Eene meene muh: Rasterfahndung in Deutschland - Teil 1

Die beliebtesten Fallgeschichten und Falschmeldungen aus dreißig Jahren Raten mit Daten

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Ein Scanner, der sich langsam, aber unaufhaltsam durch das Datenmassiv frisst - wie einer, der im Märchen sich erst durch einen Berg aus Grütze vorarbeiten muss, um ins Schlaraffenland zu kommen, wo Milch und Honig fließen. Ein Kamm - zur Hygienepflege am Volkskörper; ein Sieb, Netz oder Filter: Die Rasterfahndung.

Horst Herold, der Vater der Rasterfahndung

Sie beflügelt die Fantasie. Und funktioniert im Grunde doch erstaunlich einfach, gar nicht anders als eine Ermittlung anno dazumal. Das meinte zumindest Horst Herold, der als BKA-Chef in den siebziger Jahren die elektronische Fahndung in Deutschland initiierte:

"Wenn die Polizei in herkömmlicher Weise einen Mörder sucht, von dem sie zum Beispiel nur weiß, dass er Bäcker ist, 1,82 Meter groß, schwarzhaarig, blauäugig und in einer norddeutschen Kleinstadt lebt, muss sie in allen norddeutschen Kleinstädten ausschwärmen und alle Bäcker in Augenschein nehmen."

Statt nach Bäckern wird in Deutschland seit Anfang Oktober nach Terroristen gefahndet und nach solchen, die es einmal werden könnten. Männlich, islamisch, technikinteressiert - das sind die Merkmale, nach denen gesucht wird (Rasterfahndung in Deutschland). Während in Berlin der Kriterienkatalog) der Fahndung noch Mitte November um Studenten aus Bosnien, Israel und Frankreich erweitert wurde, kam man in Nordrhein-Westfalen mit der Fülle der Daten kaum zurecht. Dort wurden nicht nur die Daten von ausländischen Technikstudenten erhoben, sondern gleich alle fünf Millionen Einwohner im Alter zwischen 18 und 41 Jahren in den Computer des zentralen polizeitechnischen Dienstes in Düsseldorf eingegeben. Fünf Wochen nach Fahndungsbeginn teilten die Sicherheitsbehörden des Landes mit, dass die Daten zwar eingesammelt, aber noch nicht "aufbereitet" worden seien. Worin diese Aufbereitung besteht, konnte "aus Sicherheitsgründen" nicht erläutert werden.

"Raster, m. 'in Glas geätztes und eingefärbtes Liniennetz': Im 19. Jh. entlehnt aus lat. rastrum, n., 'Karst, Hacke', das im Mlat. die Bedeutung 'Rechen' angenommen hatte, aus der älteren Druckerspache, wie Rastral, m. 'Notenlinienzieher', rastrieren." (Kluge Etymologisches Wörterbuch)

"Aequabilitate": mit ebensoviel "Gleichmäßigkeit" wie der Notenlinienzieher das Blatt rastriert, werden beim "data screening" die Volksdaten gerastert. Druckermarke, Matijs Bastiaense, Rotterdam, 1614.

Wer solche Meldungen liest, mag über die Erfolgsaussichten der Fahndungsmaßnahmen ins Zweifeln geraten. Nichtsdestotrotz konnten die Fahnder vor kurzem einen Fang vorweisen. In Rheinland Pfalz, so teilte der Sprecher des Mainzer Innenministeriums mit, stünden bereits mehrere Personen unter ständiger Beobachtung, denen Verbindungen zum Al-Qaida -Netzwerk und den Anschlägen vom 11. September nachgewiesen worden seien. Auch in Hessen hätten die Fahnder Verdächtige im Visier; in Baden-Württemberg, so heißt es, kümmert sich die Sonderkommission "Magister" um die Verdachtsfälle - und sorgt dafür, dass mehrere Dutzend Islamisten beschattet werden.

Falschmeldungen

Man sollte sich von solchen Meldungen nicht so schnell beeindrucken lassen. Denn keine der Festnahmen, von denen bislang in den vergangenen Wochen berichtet wurde, geht auf das Konto der Rasterfahndung. Keine der erfassten Personen wurde durch die "computergestützte Suche in außerpolizeilichen Datenbeständen nach einem noch unbekannten Täter", so Herolds Definition der Rasterfahndung, erfasst.

