Schwerkraft lässt Teilchen hüpfen

Forscher-Team misst Quanteneffekte der Schwerkraft - Neue Untersuchungsmethode zur Erforschung der fundamentalen Eigenschaften von Materie

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Die Gravitation ist eine der vier fundamentalen Naturkräfte (die anderen drei: die elektromagnetische, die schwache und die starke Kraft), sie wirkt zwischen massebehafteten Objekten. Aus physikalischer Sicht spielt sie eine Sonderrolle, da sie viele Zehnerpotenzen schwächer ist als alle anderen fundamentalen Kräfte der Natur. In der Welt der massereichen Objekte in der herkömmlichen Festkörperphysik ist die Wirkung der Schwerkraft alltäglich sichtbar, problemlos nachweisbar und unumstritten. Anders ist es in der Welt der Quantenmechanik. Alle Teilchen müssen den Gesetzen der Quantentheorie gehorchen. Wenn sie ihre Position verändern, dann bewegen sie sich nicht gleichmäßig, sondern springen oder hüpfen zum nächsten Quantenzustand.

Bild: Astrophysikalisches Institut Potsdam

Das Bild des Zusammenspiels der physikalischen Kräfte des zwanzigsten Jahrhunderts beruht auf dem Allgemeinen Feldbegriff, der Speziellen Relativitätstheorie und der Quantenmechanik. Ein Feld, wie das Gravitationsfeld der Erde, stellt einen Spannungszustand des Raumes dar, so dass auf die Körper Kräfte wirken. Die Relativitätstheorie verdeutlicht die Möglichkeit der Umwandlung von Energie in Materie, die Erzeugung und die Vernichtung von Teilchen sowie die Existenz von Antimaterie. Die Quantentheorie beschreibt die Welleneigenschaften materieller Teilchen und beinhaltet unter anderem, dass kurzzeitig Energie- und Impulserhaltung verletzt werden können.

Bisher war noch nie eine Messung der schwachen Quanteneffekte der Schwerkraft möglich, aber jetzt berichten unter dem Titel "Quantum states of the neutron in the gravitational field" Valery V. Nesvizhevsky, H. G. Börner, A. K. Petukhov vom Institut Laue-Langevin in Grenoble sowie Hartmut Abele, S. Baeßler, F. J. Rueß, T. Stöferle, A. Westphal von der Universität Heidelberg, A. M. Gagarsky, G. A. Petrov vom Petersburg Nuclear Physics Institute und A. V. Strelkov vom russischen Joint Institute for Nuclear Research, in Dubna dass es ihnen gelungen ist, die Teilchen unter dem Einfluss der Gravitation hüpfen zu lassen.

Das internationale Team verwendete als Fallobjekt für ihren Versuch allerdings keinen Apfel, wie Sir Issac Newton, sondern ein äußerst energiearmes Neutron. Ansonsten handelt es sich vom Prinzip her um ein klassisches Fallexperiment, wie Galilei es als erster beschrieben hat. Die ultrakalten Neutronen fallen unter dem Einfluss der Schwerkraft nachweislich in Quantensprünge, anstatt sich gleichförmig zu bewegen. Für ihr Experiment nutzten die Physiker die Apparaturen des Instituts Laue-Langevin, die Neutronenquelle lieferte einen entsprechenden Strahl der Teilchen. Die im Kernspaltprozess erzeugten Neutronen sind ursprünglich alle sehr schnell, was mit dem Begriff "heiß" (mehr als zehn Milliarden Grad) bezeichnet wird. Für das Experiment waren aber äußerst langsame, das heißt so genannte "ultrakalte" Neutronen nötig. Deshalb wurden sie bis auf ein Tausendstel Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt von 0 Kelvin (minus 273,15°C) herunter gekühlt. Die ultrakalten Neutronen sind so energiearm, dass sie im Gegensatz zu schnelleren Neutronen an präzise polierten Spiegeloberflächen unter allen Auftreffwinkeln wie Licht an einem Spiegel reflektiert werden.

