Turmopfer im geopolitischen Schach?

The WTC Conspiracy XXV

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"Seit den Anfängen der Kontinente übergreifenden politischen Beziehungen vor etwa fünfhundert Jahren ist Eurasien stets das Machtzentrum der Welt gewesen. (..) Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird - und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann. (..) Eurasien ist somit das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird."

Nicht nur die ersten Sätze aus Zbigniew Brzezinskis 1997 erschienen Buch "The Grand Chessboard"1 lesen sich wie ein Skript des "war on terror" genannten Kriegs gegen Afghanistan. Und es wäre naiv, Brzezinski (Jahrgang 1928) nach seinem Abgang als Jimmy Carters Sicherheitsberater für einen abgehalfterten Professor zu halten, der nicht weiter ernst zu nehmen ist (Politik des Großraums).

Als einer der Masterminds und Mitgründer der Rockefeller-Thinktanks, des "Council on Foreign Relations" (CFR) und der "Trilateral Commission" hat er als Vordenker nach wie vor bedeutenden Einfluss. Zum Beispiel auf den Vizepräsidenten Cheney. "Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der eine Region so schnell strategisch bedeutend geworden ist wie die kaspische..." Als Cheney dies 1998 sagte, war er noch Chef von Halliburton, des größten Ausrüsters der US-Ölindustrie, der gerade das Pipelineprojekt durch Afghanistan projektiert hatte (Ein lange geplanter Krieg). Wegen der gigantischen Bodenschätze hat für Brzezinski "die Pipeline-Frage für die Zukunft des Kaspischen Beckens und Zentralasiens eine zentrale Bedeutung". In seinem vorausschauend "Der eurasische Balkan" genannten Kapitel über die Region heißt es weiter:

"Falls die wichtigsten Ölleitungen der Region weiterhin durch russisches Territorium zum russischen Absatzmarkt am Schwarzen Meer in Noworosijsk verlaufen, werden sich die politischen Konsequenzen, auch ohne dass die Russen die Muskeln spielen lassen, bemerkbar machen. Die Region wird eine politische Dependance bleiben und Moskau darüber entscheiden können, wie der Reichtum der Region verteilt werden soll. (..) Amerikas primäres Interesse muss folglich sein, mit dafür zu sorgen, dass keine einzelne Macht die Kontrolle über dieses Gebiet erlangt und dass die Weltgemeinschaft ungehindert finanziellen und wirtschaftlichen Zugang zu ihr hat. Geopolitischer Pluralismus wird nur dann zu einer dauerhaften Realität werden, wenn ein Netz von Pipeline- und Transportrouten die Region direkt mit den großen Wirtschaftsknotenpunkten der Welt verbindet, über das Mittelmeer und das Arabische Meer ebenso wie auf dem Landweg."

Die Hervorhebungen "Weltgemeinschaft" und "geopolitischer Pluralismus" sind von mir und kennzeichnen den Jargon, mit dem die Interessen der USA mit denen der Weltgemeinschaft und ihre Dominanz mit "Pluralismus" gleichgesetzt werden. Nicht nur von Brzezinski, sondern auch von seinem Kollegen Samuel Huntington, den er zitiert:

"Die Fortdauer der amerikanischen Vorherrschaft ist sowohl für das Wohlergehen und die Sicherheit der Amerikaner als auch für die Zukunft von Freiheit, Demokratie, freier Marktwirtschaft und internationaler Ordnung in der Welt von zentraler Bedeutung."

Zum "Entweder für uns oder für die Terroristen" ist es von da nicht mehr weit. In seinem Buch "In Namen des Staats" weist der ehemalige Bundesminister Andreas von Bülow darauf hin, dass geostrategische Studien wie Brzesinskis "Chessboard" oder Huntingtons "Clash of Civilisations" ("Kampf der Kulturen", 1997) als Auftragsarbeiten der CIA in der Regel aus einem allgemein gehaltenen, zur Veröffentlichung bestimmten Teil bestehen, sowie aus einem unter Verschluss bleibenden Anhang mit konkreten Vorschlägen und Handlungsanweisungen.

