Otto, das finde ich nicht gut!

Markenrecht, die Waffe gegen Privatleute und Kleinunternehmer

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Wenn wieder einmal ein absurder Markenrechtsprozess mit Streitwerten von 500.000 Mark abläuft, schaut inzwischen keiner mehr auf: Abmahnungen sind zum Alltag geworden in Deutschland - und wenn es nach DENIC geht, bald auch weltweit.

"OBI@OTTO, das ist die kongeniale Beziehung zweier außergewöhnlicher Unternehmen. Ein echtes Aushängeschild in Sachen erfolgreichem E-Commerce-Handel", so tönt die Pressemitteilung eines der neuesten Online-Projekte. Das klingt trotz der offensichtlichen Unfähigkeit, sprachlich richtig den Genitiv zu verwenden ("...in Sachen erfolgreichen Handels..."), sehr bedeutend. Aber gut ausgetrickst: "Kongenial" hat nämlich gar nichts mit "genial" zu tun, sondern bedeutet lediglich "ebenbürtig".

Ebenbürtig sind sich die beiden neuen Partner allerdings ohne Zweifel: Beide treten nämlich im Internet als sogenannte Markenschweine auf: Unternehmen, die ihre Marke bis zur völligen Unsinnigkeit verteidigen und dabei großen Flurschaden anrichten.

Der Otto-Versand geht dabei gegen jeden vor, der es wagt, diesen in Deutschland ja ausgesprochen seltenen Namen in einer Internetadresse zu verwenden. Der Komiker Otto Waalkes hatte noch Glück: Seine Internet-Adresse enthält nämlich gar kein "Otto" im Namen, sie heißt Ottifanten.de, nicht etwa "Ottofanten.de" oder gar "Otto-Waalkes.de". Weniger gut erging es dagegen Jörg Otto aus Berlin: Er meldete am 7. Juni 1999 die Adresse "ottonet.de" an, mit der er der Empfehlung vieler Provider und Computerzeitschriften folgte: "Wenn Ihr Name schon verbraucht ist, dann hängen Sie doch ein '-net', '-web' oder '-online' an". Er zog Namen und Anhängsel dabei sogar noch ohne Bindestrich zu einem Wort zusammen - doch markenrechtlich spielen Trennzeichen leider ohnehin keine Rolle. Seinen Vornamen wollte er wegen der Umlautproblematik nicht verwenden.

Zunächst hatte Jörg Otto gar keine große Verwendung für seinen Webspace - er nutzte nur die Email. Ab Ende Juli 2000 präsentierte Jörg Otto dann sich selbst, einen Freund mit einem Computerservice und einen anderen Freund mit einem Tattoostudio auf der Homepage. Mehr als drei Zeilen standen nie auf der Homepage, eine davon lautete "im Aufbau", und alle paar Tage kam sogar mal ein zuvor mit Hilfe von ein paar Bier dazu überredeter Besucher aus dem Bekanntenkreis der drei Herren auf der Website vorbei. Ansonsten besuchte eigentlich nur Herr Otto selbst seine Website, so wie es Hunderttausenden anderer Homepagebesitzer auch ergeht.

Klar, dass dieses so schnell wachsende Startup-Unternehmen nun begierliche Blicke auf sich zog. Deshalb meldete der Otto-Versand am 27. Oktober 2000 kurzerhand die ähnlich lautende Adresse otto-net.de (also mit Bindestrich) an und mahnte Herrn Otto dann am 9. Februar 2001 (also fast zwei Jahre nach dessen Domainanmeldung) wegen Markenverletzung ab. Diejenige der "Otto"-Marken, aufgrund derer das Versandhaus klagte, wurde übrigens trotz dessen angeblich so überragender Bedeutung erst am 17. August 1998 eingetragen.

Jörg Otto nahm sich einen Anwalt, der einwandte, dass diese Marke die relevanten Markenklassen (Telekommunikation und Dienstleistungen) gar nicht enthalte. Der Anwalt machte dann aber dummerweise dem Otto-Versand das zusätzliche Angebot, die strittige Adresse zur stressfreien Beendung der Angelegenheit für 3000 Mark Entschädigung übernehmen zu können.

3000 Mark - diese unverschämte Summe überstieg die Möglichkeiten des Versandhauses anscheinend. Außerdem wollte sich der Otto-Versand die Publicity eines Prozesses gegen die drei Stammtischbrüder natürlich nicht nehmen lassen. Also warf man Jörg Otto auch noch "Behinderungswettbewerb" vor: Er habe die Adresse ottonet.de im Juni 1999 nur deshalb eingerichtet, um Kunden des Otto-Versands, welche die erst mehr als ein Jahr später eingerichtete otto-net.de aufsuchen wollen, abzufangen. Mal abgesehen davon, dass man den Otto-Versand auch kaum unter www.otto-net.de suchen dürfte, hätte der Otto-Versand Jörg Otto bei dieser Denkweise doch besser ein Angebot gemacht, die offensichtlich heimlich erfundene Zeitmaschine ins Sortiment aufnehmen zu dürfen?!

Das Versandhaus erwirkte also am 8.3.2001 eine einstweilige Verfügung mit 100.000 Mark Streitwert gegen Herrn Otto. Das Landgericht Frankfurt gab dieser statt mit der Begründung, er müsse ja nun nicht ausgerechnet seinen Nachnamen als Bestandteil einer Internetadresse verwenden (was denn sonst - die Schuhgröße?). Doch verwendete das Versandhaus die einstweilige Verfügung nicht, sondern mahnte am 20.3.2001 erneut über 500.000 Mark ab. Jörg Otto unterschrieb schließlich zwei Tage später entnervt die Unterlassungserklärung des Otto-Versands. Die unbenutzte einstweilige Verfügung war somit hinfällig. Das Versandhaus blieb auf den Gerichtskosten sitzen, wobei das Gericht allerdings trotzdem lieber weiter Jörg Otto mahnte.

