Krieg im 21. Jahrhundert

Bei der Entwicklung von neuen Waffensystemen sind der Kreativität der US-Militärs keine Grenzen gesetzt

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Die erste Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September war kurz und martialisch. Nach kaum vier Wochen Vorbereitungszeit waren 29000 US-Soldaten mobilisiert. Ihnen standen unter anderem 349 Flugzeuge zur Verfügung, vier Flugzeugträger, 20 Bomberstaffel und 24 Kriegsschiffe. Der übergroße Teil der Angriffe auf Afghanistan wurde ab dem 7. Oktober von Bombern der B-Klasse durchgeführt. Die Megabomber hatten Waffen von enormer Zerstörungskraft an Bord, darunter auch die international geächteten Kassettenbomben. Sie stoßen im Fallen eine Vielzahl kleiner Sprengkörper ab, die auf einem Gebiet von zwölf Fußballfeldern einschlagen. Verwandt wurde auch die sogenannte "Joint Direct Attack Munition" (JDAM), gigantische Bomben, die als Teppich abgeworfen kilometerweit alles Leben auslöschen.

B-52 im Einsatz

Die Bombardements hatten nicht nur den Sturz des Regimes der Taleban zum Ziel, sie sollten auch die verletzte US-Psyche beruhigen. Der militärische Schlag nach außen vermittelt Sicherheit nach innen. Diese Primärreaktion soll aber nicht von den mittel- und langfristigen Folgen des 11. September für die US-Rüstungsindustrie ablenken. Sicher, zunächst konnten sich die klassischen Bereiche der Kriegsmaschinerie auf Profite freuen. Das Unternehmen Raytheon, von dem die US-Armee ihre Langstreckenraketen bezieht, verzeichnete nach Wiedereröffnung der US-Börsen einen Gewinnzuwachs von 25 Prozent. Ähnliche Trends waren bei dem Panzerfabrikanten General Dynamics und dem Flugzeug- und Lenksystemhersteller Lockheed Martin zu beobachten. Dieser Trend leuchtet ein, denn bei jedem Krieg wird Material nicht nur verbraucht, zerstörtes Gerät muss auch ersetzt werden. Auch das ist ein Grund, warum im Fall von Indien und Pakistan beide Seiten bisweilen von den gleichen Unternehmen beliefert werden.

Neuen Waffen für neue Kriege

In Afghanistan wurde aber auch wie seinerzeit im Irak 1991 neues Gerät erprobt. Neben dem unbemannten Aufklärer Global Hawk hatte das Landungsboot LSD 418 seinen Erstauftritt Mitte Oktober in Zentralasien. Mit dem langwierigen "Kampf gegen den Terrorismus" werden nach Ankündigungen von Präsident George W. Bush und US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld aber auch grundlegend andere Waffen entwickelt werden. Rumsfeld wies darauf zuletzt bei seiner Rede vor Mitgliedern der National Defense University am 31. Januar hin, in der von dem US-Politiker eine "Transformation der Kriegsführung" angekündigt wurde.

Landungsschiff LSD-41 in US-Hafen

Weitgehend unbeachtet von der an die klassische Kriegsführung gewohnte Öffentlichkeit dürfte auch die Forschung an sogenannten nicht letalen Waffen (NLW) einen Schub erhalten, nachdem der Wehretat der USA um 48 Milliarden Dollar erhöht wurde. Das neue an dem nun erklärten Krieg ist einzig, dass ebenso wenig eine Frontlinie wie ein Feind definiert ist. Das gibt der Rüstungsbranche weiten Spielraum bei der Entwicklung neuer Kriegswerkzeuge. Die nicht letalen Waffensysteme sind dabei so vielfältig, wie wenig erprobt. Einer Definition zufolge zählt als nichttödliche Waffe, wenn bei dem Einsatz weder Menschen getötet, noch Sachwerte beschädigt werden. Der US-amerikanische Wissenschaftler und NLW-Experte Nick Begich hält diese eng gefasste Bestimmung aber für zu positiv. Ihm zufolge müssten "weniger als 25 Prozent der Zielgruppe getötet werden". Ein erstes Ergebnis dieses Zweiges der Rüstungsindustrie war der Einsatz von Schaumstoffgranaten, Gummigeschossen und schnell härtenden Schäumen, die Anfang April 2000 von Kfor-Soldaten gegen serbische Truppen eingesetzt wurden. Wer die Sache in Anbetracht dieses bislang einzig bekannten Beispiels neuerer Entwicklungen für Schaumschlägerei hält, irrt gewaltig.

