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Offene SMS-Chat-Communities sollen den Offenen Kanal Berlin in das 21. Jahrhundert befördern

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Seit geraumer Zeit zeichnet sich ein Trend ab, die SMS mit traditionelleren Medien zu verknüpfen. Kultur- und Medienproduzenten experimentieren mit dem privaten Medium, um es als Eingabeinstrument für öffentliche Sendeformen zu benutzen. Handy-User bekommen so das Gefühl, einen direkten Zugang zur Öffentlichkeit in der Hand zu haben. Von Sommer bis Herbst 2000 etwa wurden von Kulturserver/Twen FM im Rahmen von interaktiven Fernsehsendungen auf dem Offenen Kanal Berlin SMS-Nachrichten im TV Chat eingeblendet: Man konnte via Handy mit anderen Zuschauern plaudern. Was im Frühling diesen Jahres fortgesetzt werden soll, hatte bald auch bei SAT1 Anklang gefunden. Derzeit nimmt die Anzahl von TV-Sendern zu, die ihr interaktives Menü um SMS-Chats erweitern. Zum Beispiel VIVA und TVB.

Wie Klaas Glenewinkel, der Initiator des OKB-Projektes, rückblickend zu Protokoll gibt, hat sein Team vor zwei Jahren handfeste Pionierarbeit geleistet. Sie waren die ersten, die das Handy mit dem TV kurzgeschlossen haben. Nicht zufällig klopfte MTV bald an und wollte das System kaufen. Die Anfrage wurde abgelehnt. Glenewinkel:

"Die wollten entscheiden, welche Nachricht eingeblendet wird und welche nicht. Ich glaube, das zeigt, dass das Fernsehen kein Interesse hat, den Zuschauer wirklich einzubinden. Es geht natürlich nur um Shopping und den Anteil an den Gebühren der SMS-Dienste, die sich diese blöden Jugendservices immer teurer bezahlen lassen."

Die Zielsetzung des OKB-Projekts war selbstredend eine andere. Angefangen hat alles mit aufwendig programmierten Websites, über die man live senden konnte: Komplette Video- und Audioinhalte aus dem Internet und Web2TV. Die Sendung hieß "Remote TV" und ermöglichte jedem von seinem Home PC aus auf TV-Sendung zu gehen. Besonders populär waren die Sendungen von TWEN FM, einem Berliner Piratensender, dem dadurch auch in Fernsehkabelkreisen zu großer Prominenz verholfen wurde. Im Gegensatz zu VIVA und TVB bemühte man sich um einen offenen Kommunikationsraum. Doch die Verwirklichung dieses Anspruchs war mit Problemen verbunden.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Inhalt der Sendung sehr viel mit der Qualität der gesendeten elektronischen Kurznachrichten zu tun hat. Glenewinkel:

"Am Anfang trafen die SMS Beiträge unabhängig von unseren aufwendig produzierten Sendungen bei uns ein, es hat sich schlichtweg kein Zusammenhang ergeben. Meistens ging es darin um provokante Sex-Stellungen und Nazi-Phantasien. Wir wurden sogar während einer Show vom Sender aufgefordert, diese lustigen SMS-Nachrichten nicht mehr einzublenden. Das haben wir natürlich nicht gemacht, stattdessen haben wir die Handynummer der SMS-Absender eingeblendet. Erstaunlicherweise wurde daraufhin die Qualität so miserabel, dass wir das Experiment tatsächlich abbrechen mussten."

Bevor das Projekt zunächst für unbestimmte Zeit tatsächlich von der Bildfläche verschwand, haben die Produzenten von "Remote TV" daran gearbeitet, die soziale Komponente der Sendung zu steuern. Sie haben versucht, die verschiedenen Ebenen des amaturenhaft aufgebauten Bildschirms miteinander zu verknüpfen, was auch zwischenzeitlich gelang. Derzeit plant Glenewinkel mit seiner neuen Firma Streamminister den nächsten Schritt mit dem Offenen Kanal. Ein Team von Entwicklern und Redakteuren soll ab März diesen Jahres interaktive Fernsehformate entwickeln. Man wird nicht nur per SMS mitmachen können, sondern auch selber Sendungen von überall aus live senden können: Writing Interactive Fiction, wie der Berliner Medienproduzent das nennt. Zu den Innovationen soll die Übertragung von Bewegtbildern per Handy zählen. Glenewinkel:

"Ich kann mir vorstellen, dass die Leute Spaß haben, anderen zu zeigen, wo Sie gerade mit wem sind und wie sie selbst dabei aussehen. "

Ausserdem soll es themenspezifische SMS-Chat-Communities fürs TV geben, wie man das von Mailinglisten kennt. Programmiert mit Open Source Software. Hinzu kommen Spiele. Sie sollen nicht nur unterhalten, sondern gemeinschaftsstiftend wirken und die Rolle des sozialen Filters übernehmen, die Moderation des Publikums. Wie Glenewinkel erklärt, hat "ein Spiel die Möglichkeit, einen offenen Kommunikationsraum intelligent zu moderieren. Es gibt Vorgaben, dennoch kann jeder das sagen, was er will. Das alte Schulspiel Galgenraten könnte eine grandiose TV-SMS Applikation werden: Ein komplett textbasiertes Fernsehformat ohne Ton und Moderator, die Verantwortung über die Sendung wird den Zuschauern übergeben." Um mehr zu erfahren, sollte man in acht Wochen den Fernseher wieder anschalten.

Klaas Glenewinkel stellt SMS-Applikationen für den Offenen Kanal Berlin auf dem transmediale-Panel "SMS Encounters: Die Verdichtung von Öffentlichkeit?" (7.2., 14-16 Uhr) vor.