Die Kosten der Anwälte des Otto-Versands übernahm dieser allerdings nicht. Es folgte ein zweiter Prozess vor dem Landgericht München. Am Schluss war Jörg Otto schließlich nicht nur seine Email und Website los, sondern auch über 12.000 Mark, denn sein eigener Anwalt hatte ja ebenfalls zwar gut, aber natürlich nicht für lau gearbeitet.

Jörg Otto benutzt nun das Kunstwort "odits" in seiner neuen Internetadresse odits.de. Sollte es hier wieder zu Ärger kommen, schützt ihn dann nicht einmal mehr das Namensrecht und einen Markeneintrag hat er natürlich nicht.

Dem Tattoostudio wurde die Sache inzwischen unheimlich; es verzichtete auf eine weitere Beteiligung an der verwunschenen Homepage. Jörg Otto selbst hat seinen Namen inzwischen auch von der Site entfernt - der Computerservice hat die Site de facto komplett übernommen und spricht nun von einem zukünftigen weltweiten Odits-Netz. Möglicherweise hat man hier nun inzwischen selbst den enorm aufgeblähten Streitwert mit dem reellen Wert der kleinen Homepage verwechselt.

Das Ganze ist kein Einzelfall. So ging der Autoersatzteilladen Ottomobil nach einer Abmahnung durch das bewusste Versandhaus eine Ehe mit dem Tuninghändler D&W ein und firmiert nun als DUWrepair. Die Domain ottomotor.de ging ebenso offline Die beiden Motorenerfinder Otto und Diesel können froh sein, in einer anderen Zeit gelebt zu haben - heute würden ihre Namen von einem Versandhaus und einem Jeanshersteller beansprucht.

Der Einzige, der ungestraft eine Adresse wie onkel-otto-shop.de verwenden kann, ist ein öffentlich-rechtlicher Sender: der Hessische Rundfunk. Dort heißt zwar der Betreiber nicht Otto, aber ein Maskottchen des Senders, also eine Marke. Dann gibt es noch ein paar Ottos als Vornamen - diese haben anscheinend noch eine Gnadenfrist, weil der Gründer des Versandhauses ja Otto als Nachnamen hat - sowie die Markeninhaber Otto-Verpackung, Otto-Design und Otto-Containersysteme.

Doch auch diese werden ihre Marke und Domain nicht mehr lange halten können. Dafür sorgt nun der andere "E-Commerce-Partner" Obi!

Was hat denn ein Heimwerkermarkt mit dem Internet zu tun? Tja, Obi hat den Ostbayrischen Internet Service Obis.de aus dem Netz gekickt. Der hatte sogar eine gleichlautende Wort-/Bildmarke. Die schaut dem Obi-Biber zwar gar nicht ähnlich und das Internet hat ja wohl mit Baumärkten auch nicht so viel zu tun, von den berühmten Baustellenschildern etlicher Websites mal abgesehen. Doch hier schlug Obi gleich doppelt zu: Einmal gegen den Provider wegen der Domain und noch einmal extra gegen den Markeninhaber. Vertreten durch den berüchtigten Markenanwalt Dr. Krings am ebenso berüchtigten Landgericht Köln. Das beanstandete zwar, in diesem Fall gleich behelligt zu werden, ohne dass Obi zuvor überhaupt außergerichtlich mit dem Internet-Provider Kontakt aufgenommen hatte. Doch war der Provider die Domain los und der Markenanmelder - ein Privatmann, der die Markenanmeldung lediglich seinerzeit für den Provider vorgenommen hatte - sitzt nun auf einem Schuldenberg und muss in eine kleinere Wohnung umziehen. Das Argument vor Gericht, dass er ja die Marke gar nicht selbst verwerte, brachte nämlich lediglich eine gnädige Streitwertverringerung von 500.000 auf 250.000 Mark - ein echtes Abmahnschnäppchen ...

Besonders bedenklich bei der Abmahnung des Providers: Hier hängen ja u.U. Tausende Email-Adressen der Kunden an der Domain. Wer nun die obis.de registriert, kann sich also auf viel noch irrlaufende Post freuen. Inzwischen sind die Providerkunden immerhin offiziell auf obx.de umgezogen - wofür allerdings keine schützende Marke existiert. Die wird der Ostbayrische Internet Service auch bestimmt nicht mehr anmelden nach diesen miesen Erfahrungen. Immerhin benutzt er selbst extra mit ois.de eine dritte Adresse, damit weitere Begierlichkeiten von Markeninhabern nicht gleich wieder die Kundenmails gefährden. Profit hat das Unternehmen allerdings bislang laut eigener Aussage nicht erwirtschaftet, wozu der überflüssige Prozess sicher auch beigetragen hat.

Ein Versuch, bei Obi einen ISDN- oder gar DSL-Zugang zu erhalten, scheiterte übrigens kläglich, wie man fast erwarten konnte. Stellt sich also die Frage, wer all die schöne bunte E-Commerce-Welt von obi@otto noch ansehen soll, wenn erst mal alle Provider, Kleinunternehmer und Privatleute aus dem Netz vergrault sind.