Deutsche Bahn verklagte XS4ALL wegen linksradikaler Zeitschrift "Radikal" und gewann

UPDATE: XS4ALL musste die "Radikal"-Seiten vom Netz nehmen; Amsterdamer Gericht urteilte nach der in niederländisches Recht umgesetzten europäischen E-Commerce-Richtlinie

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Was dem Generalbundesanwalt in vier Jahren nicht gelang, gelang nun der Deutschen Bahn innerhalb von wenigen Tagen: Der niederländische Internet-Service-Provider XS4ALL musste die "Radikal"-Seiten vom Netz nehmen.

Auf Antrag der Deutschen Bahn hatte der Generalbundesanwalt 1996 das Verfahren übernommen. Er forderte deutsche Provider auf, den Zugang zur XS4ALL-Domain zu sperren, da der niederländische Provider zwei inkriminierte Ausgaben der linksradikalen Zeitschrift "Radikal" hostete. Da prompt überall in der Welt als Reaktion auf diesen Zensurversuch Website-Spiegel auftauchten, stellte sich dies als wirkungslos heraus. Im Juni 2000 stellte der Generalbundesanwalt das Verfahren gegen eine geringe Geldbuße von 1000 Mark ein, da den Geschäftsführern von XS4ALL damals keine positive Kenntnis nachgewiesen werden konnte. (siehe auch Fall Radikal endgültig ad acta gelegt?)

Die Juristen der Deutschen Bahn überprüften seither immer wieder, ob die Seiten noch im Netz waren. Zeitweise, so Syndikusanwalt Christian Schreyer gegenüber telepolis, sei die Publikation vom Netz gewesen. Doch vor drei Wochen machte ein Kunde die Konzernsicherheit darauf aufmerksam, dass die Sabotageanleitungen erneut im Netz waren. Deshalb zitierten sie den in der Netzszene international berühmten Provider vor Gericht. Doch dieses Mal war es kein deutsches Gericht, das über niederländisches Recht urteilte, sondern ein niederländisches Gericht:

Nachdem die Deutsche Bahn am 8. April XS4ALL aufforderte, das Material zu entfernen, bat XS4ALL den Eisenbahnkonzern nach einem seither eingeführten Standard-Verfahren nachzuweisen, ob das Material unter niederländischem Recht illegal sei. Anstatt zu antworten, klagte die Deutsche Bahn bereits am 10. April. Die Verhandlung war für den 15. April festgesetzt.

Die Richter entschieden für die Position der Deutschen Bahn. XS4ALL berief sich darauf, dass die "Radikal"-Ausgaben in den Niederlanden nie verboten war. Das Material war aber nach Auffassung des Amsterdamer Gerichts auch nach niederländischem Recht illegal ('onmiskenbaar onrechtmatig'). XS4ALL verlor auch in einem Verfahrensaspekt: Die Richter urteilten, dass XS4ALL mit eineinhalb Arbeitstagen genügend Vorbereitungszeit gehabt habe. Die Deutsche Bahn habe Recht gehabt, ein Eilverfahren anzustrengen - selbst wenn fünf Jahre seit der Veröffentlichung vergangen waren. Der Aspekt, dass die Website mehrfach im Netz gespielt war, spielte keine Rolle.

Das Amsterdamer Gericht urteilte nach der in niederländisches Recht umgesetzten europäischen E-Commerce-Richtlinie. Demnach haften Provider für illegale Inhalte, wenn sie darüber positiv Kenntnis haben und ihnen eine Sperrung zugemutet werden kann. Da die Deutsche Bahn XS4ALL zwei Tage zuvor in Kenntnis gesetzt hatte und der Provider die Sperrung mit Verweis auf die "üblichen Verfahrensprozeduren" verweigert hatte, besaß er jedenfalls laut Richtlinie "positive Kenntnis"

Bahnjurist Christian Schreyer wollte damit "ein Zeichen setzen, dass nicht jeder Sabotageanleitungen gegen die Bahn im Internet veröffentlichen kann". Er wies zudem auf die hohen Reparaturkosten hin. Zwar glaube er nicht, dass die Veröffentlichungen im Netz direkt zu den Sabotageaktionen geführt hätten, da diese in der Szene ohnehin kursierten. Er bezeichnete jedoch die Sabotageanleitungen als sehr wirksam. Die Anschläge seien eher im Zusammenhang mit den Castortransporten zu sehen. 1996 verzeichnete die Bahn 39 Anschläge mit Hakenkrallen sowie 36 Anschläge auf Achszähler. Im letzten Jahr waren es 19 Hakenkrallen-Anschläge und 6 Achszähler-Anschläge. Die Reparaturkosten einer beschädigten Oberleitung beliefen sich jeweils im fünfstelligen Bereich - ohne Ausfallschäden.

XS4ALL-Sprecherin Sjoera Nas teilte mit, der Provider wolle die für den 25. April angekündigte schriftliche Begründung abwarten und dann über eine Berufung entscheiden. Gegenüber telepolis sagte Nas: "Wir sind sehr enttäuscht, da die Materialien sehr lange online verfügbar und in den Niederlanden nie verboten waren". Unglücklicherweise - für die Meinungsfreiheit - habe sich der Richter jedoch anders entschieden.