Scharfe Kritik an der geplanten Neufassung des Jugendschutzes

Online-Anbieter und Parlamentarier lehnen zentrale Punkte der im Raume stehenden Regelungen ab

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Die von Telepolis veröffentlichten Pläne zum Jugendschutz in den elektronischen Medien (Operation Jugendschutz) stoßen auf heftigen Widerstand bei Wirtschaftsverbänden, Selbstkontroll-Gremien und Bundestagsabgeordneten. Die Länder, die in Zukunft beim Jugendmedienschutz das Sagen haben sollen, sehen sich angesichts ihres praxisfremden Vorstoßens mit dem Vorwurf der Bigotterie konfrontiert.

Während die Medienwirtschaft prinzipiell begrüßt, dass einheitliche Zuständigkeiten geschaffen werden sollen, geht sie gleichzeitig mit den Einzelheiten der geplanten Neuregelung des Jugendschutzes scharf ins Gericht. "Schon die Prämisse ist falsch, dass die für den Rundfunk geltenden Prinzipien auf den Online-Bereich übertragen werden sollen", erklärte Sabine Köster-Hartung, Rechtsexpertin des Deutschen Multimedia Verbands (dmmv) gegenüber Telepolis.

Die Anbieter fürchten vor allem Eingriffe in die Selbstkontrolle und einen zu engen Regulierungsrahmen, der Geschäfte mit innovativen Mediendiensten erstickt. "Das Internet ist ein "viel freiheitlicheres und grenzüberschreitenderes Medium" als die meist regional begrenzten Sender, sagt Arthur Waldenberger, Vorstand der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM). Die unterschiedlichen Medien dürften nicht über einen Kamm geschert werden.

Grundsätzlich als "Gratwanderung" sieht Torsten Grothe vom Branchenverband der Privatsender (VPRT den Jugendmedienschutz. Gegen eine unabhängige Kontrolle der Selbstkontrolleure sei natürlich nichts einzuwenden. Bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Film (FSF) hat der Praktiker allerdings die Erfahrung gemacht, dass selbst für das deutsche Publikum von den Sendern zurecht geschnittene Streifen zu 30 Prozent von staatlichen Stellen kassiert werden. "Das ist schon ein großer Ballast", stöhnt Grothe.

Problematisch sei die Entscheidung über "richtig" und "falsch" über Medieninhalte immer. Vor allem Pornographie sei ein sensibles Thema, da es dort immer Verständnis-Verschiebungen gebe. "Heute sind nackte Busen im Vergleich zu den Sechzigern jedenfalls nicht mehr strafbar", so Grothe. Was heute als jugendgefährdend festgeschrieben würde, könnte damit schon bald anders beurteilt werden.

Vorzensur schwachsinnig

Als Vorzensur abgelehnt wird von der Wirtschaft auch die vorgeschlagene Einführung eines "positiven Ratings für unbedenkliche Angebote". Dem nach zähen Verhandlungen erstellten Eckpunktepapier ist zu entnehmen, dass vor allem auf Internet-Anbieter deutlich verschärfte Auflagen zukommen. Doch "wir können nicht alle Inhalte im Netz überprüfen", klagt Waldenberger. Das sei angesichts Milliarden von Seiten "Schwachsinn".

Auch dass die Selbstkontrolle einerseits gestärkt, anderseits aber einer strengen staatlichen Zertifizierung durch die von den Ländern geplante Kommission für den Jugendmedienschutz (KJM) unterliegen soll, sei nicht hinnehmbar. Eine solche "Fremdkontrolle der Selbstkontrolle" untergrabe deren Prinzip und unterlaufe auch die Arbeit von Gremien wie dem Presse- oder Werberat.

Kein Verständnis haben dmmv und FSM für die von den Länderfürsten ernsthaft ins Spiel gebrachte "Sendezeitbegrenzung" fürs Internet. "Sendungen im eigentlichen Sinne des Wortes finden online praktisch nicht statt", gibt Waldenberger zu Bedenken. Das Netz sei nach wie vor ein stark Text- und Bild-basiertes Medium, in dem Live-Übertragungen in Fernseh-naher Qualität einen "verschwindend geringen Anteil ausmachen." Auch technisch gesehen seien die von den Ländern zusätzlich ins Spiel gebrachten "Vorsperren" für Inhalte, die Heranwachsende in ihrer Entwicklung beeinträchtigen könnten, deutlich einfacher zu realisieren als das Festzurren von "Sendezeitzonen" für das globale Internet.