Said Bahaji war der Kripo schon vor der Einleitung der Rasterfahndung bekannt - deshalb prangte sein Bild prangte in den vergangenen Wochen auch auf den Fahndungspostern des BKA. Ähnliches gilt für den verhafteten Marokkaner Munier al M., der das Hamburger Girokonto des 11.-September-Piloten Marwan al Shehhi verwaltet haben soll und dem die Ermittler eben aus diesem Grunde auf die Schliche gekommen waren.

Ebenso wenig der Rasterfahndung zuzuschlagen sind andererseits die Belästigungen von Ausländern durch die Kriminalpolizei. Weder der britisch-pakistanische Literat Tariq Ali, der auf dem Münchner Flughaben festgehalten wurde, noch der in Italien von Carabinieri verfolgte B90-Grünen Landtagsabgeordnete Jamal Karsli aus NRW - und auch nicht der Leiter einer größeren islamischen Gemeinde, der Besuch von unfreundlichen Kripobeamten bekommen hatte, sind durch die Rasterfahndung ins Visier der Ermittler geraten.

Um eine Rasterfahndung handelte es sich übrigens ebenso wenig, als man im Frühjahr 2001 mittels Speichelproben und DNA-Analysen in Brandenburg nach dem Mörder der zwölfjährigen Ulrike suchte - und diesen auch fand.

Und schließlich - selbst, wenn oft das Gegenteil behauptet wird: Eine Rasterfahndung war es auch nicht, mittels derer man 1977 das Versteck der Schleyer-Entführer fand. Damals vermutetet BKA-Chef Horst Herold, dass die Täter sich in einem Ring von nicht mehr als fünfzehn Kilometern vom Tatort in Köln entfernt und noch auf derselben Rheinseite aufhalten müssten - in einem Hochhaus mit Tiefgarage, in Autobahnnähe. Tatsächlich gelang es, das Versteck auf diese Weise ausfindig zu machen: Schleyer wurde in der Siedlung Zum Renngraben 8 in Erftstadt-Liblar gefangen gehalten. Nur ging die Nachricht in der Flut von Hinweisen und Fernschreiben auf dem Dienstweg verloren.

Das Ende ist bekannt. Schleyer konnte weder befreit werden, noch ließ sich die Bundesregierung auf einen Handel mit der RAF ein. Einen Monat nach der Geiselnahme Schleyers und nach der gescheiterten Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" gaben die Terroristen auf. Am 19. Oktober 1977 wurde Schleyers Leiche im Kofferraum eines Audi 100 im französischen Mulhause, nahe der belgischen Grenze gefunden.

Suche nach Unbekannt

Im Fall Schleyer wurde zwar viel gefahndet, aber wenig gerastert. Denn die richtige Rasterfahndung unterscheidet sich von allen anderen Methoden der Ermittlung und der Personensuche dadurch, dass hier erstens, computergestützt und in Datenbeständen gesucht wird (und nicht auf der Straße oder am Zoll), diese Suche sich, zweitens, auch auf außerpolizeiliche Datenbestände erstreckt, und dass, drittens, nach unbestimmten Personen gesucht wird, die lediglich bestimmte, näher festzulegende Kriterien erfüllen.

All dies macht die Sache aus so besonders brisant. Weil bei der Rasterfahndung nur personenbezogene Daten, nicht aber leibhaftige Personen in das Ermittlungsverfahren einbezogen werden, merkt zunächst einmal keiner der Betroffenen etwas davon - was die Rasterfahndung zu einer gewissermaßen unheimlichen, auf jeden Fall aber unberechenbaren Angelegenheit macht. Außerdem haben bei der Rasterfahndung die Ermittler auch Zugriff auf Daten, die von egal von wem zu egal welchem Zweck gespeichert wurden. Und schließlich gibt die Tatsache, dass lediglich das Profil der gesuchten Personen feststeht, immer wieder Anlass zu der Behauptung, dass eine Rasterfahndung notwendig mit der Verdächtigung Unschuldiger einhergeht und deshalb der Aufhebung der Unschuldsvermutung gleichkommt.

