Privatkopie wird der Zahn gezogen

Das Justizministerium hat den lange angekündigten Entwurf für ein neues Urheberrecht fertig gestrickt, mit dem technische Schutzmaßnahmen zur digitalen Rechtekontrolle gesetzlich verankert werden sollen

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Auf der Schmalspur versucht das Bundesjustizministerium, die heftig umstrittene Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie der EU noch fristgerecht über die Bühne zu bringen. Heiße Eisen wie Regelungen zu elektronischen Pressespiegeln, Bibliotheken und Archivbeständen packen die Mannen von Ministerin Herta Däubler-Gmelin im taufrischen Referentenentwurf zur Anpassung des Urheberrechts ans digitale Zeitalter daher gar nicht erst an. Doch auch die Einordnung der Brüsseler Bestimmungen zum Schutz technischer Kontrollsysteme ins deutsche Recht sowie die Anpassung der in die Rechte der Urheber und Verwerter eingreifenden "Schrankenregeln" bieten enormen Zündstoff. So wird das Recht auf die Privatkopie im digitalen Umfeld beispielsweise erst mal den Interessen der Medienindustrie geopfert.

Seit Jahren arbeitet das Bundesjustizministerium an der Anpassung des Urheberrechts an die digitale, total vernetzte Informationsgesellschaft, in der Inhalte kinderleicht und ohne Qualitätsverlust vervielfältigt sowie übers Internet ausgetauscht werden können. Dabei haben sich die Beamten das hehre und nicht ganz von Widersprüchen freie Ziel gesetzt, sowohl den Schutz der Rechteinhaber zu gewährleisten als auch den Informationsansprüchen der mit Hilfe ihrer digitalen Universal-Maschinen der Wissensgesellschaft entgegen ziehenden Nutzer gerecht zu werden.

Im Berliner Justizministerium reagierten sich die Gemüter derweil im Streit um das neue Urhebervertragsrecht ab (Autoren ausgehebelt), der die Ressourcen der Gesetzestexter deutlich länger als geplant in Beschlag nahm. Jetzt muss es daher schnell gehen mit der Umsetzung der Richtlinie der Europäischen Union, da die Frist zum Dezember diesen Jahres ausläuft.

Zwei neue Schrankenregelungen

Um sich ähnlich zeitraubende Kontroversen und großflächige Stimmungsmache-Kampagnen der Medienkonzerne wie beim Urhebervertragsrecht zu ersparen, überlässt das Justizministerium Regelungen wie zu E-Pressespiegeln oder zahlreichen möglichen Schranken wie für Archivbestände von vornherein (weiter) den Gerichten. Andere Ausnahmen vom umfassenden Urheberrecht wie die Erlaubnis, zur Berichterstattung über Tagesereignisse in der Presse oder nun eben auch in "sonstigen Datenträgern" beziehungsweise in Online-Magazinen aus geschützten Werken zu zitieren, werden allenfalls behutsam an die neue Medienwelt angepasst.

Neu eingeführt wird aus dem "Kann-Katalog" aus Brüssel in § 45a des Telepolis vorliegenden Entwurfs nur eine "Schranke" für Behinderte: Sie sollen Werke in "eine andere Wahrnehmungsform" umwandeln dürfen. Das Recht könnte konkret etwa für Blinde bei einem Roman die Aufnahme des Werks auf einem Tonträger oder die Umwandlung in Blindenschrift umfassen.

Ohne Vertun soll mit § 44a auch die einzige von der EU verbindlich vorgegebene Ausnahmeregelung für "flüchtige Vervielfältigungen" festgeschrieben werden, die integraler Teil eines technischen Vorgangs wie etwa des kurzzeitigen Speicherns von Websites auf Proxy-Servern von Providern oder im Browser-Cache sind. Eine "eigenständige wirtschaftliche Bedeutung" dürfen diese Kopiervorgänge allerdings nicht erreichen, was unter Umständen Juristen zu Spitzfindigkeiten verleiten könnte.

