Schwarzer Stern

Gravasterne als Alternative zu Schwarzen Löchern?

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Schwarze Löcher bleiben unter den Astronomen umstritten. In der neuesten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins NewScientist stellen zwei US-Forscher ihre Alternative vor: Gravasterne

Black Hole, Bild: CHANDRA

Schwarze Löcher sind Regionen der Raumzeit, aus der nichts, nicht einmal ein einzelner Lichtstrahl entweichen kann. Was an den Rand der verfressenen Monster gelangt, gerät hinter ihrem Ereignishorizont ins Aus. Diese Objekte faszinieren sowohl Astronomen wie die breite Öffentlichkeit. Spektakulär werden sie aus sterbenden massereichen Sternen geboren und saugen alles aus der Umgebung in ihren schwarzen Schlund. Materie und Licht wirbelt in einem Strudel um sie herum, um dann endgültig aus dem Universum zu verschwinden. Es gibt kein Entkommen und wie es aussieht, lauern diese Tore ins Nichts überall in den Tiefen des Alls.

Schwarze Löcher werden in verschiedene Typen eingeteilt. Eine wesentliche Grundfrage ist, ob der kosmische Materiesauger rotiert oder nicht. Unterschieden wird ebenfalls nach der Größe: da gibt es die kleinen Bestien mit einem Durchmesser von nur wenigen Kilometern, deren Mutterstern nur einige Mal so schwer wie unsere Sonne war und da gibt es die supermassiven Riesenmonster mit ungeheurer Schwerkraft, die intensivste Strahlung ausströmen (Vgl. Gefräßige Bestien im Weltall). Diese Giganten erschüttern ganze Galaxien (Vgl. Titanische Explosionen in NGC 4636) oder erfassen schockwellenartig gängige Theorien der Astronomie (Vgl. Ein schwarzes Loch verschlingt herkömmliche Theorien). Die Wissenschaft geht davon aus, dass in der Mitte der Milchstrasse so ein Koloss kauert und seine Verdauungsvorgänge durch sichtbare Rülpser in Form flackernder Röntgenstrahlung verrät (Vgl. Das Monster wohnt in der Mitte der Milchstrasse). Die meisten Astronomen sind davon überzeugt, dass da draußen jede Menge Schwarze Löcher auf Beute warten - aber es gibt auch einige Dissidenten, die auf Widersprüche und Unstimmigkeiten aufmerksam machen und alternative Erklärungsmodelle für die beobachteten Phänomene anbieten.

Jede Wissenschaft braucht ihre Zweifler. Emil Mottola von den Los Alamos National Laboratory in New Mexico sowie Pawel Mazur von der University of South Carolina in Columbia sind zwei Astrophysiker, die ihre Finger in die Wunde legen wollen. Sie behaupten nicht, dass es gar keine Schwarzen Löcher gibt, aber sie bieten eine neue, sehr spezielle Form eines Himmelsobjekts an, die zumindest theoretisch weniger Widersprüche auslöst. Mottola und Mazur nennen ihren Entwurf "Quasi Black Hole Object" (QBHO) oder Gravastern (Englisch: Gravastar). Bisher ist es niemals gelungen, ein schwarzes Loch direkt zu beobachten. Am nächsten dran waren Ende vergangenes Jahr deutsche Forscher der Garchinger Max-Planck-Institute, die das "Lichtecho" eines schwarzen Lochs durch die gleichzeitige Messung von Röntgenstrahlung und sichtbarem Licht "gesehen" haben. Allerdings entsprachen ihre Daten einmal mehr nicht den Voraussagen der Theorie (Vgl. Lichtecho einer kosmischen Einbahnstraße entdeckt).

Mottola und Mazur stellen in einem Artikel, den sie bei der Zeitschrift Physical Review Letters eingereicht haben, ihre Gravitational condensate stars vor. Sie skizzieren das Bild eines Himmelskörpers, der aus einem kollabierenden Stern entsteht und eine exotische Blase superdichter Materie darstellt. Gravasterne sind kalte, sehr dichte Schalen, deren Inneres alles auf sie Auftreffende federnd abprallen lässt. Sie sehen wie Schwarze Löcher aus, was heißt, dass sie die entsprechende Strahlung aussenden, aber sie fressen Licht und Materie nicht, sondern lassen sie erst gar nicht in ihr seltsames Inneres. Sie sind selbst schwarz und unsichtbar, nur die Reflektion der auf sie herab regnenden Materie wirft einen Schein auf ihre Existenz.

