Abgespeckt

Parasiten mit einem minimalistischen Genom verraten einige ihrer Geheimnisse und stellen die Frage, wie man die Komplexität eines Organismus definieren könnte

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Parasiten haben mit ihrem Wettrüsten mit den Wirten, die sie auszubeuten versuchen, die Evolution des Lebens entscheidend beeinflusst. Sie treten bereits früh in der Geschichte des Lebens auf, wahrscheinlich haben sie auch durch Endosymbiose dazu beigetragen, dass bereits Einzeller komplexer wurden. Nicht zuletzt zur Abwehr der Parasiten wurde vermutlich auch die Sexualität, also die Rekombination des Genoms, erfunden. Auch bei Simulationen im Rahmen des Künstlichen Lebens treten schnell Parasiten auf, die davon profitieren, dass sie ihre Bauanleitung, also ihre Gene, abspecken können. Wie weit das genetische Abspecken bei Parasiten gehen kann, haben Wissenschaftler nun durch Sequenzierung des Genoms einer Mikrosporidien-Art erkennen können, wie sie in der neuesten Ausgabe von Nature berichten.

Lebenszyklus der Mikrosporidien, Alle Bilder: Centers for Disease Control & Prevention (CDC)

Mikrosporidien sind einzellige Parasiten, die im Unterreich der Protozoa einen eigenen Stamm bilden. Ihre gesamte Entwicklung verläuft innerhalb der Wirtszellen. Die Vermehrung geschieht über Sporen mit einer harten, unter anderem aus Chitin bestehenden Hülle, die auch außerhalb der Wirtszellen und - organismen überleben kann. Besonders gemein scheint die Infektionsweise dieser Sporen zu sein. Sie enthalten neben Zellorganellen eine Art Harpune, die mit einem Faden verbunden ist, der wiederum an einem Ende der Spore befestigt ist. Dieses sogenannte Polfilament wird, treffen die Sporen der Mikrosporidien auf eine Zelle, ausgeschleudert. Die Wand der Wirtszelle wird durchbohrt, so dass diese infiziert werden kann, indem durch die hohlen Fäden der Inhalt der Spore in die Wirtszelle gelangt.

Die zu den Mikrosporidien gehörende Protozoe Encephalitozoon cuniculi findet sich überall auf der Welt. Der einzellige Parasit nistet sich bei vielen Säugetieren, gelegentlich auch bei Menschen, in Zellen der Darmwand ein. Über das Blut befällt er auch andere Organe. Bei Menschen kann das Nervensystem, der Darm oder die Atmungswege betroffen sein.Die Sporen werden mit Urin und Kot ausgeschieden.

Obwohl Parasiten, so Patrick Keeling in einem Begleittext, der ebenfalls in Nature erschienen ist, "wahrscheinlich die am meisten verbreitete und vielfältigste Lebensform" darstellen, ist über ihre Herkunft und ihre Entwicklung noch relativ wenig bekannt. Auch Michael Katinka und seine Kollegen von der Universität Lyon und der Universität Blaise Pascal, die nun erstmals mit Encephalitozoon cuniculi das Genom eines eukaryotischen Parasiten sequenziert haben, hoffen damit den Startpunkt für eine vergleichende Erforschung intrazellulärer Parasiten gelegt zu haben.

Spore, die gerade mit dem Polfilament in eine Zelle eindringt

Schon beim ersten Blick fällt auf, wie erstaunlich klein das Genom des Parasiten mit gerade einmal 2,9 Millionen Basenpaaren, verteilt auf 11 lineare Chromosomen, ist. Das ist weniger als 0,1 Prozent des Genoms des Menschen und auch weniger als das vieler Bakterien. Die Gene sind kleiner als üblich und überdies dichter angeordnet, es fehlt weitgehend die sogenannte "junk"-DNA. Bemerkenswert ist, dass E. cuniculi beispielsweise keine DNA-haltigen Organellen enthält, also auch keine Mitochondrien, die ansonsten bei eukaryotischen Zellen für die Energie sorgen.