Kopierschutz soll unantastbar werden

Gemäß seines Ziels, niemandem wirklich weh zu tun, drückt sich der Entwurf ansonsten in vielen Punkten um klare Aussagen. So dehnt er zwar einerseits das Recht zum Vervielfältigen zum privaten Gebrauch in § 53 auf "beliebige Träger" und damit auf analoge wie digitale Medien aus. Der mit der Kopierlizenz Ausgestattete darf die Vervielfältigung auch "durch einen anderen herstellen lassen, sofern dies unentgeltlich geschieht".

Andererseits ist die Erlaubnis zum privaten Kopieren zahnlos angesichts einer der Kernverfügungen des Entwurfs in § 95, die natürlich wieder auf Brüssel zurückgeht. Demnach dürfen technische Maßnahmen, die "im normalen Betrieb dazu bestimmt sind", Werke oder andere Schutzgegenstände vor nicht von den Urhebern genehmigten Handlungen zu schützen, "ohne Zustimmung des Rechtsinhabers nicht umgangen werden".

Voraussetzung für diese Bestimmung ist, dass die Schutzmaßnahmen "wirksam" sind. Inhalte müssen dafür "durch eine Zugangskontrolle, einen Schutzmechanismus wie Verschlüsselung, Verzerrung oder sonstige Umwandlung oder einen Mechanismus zur Kontrolle der Vervielfältigung" unter die digitale Plombe gesteckt werden. Die Formulierung ist so weit, dass darunter fast jede Art von Kopierschutz und Systemen zum Digital Rights Management (DRM) fällt. Dass diese nicht nur von Mega-Cracks in der Regel leicht ausgehebelt werden können, spielt für den Gesetzgeber bislang keine Rolle.

Entsprechend dem im Februar verabschiedeten Zugangskontrolldiensteschutz-Gesetz ist zudem auch die Herstellung, die Einfuhr, die Verbreitung, der Verkauf, die Vermietung sowie die Werbung und der Besitz von Werkzeugen oder Vorrichtungen zur Umgehung der Schutzmaßnahmen zu "gewerbsmäßigen Zwecken" verboten.

Der vorgeschlagene Rechtsschutz, der auch die Entfernung von digitalen Wasserzeichen oder anderen Informationen über die Rechtewahrnehmung beinhaltet, bezieht sich laut Begründung allerdings nicht auf den Bereich der Computerprogramme. Denn mit dieser Ausweitung gäbe es erhebliche Probleme im Verhältnis zu § 69 des bestehenden Urheberrechtsgesetzes, der die Erstellung einer Sicherheitskopie und die Dekompilierung von Software-Code gestattet, fürchten die Verfasser des Entwurfs.

Kein Selbsthilferecht der Nutzer

Für die Nutzer besonders interessant ist im Bereich der Schutztechnikverfügung § 69b, mit dem die vorher eingeführten Schrankenbestimmungen durchgesetzt werden sollen. Die beziehen sich beispielsweise auf die neue Regelung für Behinderte oder auf die Presseausnahme, ausdrücklich jedoch nicht auf das Recht auf die Privatkopie.

Rechteinhaber werden darin verpflichtet, den Ausnahmeberechtigten "die technischen Mittel zur Verfügung zu stellen, um die jeweilige Schranke in dem erforderlichen Maße nutzen zu können". Ansonsten drohen Bußgelder bis zu immerhin 200.000 Euro. Das ist deutlich mehr als die 50.000-Euro-Höchststrafe, die Verbreitern von Cracker-Werkzeugen blüht.

Doch letztlich verliert der Gesetzesentwurf seine Stringenz im Dickicht der Kopierschutzklauseln - wie schon sein Brüsseler Vorbild. So soll einerseits mit "Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe" belegt werden, wer technische Rechtskontrollsysteme umgeht, entfernt oder Cracker-Software verbreitet. Wenn die Tat "ausschließlich zum eigenen privaten Gebrauch" erfolgt, soll sie allerdings von diesen drakonischen Maßnahmen freigestellt werden. Von einem "Selbsthilferecht zur Umgehung der technischen Maßnahmen" will das Justizministerium allerdings nichts wissen.

