In den Krieg mit Reality TV

Wenn die Nachrichtenredaktionen nicht an die Front dürfen, springen die für Unterhaltung zuständigen Redaktionen ein und sorgen für die Bewerbung des spannenden Kriegs

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Die US-Regierung und das Pentagon haben offenbar Schwierigkeiten, ihr militärisches Vorgehen und ihre weiteren Pläne in der Welt an die Frau oder den Mann zu bringen. Journalisten und damit Öffentlichkeit verbannt man weitgehend aus dem Kriegsschauplatz, damit vornehmlich keine Bilder in den Umlauf kommen, die für kritische Stimmungen sorgen könnten. Auch wenn das Pentagon eine PR-Firma engagiert hat und überhaupt an der Propaganda im Rahmen der Informationsoperationen mit gemischten Erfolg weiter arbeitet (Das Pentagon will für bessere Propaganda sorgen), so sind bereits einige Rückschläge geschehen. US-Fernsehsender, die Reality TV Folgen von Einsätzen in Afghanistan zeigen sollen, erscheinen zwar als bessere, weil von unabhängiger Seite produzierte Werbung, sie könnten aber auch nach hinten losgehen

Szene aus Black Hawk Down

Die Veröffentlichung der Bilder von den Häftlingen in Kuba durch das Verteidigungsministerium darf man wohl kaum als gelungenen Propagandacoup werten. Möglicherweise aber diente dies auch - wer weiß das schon? - dazu, die Regierung zu einer Entscheidung über die Behandlung der Gefangenen zu bringen. Die blieb allerdings in der Schwebe, festlegen will man sich nicht, um freie Hand zu behalten. Ob das Durchsickern der Informationen über die zu Beginn des Krieges gegründete Abteilung für strategische Informationen glücklich war (Rumsfeld: Pentagon lügt nicht), darf ebenso bezweifelt werden wie das Bekanntwerden von manchen Fehlleistungen des Militärs. Dass ausgerechnet bei einem Vorfall Mitglieder der Nordallianz erschossen und andere womöglich ziemlich unsanft behandelt wurden, ist ebenso peinlich wie die zweifelhaften Tötungsangriffe mit bewaffneten Drohnen, bei denen zunächst immer hohe al-Qaida-Mitglieder, wenn nicht gleich Mullah Omar oder Bin Ladin erlegt worden sein sollen, es sich dann aber vielleicht nur um Plünderer oder ganz Unbeteiligte handelte (Ferngesteuerte Waffensysteme senken die Angriffsschwelle). In einem Land wie Afghanistan, in dem viele bewaffnet sind und uneindeutige, schnell wechselnde Fronten verlaufen, ist ein eindeutiges Feindbild für die Präzisionswaffen und verdeckt operierenden Spezialtrupps wahrscheinlich tatsächlich schwer zu bilden, aber verdeckte Aktionen und ferngesteuerte Waffensysteme laden zu Missbrauch geradezu ein.

Bei den neuen "low intensity conflicts" handelt es sich nicht mehr um die Massenkriege der früheren Zeiten, bei denen es auch bei der siegreichen Partei meist große Verluste gab. Kriege, die fern der Heimat und dank der Telekommunikationsverbindungen von einem Tausende von Kilometern entfernten Hauptquartier geführt werden können, ersticken den Pathos in der Technik. Doch Erfolge brauchen Bilder - von besiegten Gegnern, gefangenen Bösewichtern, Menschenmassen, die die Befreier bejubeln, glorreichen Einmärschen in Städte, Todesmut und auch Bedrohung. Kaum etwas davon war in Afghanistan zu sehen, der asymmetrisch geführte Krieg glich schon eher der Vernichtung von Ungeziefer. Überdies arbeiteten die am Boden operierenden Spezialeinheiten verdeckt, Journalisten waren nicht zugelassen. Da nähern sich "Arbeitsweisen" des Militärs und von Terroristen einander an, um sich der Verantwortung zu entziehen und unvermittelt zuschlagen zu können.