Die Versuchsanordnung sah so aus, dass sich die Neutronen vom Ausgang der Neutronenquelle über den Spiegel im Gravitationsfeld der Erde zu einem Neutrondetektor bewegten. Dabei wurden sie auf dem horizontalen Spiegel unter dem Einfluss des Schwerefeldes der Erde mehrfach reflektiert, dabei sind aufgrund der Quantennatur des Neutrons nur diskrete Energieniveaus erlaubt. Diese Energieniveaus finden sich als Stufen in den Messdaten wieder. Die Quantenphänomene konnten als Abweichung von der klassischen Erwartung sichtbar gemacht werden.

Unter den bisher untersuchten Quantenphänomenen haben die meisten als Ursache elektromagnetische Kräfte, wie sie beispielsweise in der chemischen Bindung zutage treten. Neutronen sind elektrisch neutral, sie tragen keine Ladung und eignen sich deswegen bestens für dieses Experiment. Die aktuellen Untersuchungen des internationalen Teams um Nesvizhevsky sind in einen neuen Energiebereich vorgestoßen, da es ihnen gelang, die extrem schwachen Quanteneffekte der Gravitation nachzuweisen. Die Neutronen hüpften tatsächlich und zwar in der vorher berechneten Höhe, die das Zusammenspiel von Gravitation mit der Quantenmechanik beweist. "Damit haben wir erstmals die Quantisierung der Bewegung nachgewiesen, die ein Teilchen unter dem Einfluss der Gravitation bewegt", erläuterte Nesvizhevsky.

Der Detektor registrierte dann aber erst ab einer bestimmten Höhe des Tunnels jene Neutronen, die zu ihm durchgedrungen waren. Wir haben auch Hinweise gefunden, dass die Neutronen die höheren Geschwindigkeiten schrittweise erreichen.

Falls die Neutronen genügend Energie haben - für Hüpfhöhen oberhalb 50 Mikrometer über dem Spiegel -, so kann nicht zwischen klassischer Beschreibung und Quantenmechanik unterschieden werden und die Messdaten folgen der klassischen Erwartung. Werden die Hüpfhöhen von oben durch einen Neutronenabsorber beschränkt, dann macht sich für die entsprechenden kleinen Neutronenergien das Quantenregime bemerkbar. Im Unterschied zu Licht zeigen Neutronen nun Eigenschaften, wie sie nur durch die Gravitation im Zusammenspiel mit der Quantenmechanik hervorgerufen werden können: Ist der gewählte Energiebereich der Neutronen zu gering, so können keine Neutronen transmittiert werden. Licht jedoch, das nicht der Erdanziehung unterworfen ist, wird ungestört transmittiert.

Die Beobachtungen von Reflektionen von Atomen an magnetischen Spiegeln gelangen zum ersten Mal 1994 an der Yale University. Die Idee zu dem aktuellen Experiment reicht bis zu dieser Zeit zurück. Trotz der Erfolge mit Atomspiegeln war es einfacher, den Versuch mit Spiegeln für Neutronen aufgrund der ungleich besseren Reflexionseigenschaften für Neutronen herzustellen. Die Resultate der Beobachtungen zeigen den Quantenzustand der Neutronen im Gravitationsfeld der Erde, und sind somit ein weiterer Beweis für die Universalität der Quanteneigenschaften von Materie.

Künftig sollen Verbesserungen der Quelle ultragekühlter Neutronen und Detektoren es der Technik ermöglichen, weitere schwer nachprüfbaren Auswirkungen der Quantentheorie zu ermitteln. Thomas Bowles vom Los Alamos National Laboratory in New Mexico zieht in seinem begleitenden News&Views-Artikel in der gleichen Ausgabe von Nature das Fazit: "Die Arbeit von Nesvizhevsky und Kollegen könnte der Physik eine neue Untersuchungsmethode zur Erforschung der fundamentalen Eigenschaften von Materie vermitteln."