Der Entwurf hält sich sehr bedeckt, was die Ermöglichung der gesetzlichen Nutzungsformen gegen die Technik angeht. Denkbar seien "unterschiedlichste technische Lösungen", dank derer beispielsweise den Berechtigten "Schlüsselinformationen zum ein- oder mehrmaligen Überwinden" der Schutzvorkehrungen überlassen werden. Begünstigten könnte aber auch die Möglichkeit geboten werden, auf völlig unabhängigem Wege - etwa über einen Internetabruf - Kopien in der benötigten Form zu erhalten.

Die Unbestimmtheit sieht das Justizministerium allerdings nicht als Manko. Vielmehr will es dadurch den in der EU-Richtlinie geforderten "freiwilligen Maßnahmen" der Rechteinhaber zum Lockern der Kontrollsysteme Raum geben. Die könnten etwa in Form vertraglicher Vereinbarungen mit Vereinigungen der jeweiligen Begünstigten festgelegt werden. Auch Verbandsklagen sollen möglich werden, um die Belastungen einzelner Berechtigter im Rahmen zu halten und eine über den Einzelfall hinausgehende Verbindlichkeit von Entscheidungen zu erreichen.

Lizenzen und Streaming zementieren die Urheberrechte

Die Urheber und die Verwerter ihrer Rechte können sich dem ganzen Stress rund um die Durchsetzung von Schrankenregeln allerdings ganz einfach entziehen, indem sie Werke auf vertraglicher Grundlage mit gesonderten Lizenzen öffentlich zugänglich machen. Das ist schon heute gerade für Bibliotheken zum Problem geworden, obwohl sie auch das Bundesjustizministerium gerne als Hort des Wissens in der Informationsgesellschaft feiert.

Das neue Urheberrecht könnte sich mit dem Segen Brüssels so rasch als Barriere auf dem Weg in die digitale Welt herausstellen. Zumal mit dem neuen "Recht der öffentlichen Zugänglichmachung" alle Inhalte von den Schranken befreit werden, die "on demand", also orts- und zeitunabhängig, feil geboten werden. Sollte das "strömende" Netz Wirklichkeit werden, in dem Audio, Texte oder Video nur kurzzeitig ausgestrahlt und vermietet werden, wären alle "fair use"-Rechte damit dahin. "Das Vorhalten urheberrechtlich geschützter Werke zum Abruf in digitalen Netzen", erklärt die Begründung des Gesetzesentwurfs unmissverständlich, "unterfällt dem ausschließlichen Verwertungsrecht des Urhebers."

Pauschalvergütungen als Auslaufmodell?

Keine deutliche Präferenz zeigt der Entwurf bei den Vergütungsregelungen, die als Ausgleich für die Schrankenrechte vorgesehen sind. Bei der Gestaltung von Tarifen für Pauschalabgleiche, die Verwertungsgesellschaften in Zukunft auch für PCs und CD-Brenner einziehen wollen, sollen die technischen, eine individuelle Abrechnung ermöglichenden Schutzvorkehrungen zwar berücksichtigt werden. Dabei geht es aber nicht um eine möglichst rasche Ablösung der Pauschalvergütungen im digitalen Umfeld, wie es der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom seit langem vehement fordert. Allein ihre preisliche Anpassung will das Justizministerium anregen, um Doppelvergütungen zu vermeiden.

Die seit Jahren verfolgte "umfassende Anpassung des Urheberrechts" an das Internet und die Gepflogenheiten der Rip-Mix-and-Burn-Generation steht mit dem jetzt vorliegenden Gesetzesentwurf trotz seines genau das suggerierenden Titels nach wie vor aus, wie seine Verfasser selbst nicht verheimlichen. Die noch offenen Fragen wie etwa die Durchsetzung der Privatkopieschranke bei der Anwendung technischer Schutzmaßnahmen sollen gesondert mit allen Betroffenen weiter intensiv und ohne Zeitdruck erörtert und Gegenstand eines weiteren Gesetzesentwurfs werden, verspricht das Justizministerium. Doch noch erscheint selbst der aktuelle Plan ambitioniert, das "Lite-Update" vor der Bundestagswahl im Herbst durchs Parlament zu bringen.