Wie diese aussehen, ließ sich auch schon von dem 11.9.2001 mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" erkennen: "Covert Operations der Geheimdienste (sind) das Mittel der Wahl bei der Durchsetzung amerikanischer Großmacht- und auch Wirtschaftsinteressen, während der Einsatz der Militärmacht eher unpopulär bleibt". Diese bestätigte eine Sprecherin des "Council on Foreign Relations" aktuell in einer BBC-Sendung: verdeckte Operationen seien "weniger teuer" und oft "effektiver" als offizielle Militäreisätze. Brzezisnki zitiert Umfragen aus den Jahren 1995 und 1996, nach denen einer großen Mehrheit der Amerikaner ein Weltmacht-"Sharing" lieber wäre als eine Monopolstellung der USA und die internationale militärische Durchsetzung dieser Macht. Schon den Eintritt in den Zweiten Weltkrieg hätte die Öffentlichkeit, so Brezinski, "hauptsächlich wegen der Schockwirkung des japanische Angriffs von Pearl Harbour" unterstützt.

Dass die amerikanischen Bürger nach dem Schock des WTC-Anschlags ihren kriegslüsternen Präsidenten jetzt voll unterstützen, ist mehr als verständlich - doch anders als 1942, als die Japaner mit offenem Visier angriffen, geht es dieses Mal um einen verdeckten Krieg. Hitler und seiner Bande wurde in Nürnberg der Prozess gemacht. Auch wenn sie tausendfach mehr Menschen ermordet hatten als die Täter vom 11.September, kam niemand auf die Idee, mit "Dead or Alive"-Parolen zur Lynchjustiz aufzurufen oder Standgerichte einzuführen. Churchill hatte gegen Kriegsende in alter Feindschaft für eine schnelle, unkomplizierte Eliminierung der Nazi-Elite plädiert, die Amerikaner hatten jedoch auf einem Kriegsverbrecher-Prozess bestanden und sich damit durchgesetzt. Nicht ohne heimliche Hintergedanken - Geheimdienstchef Gehlen und andere Top-Nazis wurden künftig gebraucht -, doch auch und vor allem, um den Besiegten die moralische Überlegenheit demokratischer Werte und Ideale zu demonstrieren. Dass die Bundesrepublik einer der treuesten Vasallenstaaten der USA und eine Zivilgesellschaft wurde, hatte außer mit Carepaketen und Marshallplan viel mit dieser zivilisatorischen Maßnahme zu tun.

Wenn selbst einer monströsen Terrorbande wie den Nazis nach Kriegsende mit zivilen, rechtsstaatlichen Methoden beigekommen werden konnte, warum ist das mit dem zum Terrorprinzen aufgestiegen saudischen Milliardärslümmel Bin Ladin nicht möglich? Warum stand nicht von Anfang an der Versuch, ihn vor den internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen? Warum wurde der erste internationale Haftbefehl für Bin Ladin bei Interpol 1998 nicht von Washington, London oder Berlin beantragt , sondern aus Tripolis, also von niemand anderem als ausgerechnet Muhhamar Quaddafi? Er macht Ladin für die Unterstützung islamistischer Terroranschläge in Libyen verantwortlich, bei dem u.a. zwei deutsche Geheimdienstmitarbeiter getötet wurden. Warum lässt man unsere neuen Freunde von der Nordallianz, die das Land vor den Taliban als brutale Schlächter zugrunde richteten, nun als blutige Rächer zurückkehren? Sind wir damit, wie Robert Fisk im Independent meint, nicht endgültig auf die Seite von Kriegsverbrechern gewechselt? Warum finden die Statements der afghanischen Frauenorganisation RAWA, die auf diese grauenhafte Absurdität hinweisen, keinen Eingang in die Medien, geschweige denn ihre Vertreterinnen einen Platz am Petersberger Verhandlungstisch ? Warum sieht sich der Ölriese Unocal, der mit den Taliban jahrelang intensiv über die Pipeline verhandelte, zu einem Statement genötigt, die Islamschüler zu keiner Zeit unterstützt und gehätschelt zu haben ?