Aber mit dem strategischen Aufstieg der Spezialeinheiten individualisiert sich der Krieg, wird er auch wieder bilderfreundlich, weil es im Prinzip einzelne "Helden" geben kann, die kenntlich werden und nicht in der Masse verschwinden, auch wenn sie über alle modernen technischen Informations- und Kommunikationsmittel sowie die neuesten Waffen verfügen.

Das Verteidigungsministerium sprach denn auch davon, dass in diesem Krieg die neueste Hightech mit der Verwendung von herkömmlichen Waffen und Mitteln wie Pferden, Schwertern und Pistolen zusammen ging. Amerikanische Soldaten von Spezialeinheiten haben, so Rumsfeld, beim Angriff auf die nordafghanische Stadt Masar-e Scharif mit Kämpfern der Nordallianz zusammen gearbeitet. Die US-Soldaten seien wie die Afghanen auf Pferden geritten und hätten den Piloten genaue Angaben machen können, welche Stellungen sie mit Präzisionsbomben zerstören sollten. Der Sieg in der Schlacht sei einer Kombination aus dem "Einfallsreichtum der US-Spezialeinheiten, den neuesten Präzisionswaffen im US-Arsenal ... und der Tapferkeit der beherzten afghanischen Kämpfer auf dem Pferderücken" zu verdanken. Diese Mischung aus Kavallerie und Hightech-Waffen, bei der das 19. Jahrhundert auf das 21. Jahrhundert gestoßen sei, könne eine Vorstellung darüber gehen, wie sich das Militär in Zukunft verändern müsse (Rechtzeitiger Angriff ist manchmal die beste Verteidigung).

Szene aus Black Hawk Down

Natürlich kommen einem da Filme wie Rambo oder James Bond in den Sinn, aber die von Rumsfeld militärromantisch geschilderte Revolution in der Kriegsführung kann auch direkt an den Kult der Westernhelden anschließen, die einsam oder zu wenigen gegen das Böse kämpfen. Die in vielen Hollywoodfilmen dargestellte und in die Köpfe eingeprägte Dramaturgie des auf sich selbst gestellten guten Helden, der zur Not auch gegen die gesamte Welt das Böse jagt und schließlich mit Waffengewalt besiegt, ließ sich kaum auf die modernen Kriege übertragen, sehr viel besser aber schon wieder auf den neuen Krieg, der mit Spezialeinheiten geführt wird.

Letzte Woche wurde bekannt, dass ABC für eine 13-teilige Reality TV Serie "Profiles From the Front Line" amerikanische Truppen in Afghanistan begleitet. Überdies ist geplant - und ebenfalls vom Pentagon genehmigt worden -, dass der Musikkanal VH1 eine Reihe von gefilmten "Tagebüchern" zeigen wird. Für das "Military Diaries Project" sollen an 60 Soldaten Digitalkameras ausgegeben werden, um "die Geschichte zu erzählen, wie das Leben eines jungen Mannes oder einer jungen Frau in den Streitkräften derzeit aussieht", so der Produzent R. J. Cutler. Damit auch das Interesse der Zuschauer wach bleibt, sollen die Selbstdarsteller sich gut artikulieren können, einen Sinn für Humor besitzen und natürlich gute Soldaten sein. Das Pentagon hat in beiden Fällen aufgrund des Schutzes der nationalen Sicherheit das Recht, sich das Ergebnis vor dem Senden anzusehen, die Produzenten betonen aber, dass die inhaltliche Kontrolle bei ihnen bliebe. Zu offensichtlich darf die Werbung für das Pentagon schließlich nicht sein, da dies weder dem Verteidigungsministerium noch den Sendern dienen würde, gleichwohl wird es sich um eine gereinigte Realität handeln, in der nur enthalten ist, was den eigenen Interessen dient und das Handeln der Soldaten glorifiziert.

