alias Jay Kay], der ab Mitte der 1990er Jahre jener Szene selbst van Helsings Verschwörungstheorien predigte und fast als Sänger der Band Weissglut via Sony Music zum Mainstream geadelt worden wäre. Erst nach harscher Kritik in der Öffentlichkeit jagten Band und Plattenlabel Klumb zum Teufel. Noch propagiert die rechtsextreme Szene also ihre Identität durch Musik nicht wie eigentlich gewünscht aus der gesellschaftlichen Mitte heraus.

Die zweite Subkultur, anhand der Büsser die Verflachung einer früher anarchischen Szene darstellt, ist die "unpolitische" Streetpunkszene, das "musikalische Äquivalent zu Gartenzwergen und Häkeldeckchen" für die Skinheads. Die Entstehung der - damals nicht rassistischen! - Skinheads geht auf das Jahr 1969 zurück, um 1980 erlebte die siechende Szene eine enorme Wiederbelebung. Ex-Punks wurden zu Glatzköpfen, teils aus Protest gegen das rebellische und anarchische Gehabe der Punks. Die Skins hatten von der Politisierung die Schnauze voll, entdeckten wieder die Werte der Eltern und der Stammtische, hörten Oi!-Musik - und gelobten fortan einer "unpolitischen" Haltung.

Eben jene "Unpolitik" ist für Büsser der eigentliche "Virus", der auch den Mainstream infizierte. Der Weg ins - vermeintlich! - "unpolitische" öffnete ergo der Politik der Mitte - "und die ist tendenziell rechts" (Büsser) - Tür und Tor, um die Pop- und Rockmusik zu benutzen. Und das nicht nur bei den Subkulturen, sondern erst recht via Ballermann-Pop und DJ Ötzi "als Lehrer, die sich das verbliebene Proletariat nicht zur Förderung, sondern Verkrustung der Sprache selbst ausgesucht hat." Wer dies "kritisiert, macht sich aus gutem Grund bildungsbürgerlicher Überheblichkeit verdächtig."

Nun möchte ich nicht in einen anderen falschen Verdacht geraten, aber Martin Büssers Abhandlung deckt eine Schwäche des Autors auf, indem er völlig unpädagogisch Fachwissen als Allgemeinbildung voraussetzt. Leuchtet es noch ein, wer mit "Joseph Fischer" gemeint ist, wird es heikel, wenn Büsser etwa die APPD zitiert, ohne zu konkretisieren, was das war, nämlich eine Punksatire auf die etablierte Politik, die "Anarchistische Pogo Partei Deutschlands". Ärgerlich auch, dass Ole Seelenmeyers Aussage vom "Genozid an der deutschen Rockmusik" wegen der "Flut an (...) ausländischem Schund" zitiert wird. Büsser versäumt es, Seelenmeyers exponierte Stellung als Chef des Deutschen Rock- und Popmusiker-Verbandes zu benennen.

Martin Büsser: Wie klingt die neue Mitte? Rechte und reaktionäre Tendenzen in der Popmusik. Ventil Verlag; Mainz 2001, 142 S., 11,90