Bei der 1.Europäischen Konferenz über nichttödliche Waffen, zu der Ende September vergangenen Jahres auf Einladung des Fraunhofer-Institutes Wissenschaftler aus aller Welt nach Ettlingen kamen, wurde die ganze Bandbreite dieser futuristischen Waffengattung deutlich. Spezialisten unterscheiden vier Klassen von nichtletalen Waffen. Neben physikalischen Körpern zählen dazu chemische Stoffe, energetische Wellenstrahlung und manipulierte Information. Von den 40 bislang entwickelten Technologien ist der Einsatz von Mikrowellen, Laser und Schall am besten erprobt.

So hat die deutsche Firma Diehl Munitionssysteme eine tragbare Mikrowellenwaffe entwickelt, mit der Elektronik- und Kommunikationssysteme wie Computernetze zerstört werden können. Der Apparat in der Größe eines Aktenkoffers sendet ultrakurze Mikrowellenimpulse mit einer Leistung von 300 Millionen Watt. Mikrowellen können aber auch gegen Menschen eingesetzt werden. Im menschlichen Gehirn kann eine solche Bestrahlung schwere Schäden hervorrufen, selbst wenn sie nur wenige Sekunden dauert. Geplant ist, so hieß es auf der Konferenz, das Auslösen von epileptischen Anfällen oder schlicht der Bewusstlosigkeit des Gegners.

Gegen die zweite Waffengattung, den militärischen Einsatz von Laserstrahlen, laufen internationale Schutz- und Menschenrechtsorganisationen wie das Internationale Rote Kreuz (IRC) und die Human Rights Watch (HRW) bereits Sturm. In einem unlängst erschienen Bericht der HRW werden fünf der nachweislich in den USA gebauten Systemen als besonders weit entwickelt eingestuft. Zu den fünf Systemen zählt die Organisation auch das Laser Countermeasure System (LCMS), das auf ein M-16-Schnellfeuergewehr montiert die Netzhaut des menschlichen Auges noch auf eine Entfernung von einem Kilometer verbrennen kann.

Stürme und Fluten statt Bomben?

Eine zweite Generation der nicht letalen Waffen wird seit geraumer Zeit möglicherweise in Gaskona, Alaska erprobt. Bei dem HAARP (High Frequency Active Auroral Research Programm) handelt es sich um ein breites Feld gekoppelter Sendemasten. Angaben der US-Regierung zufolge soll mit dem System die Ionosphäre erforscht werden. In keiner der Stellungnahmen findet man jedoch eine wissenschaftliche Zielstellung.

HAARP-Anlage, Vogelperspektive

Tatsächlich ist das gesamte Programm der Strategic Defense Initiative (SDI) untergeordnet. Vor Ort wird die Station von der US-Air Force und Navy geleitet. Mit der Anlage wollen die Militärs gepulste Hochfrequenzstrahlen in die Ionosphäre schießen, um diesen atmosphärischen Schutzgürtel zu erhitzen. Damit soll die Schicht punktuell "verschoben" werden. Niemand weiß aber, ob durch eine Beeinflussung der Ionosphäre eine Kettenreaktion ausgelöst wird, die empfindliche klimatische Veränderungen zur Folge hat", schreibt Nick Begich in seinem im vergangenen Jahr erschienenen Buch "Löcher im Himmel. Der geheime Öko-Krieg mit dem Ionosphärenheizer HAARP". An diesem Punkt setzt eine zweite Theorie an. Während der ursprünglichen Idee zufolge die künstlichen atmosphärischen "Linsen" quasi die Funktion eines Satelliten erfüllen sollten, um vor allem langwellige Frequenzen von zehn Hertz zu reflektieren, weshalb sollte nicht ein Nebenprodukt dieser Forschung ins Zentrum rücken?