Fünf Räuber

Wiewohl umstritten, gehört die Rasterfahndung seit dreißig Jahren zum Ermittlungsrepertoire. 1996 wurde auf diesem Weg eine Gruppe von fünf Räubern erfasst, die Spielbanken in Dortmund, Bad Homburg und Kassel überfallen und dabei insgesamt mehr als 460.000 Mark erbeutet hatten. Die Polizei hatte die Daten aller Casinobesucher miteinander verglichen, vermutlich nach wiederkehrenden Kombinationen von Besuchernamen durchforscht, und die Hauptverdächtigen überwacht. Eine junge Frau, die auf der Verdächtigenliste stand, wurde nach dem Überfall auf die Dortmunder Hohensyburg bei einer Ringfahndung in ihrem Auto registriert. Wie sich herausstellte, hatte sie zusammen mit einem iranischen Bekannten einen anderen Iraner in Gießen besucht, der erstaunliche Ähnlichkeit mit einem bereits veröffentlichten Phantombild aufwies. Das Trio wurde festgenommen, ebenso zwei weitere Verdächtige. Vier der fünf Beschuldigten legten ein umfassendes Geständnis ab.

1993 rasterfahndete das bayerische LKA - erfolglos - nach Mafiosi: Gesucht wurde nach Einwohnern, die männlich, älter als 18 Jahre und italienischer Staatsangehörigkeit waren und in Agrigent oder in Palma de Montecherio auf Sizilien geboren wurden.

1985 wurde das "Weckanrufprogramm" bekannt: Hier wurden Unterlagen einer bestimmten Fernmeldeauskunftstelle der Deutschen Bundespost beschlagnahmt; im gleichen Jahr suchte man nach Fernsprechteilnehmern, deren Telefonrechung keine Gesprächsgebühren aufwies Von 1979 bis 1983 wurden Hotel-Meldezettel in baden-württembergischen Städten millionenfach ausgewertet, um östlichen Spionen auf die Spur zu kommen..

Rasterfahndung brachte Drogenhandel zum Erliegen

Am meisten Aufsehen aber erregten die Fahndungen nach den RAF-Terroristen. Die wohl bekannteste Rasterfahndung führte 1979 zu der Festnahme des jüngst gerade wieder aus der Haft entlassenen Terroristen Rudolf Heißler, der an der Schleyer-Entführung beteiligt gewesen war. Damals wurden die Daten von Frankfurter Stromkunden erhoben, die ihre Rechnung bar bezahlten: 16.000 taten das. Aus diesem Bestand wurden diejenigen herausgelöscht, die beim Einwohnermeldeamt verzeichnet waren, die als Führerscheinbesitzer oder Fahrzeughalter registriert waren oder die Kindergeld bezogen. Übrigen blieben am Ende nur die Wohnung eines Rauschgifthändlers und eine konspirative Wohnung der RAF in der Textorstraße.

Weniger bekannt ist der vergleichsweise erfolgreiche Einsatz von Rasterfahndungs-Methoden auf dem Gebiet der Drogenhandels-Bekämpfung. So führte die "Rasterung" von Daten der Fluggesellschaften nach allein reisenden Passagieren aus Asien, die sich nur kurz in Europa aufhielten, 1977 und 1978 zur Entdeckung von 350 Rauschgiftkurieren und brachte die Heroinzufuhr aus China und Malysia in die BRD vorübergehend fast völlig zum Erliegen.

Der Bodensatz vom Datenberg

Obwohl seit dreißig Jahren existent, trat das Instrument der Rasterfahndung kaum als solches in den Blick. Heute sind es die Einwanderungsgesetze, die geplante Aufnahme biometrischer Daten in den Personalausweis und andere Bestandteile des Anti-Terror-Paketes, die der Rasterfahndung gewissermaßen die Show stehlen.

1983 - dem Jahr, als man über Orwells Prophezeiungen in "1984" debattierte - stand in Sachen Datenschutz die Volkszählung im Vordergrund; und in den siebziger Jahren erschienen der Aufbau der polizeiinternen Datenbanken wichtiger und besorgniserregender als die Verbrecher- und Terroristensuche in den Melderegistern und den Kundendateien der Stromversorger (Von den Sorgen unbescholtener Bürger).

Das könnte man heute anders sehen. In den 70er Jahren griffen die Kripobeamten noch bloß auf Angaben zur Wohnanschrift, der KFZ-Haltung oder zum Stromzahlungsgebaren zurück. Heute hingegen öffnet sich ihnen ein Datenbestand, der Aufschluss über so gut wie alle Lebensbereiche geben kann - angefangen vom Zahlungsverkehr mit der EC- oder mit der Kreditkarte, den Kundenlisten von Versandhäusern und Adresshändlern und den Konsumentendaten der Paybackfirmen. Alles lässt sich rückverfolgen: jede Flugreise, jedes Telefongespräch, jeder Besuch bei der Videothek ...