Könnte es sein, dass all dies mit dem zu tun hat, was der Senior-Korrespondent des (konservativen!) britischen "Mirror", John Pilger, den "geopolitischen Faschismus" der USA nennt ?

"Richard Falk, Professor für internationale Politik in Princeton hat das erklärt. Westliche Außenpolitik, sagt er, "wird in den Medien selbstgerecht und moralisch einseitig dargestellt, mit positiven Bildern westlicher Werte und Porträts bedrohter Unschuldiger, die eine Kampagne unbegrenzter politischer Gewalt rechtfertigen."

Der Aufstieg von Rumsfeld und seinem Vertreter, Paul Wolfowitz, sowie seinen Partnern Richard Perle und Elliot Abrams bedeutet, dass ein Großteil der Welt jetzt offen von einem geopolitischen Faschismus bedroht ist, der sich seit 1945 entwickelt und seit dem 11. September beschleunigt hat.

Die amtierende Gang in Washington besteht aus authentischen amerikanischen Fundamentalisten. Es sind die Erben von John Foster Dulles und Alan Dulles, jener baptistischen Fanatiker, die in den 50er Jahren das State Department beziehungsweise die CIA leiteten - und Reformregierungen in einem Land nach dem anderen niedermachten (Iran, Irak, Guatemala) und internationale Verträge aufkündigten, wie die Genfer Indochina-Vereinbarungen von 1954, deren Sabotage durch John Foster Dulles direkt zu Vietnam und fünf Millionen Toten führten.

Die Twin Tower Attacken sorgten in Bush's Washington sowohl für einen Auslöser wie auch für eine bemerkenswerten Koinzidenz. Pakistans früherer Außenminister Niaz Naik hat enthüllt, dass ihm von hohen amerikanischen Vertretern Mitte Juli gesagt worden sei, dass eine Militäraktion in Afghanistan Mitte Oktober beginnen würde. Außenminister Powell war damals in Zentralasien unterwegs und sammelte schon Unterstützung für eine Anti-Afghanistan Kriegskoalition." - John Pilger: The Truths they never tell us

Wenn bei einer Schachpartie der Verlust einer Figur zu einem strategischen Vorteil führt, spricht man von Opfer. Für den Laien sind solche Opferstrategien schwer zu erkennen, zumal wenn wichtige, scheinbar unersetzliche Figuren betroffen sind, wie zum Beispiel zwei Türme. Der Profi freilich kann sich durchaus vorstellen, zwei Türme an der Heimatfront zu opfern, um sich dadurch tief in der gegnerischen Hälfte festsetzen und einen unschlagbaren strategischen Vorteil - "globale Vorherrschaft" - zu erzielen, der das verlorene "Material" allemal wieder wettmacht.

Es spricht sehr viel dafür, dass die geopolitischen Schachmeister in Washington die talibanische Attacke auf ihre Türme vorhergesehen haben, aggressive Läufer wie der FBI-Jäger Bin Ladins, John O'Neill, wurden sogar zurückgepfiffen, um die gegnerischen Vorbereitungen nicht zu stören (In Memoriam John O'Neill - der kaltgestellte Jäger Bin Ladins starb im WTC). Intellektuelle Vordenker wie Brzezinski und Huntington, letzterer hat sich u.a. auch als CIA-Berater für die Aufstandsbekämpfung nach dem Sturz von Diktatoren einen Namen gemacht, hätten einfach ihren Job verfehlt, wenn sie in den unter Verschluss bleibenden konkreten Szenarien ihrer Studien nicht auch solche Opferstrategien durchspielen würden. Und wir wären einfach blind, wenn wir hinter dem menschelnden Jargon von "geopolitischem Pluralismus", "humanitärer Intervention" oder "Kollateralschaden" nicht ein auf Sieg und Vorherrschaft um jeden Preis programmiertes "Great Game" sehen.