Die beiden US-Astrophysiker weisen daraufhin, dass sich seit dem Entwurf der Idee von schwarzen Löchern durch Karl Schwarzschild im ersten Weltkrieg das Bild unseres Universums gewaltig verändert hat. Mottola und Mazur beschäftigen sich seit langem mit den Problemen des Zusammenspiels von Quanten-Theorie und Gravitation. Sie setzten sich intensiv mit Quantenfluktuationen im Raum, der Zeit und in Energiefeldern auseinander. Selbst der leer scheinende Raum ist niemals wirklich leer, wenn alles auf der Einteilung der winzigsten Skala untersucht wird. Quantenfluktuationen können die Schwerkraft beeinflussen, diese Phänomene waren aber den Vordenkern der Schwarzen Löcher noch nicht bekannt.

Bis heute sind viele seltsame Anomalien der Black Holes noch nicht wirklich verstanden. Da gibt es zum Beispiel das Problem mit der Entropie, denn der gewaltige Informationsverlust beim Kollaps bewirkt ein ungeheures Anwachsen der Entropie - das wird angenommen, aber nicht erklärt. Ein weiterer Punkt sind die Photonen, die beim ihrem Verschinden in den Schlund der dunklen Monster, bei der Ankunft im Ereignishorizont, eine ungeheuerliche Menge an Energie gewinnen würden. Die Schwerkraft-Effekte dieser enormen Energie werden in der klassischen Theorie ignoriert.

Mottola und Mazur sind überzeugt, dass ein kollabierender Stern nicht zwangsläufig zu einem Schwarzen Loch werden muss. Sie zeigen auf, dass Quanteneffekte die Raumzeit in einen merkwürdigen Zustand versetzen kann, der zur Formation eines höchst speziellen Objekts führen könnte. Diese Verwandlung ist eine Phasen-Übergang, ähnlich wie die Verwandlung von flüssigem Wasser zu einem starren Eisblock. Die Astrophysiker glauben, dass unter extremen Bedingungen eines in sich zusammen fallende Stern die Raumzeit eine Quantenversion des Phasen-Übergangs durchmacht. Das entspricht dem Modell des Bose-Einstein-Kondensats (BEC - Vgl. Ein Chip spricht die Sprache der Atome), bei dem sich eine Atomwolke in ein Superatom verwandelt. Für die Erforschung dieser Transformation gab es 2001 den Nobelpreis für Physik. Mottola und Mazur stellen sich vor, dass bei der Entstehung eines Ereignishorizonts um einen kollabierenden Stern das Schwerkraftfeld die Quantenfluktuationen in der Raumzeit verzerrt.

Die Fluktuationen würden derartig anschwellen, dass sie damit eine radikale Veränderung in der Raumzeit auslösen könnten, die der Bildung eines Bose-Einstein-Kondensats ähnelt. Dadurch würde eine Kondensat-Blase entstehen, die von einer dünnen sphärischen Schale aus gravitationaler Energie umgeben ist. Die Formation dieses Kondensats würde die Raumzeit in der Blase radikal verändern. Die beiden Kosmologen gehen davon aus, dass so ein derartig starker Druck nach außen entsteht, dass alle Materie im Gravastern ausgestoßen und alle auf ihn herabfallende reflektiert würde. Mit ihrem Modell des schwarzen Sterns gibt es keine Anomalien wie die Singularität (das Ende der Gesetze der Physik im Nichts), den Ereignishorizont oder Ungereimtheiten in der Entropie.

Mottola geht sogar so weit, darüber zu spekulieren, ob der Gravastern nicht sogar ein Modell für das ganze Universum sein könnte: eine gigantische Blase, die alle Galaxien umschließt. Er meint:

Es könnte sein, dass wir fähig werden, mit der wirklich radikalen Idee zu spielen, dass wir - und alles was wir im Universum sehen - innerhalb eines solchen Objekts sein könnte. Es [das Gravastern-Modell] ist in diesem Moment sicher noch nicht ausgereift, aber die Saat eines möglichen neuen kosmologischen Modells ist in der Gravastern-Lösung enthalten. Es gibt noch viele unbeantwortete Fragen - wir eröffnen gerade erst eine neue Richtung für künftige Forschung.

Die kontroverse und lebhafte Diskussion unter den internationalen Experten wird sicher nicht lange auf sich warten lassen.