Argentinien am Rande der Anarchie

Duhalde auf dem Kriegspfad gegen Bevölkerung und Gerichtshof

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Nachdem der argentinische Gerichtshof am Freitag den "corralito" als ungesetzlich aufgehoben hat, ist die Lage in Argentinien in eine neue Krisenphase getreten. Daran ändern auch die beschlossenen Notmaßnahmen nichts. Die Bevölkerung reagiert sauer und Präsident Eduardo Duhalde versucht die Gegenmobilisierung.

Der corralito, mit dem die argentinische Regierung versucht hatte, die Kapitalflucht aus dem Land zu verhindern, ist ungesetzlich. Das hatte der argentinische Gerichtshof noch am Freitag entschieden. Damit sollten die verhängten Beschränkungen für Privatkonten aufgehoben werden, die per Regierungsdekret Barabhebungen auf monatlich 1.500 Peso (866 Euro) begrenzt sind. Der corralito widerspreche der Verfassung und verletze das Recht auf Besitz, hieß es in der Urteilsbegründung. Nun könnten Sparer ihr Geld einfordern, sagte ein Gerichtssprecher.

Nach Entscheidung des Gerichts müssten die Banken nun die Auszahlung aller Spareinlagen in Höhe von rund 60 Milliarden Euro vornehmen. Da das Geld nach massiver Kapitalflucht nicht mehr vorhanden ist oder nur langfristig flüssig zu machen wäre, könnte dies in den nächsten Tagen zum Zusammenbruch zahlreicher Banken führen und damit zum Bankrott des Staates, denn die Geschäftsbanken gehören zu seinen größten Gläubigern.

Deshalb warnte der Peronist Duhalde, Argentinien befinde sich "am Rand der Anarchie". Wenn die Konten auf einen Schlag freigegeben würden, drohe der Zusammenbruch des gesamten Wirtschaftssystems. Deshalb treibt der Peronist die Lage in Richtung Diktatur. Er setzt sich, mit den nun bekannt gegebenen Notmaßnahmen, über die Entscheidung des Gerichts hinweg und hält zu einem Teil am corralito fest. Die Zentralbank ordnete bis vorerst Dienstag die Zwangsschließung aller Banken und Finanzinstitute an. Im Fernsehen erklärte Duhalde, er bedauere mitteilen zu müssen, dass der Zugang zu den Konten nicht freigegeben werden könne.

Um diese Linie noch demokratisch bemänteln zu können, geht er auf Konfrontation zur Justiz und sprach von einem "Erpressungsmanöver" der Richter. Schon im Vorfeld der Entscheidung hatte Duhalde die Richter vor einer unbotmäßigen Entscheidung gewarnt. Er ließ das Abgeordnetenhaus in der vergangenen Woche zustimmen, dass gegen den Gerichtshof wegen Korruption ermittelt wird. Insgesamt liegen 28 Klagen vor, die nun zur Absetzung einiger Richter führen könnten.

Den Krieg hat Duhalde nicht nur den Richtern erklärt, sondern auch der protestierenden Bevölkerung, die nach dem Urteil am Wochenende wieder zu Zehntausenden im ganzen Land gegen die politische Klasse, die Justiz und die Banken demonstriert hatten. Unterstützung erhielten die Topfschläger dabei nicht nur in zahlreichen Städten der Welt, sondern die Menschen wurden auch vom Notprogramm auf die Straße getrieben, die der Wirtschaftsminister Jorge Remes Lenicov vorgestellt hat.

Gegen die Versprechungen von Duhalde werden nämlich alle Guthaben in Peso umgewandelt und damit sind Dollar-Einlagen mit einem Schlag um etwa 30 Prozent entwertet worden. So ist unzweideutig klar, dass die Gewinner dieser Aktion die Banken und Großverdiener mit Auslandskonten in US-Dollar sind. Sie profitieren nun massiv von der Abwertung des Peso um etwa 30 Prozent. Da Duhalde in absehbarerer Zeit die freie Konvertibilität zum Dollar angekündigt hat, werden sie damit weiter profitieren.

Für viele Argentinier ändert sich dagegen nichts, auch wenn ihre Schulden nun in Pesos zurückgezahlt werden müssen, denn für sie bleibt die Summe gleich. Steigende Preise wegen dem gefallenen Peso für Weltmarkterzeugnisse erhöhen sogar den Druck auf die Bevölkerung weiter. Aus der 42 Minuten langen Rede des Wirtschaftsministers lässt sich deutlich ablesen, dass sich Duhalde nicht mit seinen Gläubigern und finanzstarken Personen oder Gesellschaften anlegen will. Deutlich zeigt sich das an der stets angekündigten Sondersteuer auf Erdölexporte, die bis zu 30 Prozent der Gewinne in die Kassen der Regierung spülen sollte. Offensichtlich hat der Druck aus Spanien und seiner multinationalen Firmen gewirkt. Die Steuer ist nicht in den Notmaßnahmen enthalten (Wenn die Börse Tango tanzt).

Selbst die Auszahlung der Löhne und Entschädigungen, die nun weitgehend frei gegeben wurden, wird langfristig weitere fatale Folgen haben. Nationale Banken werden wegen akuter Finanznot eingehen, während finanzkräftige internationale Banken, vor allem aus Spanien, mit Einbußen durch den Konzentrationsprozess ihre Vorreiterrolle ausbauen.

Hinter diesem Plan zeigt sich die deutliche Handschrift des Internationalen Währungsfonds (IWF), auf dessen weitere Kreditvergabe das Land nun hofft (Schimpfen auf den IWF im Netz). Bluten müssen die verarmten Massen für die verfehlte Politik der Oligarchie und internationaler Geldgeber, die das Land, das einst zu den reichsten der Erde gehörte, systematisch ausgeplündert haben. Die angekündigten sozialen Maßnahmen, Arbeitsplatzbeschaffung, Nahrungs- und Medikamentenversorgung haben zudem einen deutlichen Charakter von Klientelwirtschaft, um die peronistische Basis in die Maßnahmen einzubinden. Die nötigen Finanzmittel kommen aus einer Umschichtung im Haushalt und gehen zu Lasten anderer sozialer Gruppen. Arbeitslosenorganisationen haben schon jetzt den bürokratischen Aufwand kritisiert, mit dem zudem gewisse Teile der Arbeitslosen ausgesiebt und andere bevorzugt würden.

Ausgesprochen bedenklich ist, dass Duhalde nun auf eine Mobilisierung der peronistischen Basis setzt, um den angekündigten und zu erwarteten Demonstrationen gegen diesen unausgewogenen Plan zu begegnen. Die peronistischen Demonstrationen zur Plaza de Mayo werden über kurz oder lang in Straßenschlachten münden. Aus den friedlichen Protesten der Argentinier könnte dann sehr schnell ein Ruf nach dem Militärs werden, die bis 1975 das Land regiert hatten. Die könnten sich erneut als "patriotische Retter" aufspielen, um wieder "Ordnung zu schaffen" und die Notmaßnahmen brutal gegen den breiten Willen der Bevölkerung umzusetzen.