Die Grundlegende Frage ist es, ob durch Beeinflussung der Atmosphäre klimatische Veränderungen geographisch und temporär begrenzt erreicht werden können. Ist das der Fall, könnte HAARP, das der Öffentlichkeit als wissenschaftliches Forschungsprojekt verkauft wird, vom militärischen Standpunkt und potentiell als Massenvernichtungswaffe verwandt werden. Bedenkt man die Tatsache, dass beide der ehemaligen Großmächte während des Kalten Krieges Methoden zur Klimamanipulation erforscht haben, erstaunt es, dass diese Entwicklungen auf Ebene der Vereinten Nationen bislang keine Rolle gespielt haben. Das ganze könnte als Perry-Rhodan-Szenarium abgetan werden, wenn die Befürchtungen nicht von renommierten Forschern aus dem inneren Kreis der US-Militärforschung bestätigt würden. Die Präsidentin des International Institute of Concern for Public Health, Rosalie Bertell, bestätigte unlängst:

"US-Militärfoscher (...) arbeiten an Wetterstationen als potentielle Waffe."

Schon Mitte der Siebziger Jahre schrieb der damalige Sicherheitsberater der US-Regierung, Zbigniew Brzezinski, in seinem Buch "Between two Ages": "Man arbeitet an Technologien, die den einflussreichen Nationen die Möglichkeit geben, mit minimalen militärischen Aufwand einen maximalen Erfolg zu erzielen, ohne dass die Quelle ausgemacht werden kann. Die klimatische Manipulation kann dabei durchaus verwandt werden, um längere Stürme oder Fluten zu provozieren."

Der internationale Ausschuss des Europäischen Parlamentes hat schon 1998 eine Stellungnahme veröffentlicht, in der ein internationales Aufsichtsgremium für die HAARP-Forschung gefordert wird. Nach einer Expertenanhörung im Februar dieses Jahres stellte der Ausschuss fest:

HAARP can be used for many purposes. Enormous quantities of energy can be controlled by manipulating the electrical characteristics of the atmosphere. If used as a military weapon this can have a devastating impact on an enemy. (...) A series of international treaties and casts considerable doubt on HAARP on legal as well as humanitarian and political grounds. The Antarctic Treaty lays down that the Antarctic may be used exclusively for peaceful purposes. (...) All the implications of the new weapons systems should be examined by independent international bodies. Further international agreements should be sought to protect the environment from unnecessary destruction in war. Internationaler Ausschuss, EP

Somit erscheint auch die Medienkampagne der US-Regierungen in einem anderen Licht, mit der HAARP als rein wissenschaftliches Projekt dargestellt wird. Würde militärischer Nutzen in Betracht gezogen, so wäre das ein automatischer Verstoß gegen den Artikel Eins des Antarktis-Vertrages von 1959. Am 18. Mai 1977 wurde in Genf das ENMOD-Abkommen unterzeichnet, mit dem der Gebrauch militärischer Mittel zur Beeinflussung der Umwelt verboten wurde. Wie eine Reihe anderer aus dieser Zeit stammenden Rüstungskontrollabkommen, ist von dem ENMOD-Dokument heute keine Rede mehr. Zwar verpflichteten sich die Teilnehmer des "Earth Summit" 1992 in Rio de Janeiro, keine Handlungen zuungunsten der Natur zuzulassen. Von militärischen Projekten war schon in Brasilien aber keine Rede mehr.