Die Idee des Reality TV Projekts, solche kleinen Gruppen von Soldaten im Einsatz von einem Fernsehteam begleiten zu lassen, kann daher dem Pentagon nur Recht sein, wenn er denn die Möglichkeit der Kontrolle besitzt, um unerwünschte Szenen zu zensieren. Schon die Perspektive, den Einsatz aus der Sicht der Spezialeinheit und nicht der Gegner zu drehen, dürfte wohl in den USA zur erwünschten Identifizierung mit den Soldaten führen, die die Bösen jagen oder von diesen bedroht werden.

Szene aus Black Hawk Down

Die ABC Reality TV Serie wird von Bertram van Munster, der bislang ähnliche Erfahrung mit Polizei-Einsätzen gesammelt hat, und Jerry Bruckheimer produziert, der gerade eben seine schon prä-11.9. patriotische Gesinnung mit dem zuerst verschobenen und dann doch wegen nationaler Eignung passendem Film "Black Hawk Down" oder "Pearl Harbor" demonstriert hat (Retuschierung im 35mm Format). Solche Männer braucht das Land derzeit, um die "mitreißenden persönlichen Stories von Frauen und Männern des US-Militärs" zu erzählen, die, wie ABC schreibt, "die Last dieser Kämpfe tragen". Munster freut sich denn auch, dass sowohl Vizepräsident Cheney als auch Verteidigungsminister von dem Projekt angetan sind. Das verlangt natürlich gegenseitige Anerkennung, weswegen auf Kritik auch verzichtet wird: "Obviously we're going to have a pro-military, pro-American stance. We're not going to criticize." Und Munster lässt sich die Chance auch nicht entgehen, die Illusion des Reality TV noch einmal zu bewerben: "Wir haben den Zugang zu allem eröffnet erhalten, und wir können uns diese Chance nicht entgehen lassen. Wir werden die Zuschauer zu den wirklichen Männern und Frauen, zu den Helden brigen, die den Krieg gegen den Terror kämpfen." Da wäscht wie so oft eine Hand die andere.

Wenn schon nicht die Journalisten mit an die Front dürfen, so dürfen also jetzt die zumindest die Unterhaltungsabteilungen den Stoff für "enduring freedom" liefern. Man muss ja nicht unbedingt Informationen an die Bürger des eigenen Landes über die Nachrichtenredaktionen liefern, sagte beispielsweise Admiral Craig Quigley, der Sprecher des Hauptkommandos, das den Militäreinsatz in Afghanistan leitet. Das sei zwar das primäre Medien, "aber wenn es eine Möglichkeit gibt, den Mut und den Professionalismus unserer Männer und Frauen in Uniform zur Hauptsendezeit 13 Wochen lang darzustellen, dann werden wir diese nutzen. Das ist eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen kann." Der Admiral beteuert aber, dass die Kamerateams in guter Form sein müssten, um die Einsätze im ganzen Land begleiten zu können.

Reality TV ist derzeit zwar nicht mehr besonders begehrt, doch bei dem Abenteuer, in dem sich dis US-Amerikaner unter der gegenwärtigen Regierung stürzen, dürfte ein unterhaltsamer Blick in das abenteurliche Leben da draußen für die Zuhause Gebliebenen möglicherweise nicht uninteressant sein und vielleicht auch einen neuen Kitzel auslösen, wenn denn etwas geboten wird. Es wird also neben dem Schneiden von unerwünschten und langweiligen Szenen schon wie üblich kräftig mitinszeniert werden müssen, um zumindest die patriotische Stimmung mit einer gewissen Erregung zu unterlegen.

Vielleicht aber erwachen auch die amerikanischen Nachrichtenmedien noch mehr aus ihrem regierungstreuen Dornröschenschlaf, wenn jetzt die Konkurrenz von der Unterhaltung einen direkten Zugang zu den Geschehnissen an der Front erhalten sollte, der ihnen stets verweigert wurde. Und so könnte auch diese indirekte PR-Maßnahme des Pentagon letztendlich nach hinten losgehen.