Technik zum Zeitcheck kein Allheilmittel

Carlos Hofmann, der von der Aufsichtsbehörde jugendschutz.net als "Kronzeuge" für die Machbarkeit der Zeitzonen-Regelung angeführt wird, hat den Java-Skriptmechanismus inzwischen testweise auf seinem Newsgroups-Portal wieder eingeschaltet. Außer Betrieb genommen habe er ihn "aufgrund der angespannten Lage auf dem Werbemarkt, um von den Porno-Fans mittels Adult-IDs einen Umkostenbeitrag zu erhalten". Eine weitere Überlegung beim Abstellen war, die "Leitungen und Rechner zu entlasten zugunsten von User die sich besser vermarkten lassen."

Zugleich verwies der Entwickler allerdings gegenüber Telepolis darauf, dass seine Technik kein Allheilmittel sein könne. "Wenn sich jemand Dinge beschaffen will und weiß, wo sie sind, dann wird der deutsche Gesetzgeber es kaum schaffen, dieses zu unterbinden." Über Tarifauskünfte wie 01051 könne jeder für 13 Pfennige pro Minute in die USA telefonieren und sich dann über www.anonymizer.com eine Dial-In-Flatrate für 20 Dollar mieten. Die Übertragung auf der Telefonleitung erfolge sogar über eine brauchbare Verschlüsselung wie bei einer Bank. "Außerdem gibt es da noch die neuen Peer-to-Peer-Systeme wie Freenet. Da kann der Gesetzgeber ins Gesetz reinschreiben, was er will", weiß Hofmann. Nutzen würde es nur, wenn gleichzeitig eine flächdeckende Videoüberwachungen in den Wohnungen eingeführt würde.

Die Frage beim Jugendschutz und bei der Bekämpfung unerwünschter Inhalte lautet Hofmann also nicht "Wie verhindere ich den Zugriff", sondern "Wie sorge ich dafür, dass Kinder und Jugendlich nicht auf solches Material aufmerksam werden". Für Erwachsene und "verbotene" Schriften gelte Vergleichbares. Der Gesetzgeber habe bei seinen Regelungen aber noch viel zu sehr den klassischen Handel im Kopf.

Jugendschutz in Deutschland bereits klostertauglich

Im Kampf gegen die diskutierten Auflagen kann sich die Wirtschaft auch auf Unterstützung aus dem Bundestag berufen: Netzpolitiker lehnen wesentliche Punkte der Absprachen rundweg ab. Der Jugendmedienschutz sei in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern bereits "klostertauglich", sagt der medienpolitische Sprecher der FDP, Hans-Joachim Otto. Man mache es sich zu einfach, würde man sich nach Landfrauenmanier bigott über den von Millionen Deutschen konsumierten "Schmutz" ereifern.

Die Anbieter von Erotik im Web seien die einzige Online-Branche, die schwarze Zahlen schreibe, führt Otto zudem ins Feld. Auch bei der Akzeptanz digitaler Angebote in den Kabelnetzen seien Erotikangebote ein wesentliches Zugpferd. Die den Ländern anscheinend vorschwebende "Inhaltskontrolle von paarweise durchgeführten Turnübungen" gehe daher deutlich zu weit.

Die rot-grünen Regierungsfraktionen im Bundestag wollen zudem mit einem Antrag für eine neue Medien- und Kommunikationsordnung den "Dinosaurierdiskussionen über Sendezeitbegrenzungen und Lizenzpflichten fürs Internet einen Riegel vorschieben", sagt Jörg Tauss, Beauftragter für Neue Medien der SPD. Was die Regierungschefs diskutierten, sei nicht konsensfähig. Vor allem die Rede von Zeitbegrenzung dürfe sich auch in Zukunft allein auf den klassischen Rundfunk beziehen.