Das Fehlen der Mitochondrien ist deswegen interessant, weil diese wie auch andere Zellbestandteile vermutlich im Laufe der Evolution entweder als Parasiten in eukaryotische Organismen eingedrungen sind oder von diesen aufgenommen wurden und seitdem in Form einer Endosymbiose in den Wirtszellen leben. Der Verlust der Zellwand bei den Eukaryoten, die ein intrazelluläres Cytoskelett sowie von einer Kernhülle umschlossene Chromosomen besitzen, könnte das Eindringen oder die Aufnahme von Parasiten-Zellen erleichtert haben. Bei Prokaryoten sind hingegen Symbiosen durch Aufnahme von DNA-Molekülen (Plasmiden oder Phagen) möglich. Mitochondrien stammen vermutlich von Cyanobakterien ab.

Aufgrund des Fehlens der Mitochondrien in E. cuniculi wurde von manchen vernutet, dass diese von einer eukaryotischen Linie abstammen könnten, die sich gebildet hatte, bevor die Mitochondrien als Endosymbionten aufgenommen wurden. Man hatte aber nicht nur in Mikrosporidia Gene gefunden, die von Mitochondrien abstammen. sondern die Sequenzierung des Genoms stieß jetzt auch auf Gene, die belegen, dass sie zu den Pilzen gehören. Anstatt also sehr frühe Formen von Eukaryoten zu sein, sind die Parasiten späte Produkte der Evolution, deren geringe Komplexität eine Anpassung an ihre Umwelt darstellt. Zur Energiegewinnung haben die Mikrosoridia hingegen ein einzigartiges System durch eine Kombination von Reaktionen entwickelt, die von Mitochondrien sowie von Organismen verwendet werden, die keine Mitochondrien besitzen.

Eine eukaryotische Zelle bricht auf und gibt die Sporen einer Mikrosporidien-Art frei

Die Menge der Gene für metabolische Enzyme, wie sie von Mitochondrien gebildet werden, könnte aber auch dafür sprechen, so Patrick Keeling, dass die Mitochondiren in den Mikrosporidien bloß noch nicht entdeckt wurden. Das sequenzierte Genom könne hier keine endgültige Antwort liefern.

Parasiten wie die Mikrosporidien unterminieren auf ihre Weise eine vermutlich verbreitete Ansicht über die Evolution des Lebens. Nach dem Bild des Fortschritts denkt man sich gerne auch die Evolution als eine Entwicklung, die zu immer besseren und damit komplexeren Organismen führt und dabei auf den Höhepunkt der Komplexität, den Menschen, gesteuert ist. Die Entwicklung von immer komplexeren Organismen ist zwar unbestreitbar, betrifft aber nur einen winzigen Ausschnitt aller Organismen, da der Großteil des Lebens wie eh und je aus Mikroorganismen besteht, die seit Milliarden von Jahren gut angepasst auch an extremen Bedingungen überall auf der Erde und bis tief in die Erdoberfläche hinein leben. Überdies verläuft die Entwicklung eben auch umgekehrt, also von komplexeren Lebewesen zu einfacheren, wenn man beispielsweise wie bei Parasiten die Größe des Genoms und die Zahl der Gene als Maßstab für Komplexität nimmt.

Auf der anderen Seite ist die Abnahme der genetischen Komplexität oder auch die Vereinfachung des Körpers durch das Abspecken von Organen bei den Parasiten, die im Inneren des Körpers ihrer Wirte leben, vielleicht auch gar nicht wirklich ein Rückgang der Komplexität, weil oft andere Organe wie die oben beschriebene Harpune mit komplizierten Mechanismen oder raffinierte Lebenszyklen entstehen. Manche Parasiten wandern in unterschiedlichen Formen nacheinander zu verschiedenen Wirten, passen sich also sehr unterschiedlichen Umwelten an. Vielleicht es auch nicht richtig, die Parasiten getrennt von ihren Wirten in Bezug auf Komplexität zu betrachten, sondern müssten die von vielen unterschiedlichen Symbionten und Parasiten besiedelte Wirte, die wie eukaryotische Zellen selbst symbiontische Gebilde sind, als Ganzes betrachtet werden. Die Trennung zwischen Wirten, gutartigen Symbionten und bösartigen Parasiten könnte als relativ willkürlich sein. Aber selbst unter einer solchen Perspektive könnte man wohl kaum von einem allgemeinen Trend des Lebens zur Komplexität sprechen.