Die Geburt der Zivilisation aus dem Geist des Totschlägers

Zum Waffengebrauch beim Neandertaler und anderen Unzeitgenossen

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Tarzannachfolger Lex Barker wunderte sich über Johnny Weissmullers Geschick, perfekte stunts mit Schimpansen vor der Kamera zu realisieren. Die Menschenaffen standen nicht gerade im Ruf, sanftmütige Komparsen zu sein. Weissmullers Rezept: "Zeig' ihnen das große Messer, was sie dir gegeben haben. Wenn sie dir das erste Mal einen neuen Schimpansen vorstellen, ziehst du es heraus und schlägst es ihm auf den Kopf, so fest du kannst. Das vergisst der dann nicht mehr so schnell!"

Rekonstruktion des Neandertalerkindes Gibraltar 2 durch die von Christoph Zollikofer entwickelte computerunterstützte Paläoanthropologie (CAP)

Ein schweizerisch-französisches Forscherteam um Christoph Zollikofer konnte für Johnny Weissmullers Intuition eine wissenschaftliche Hypothese präsentieren, die jetzt in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlicht wurde. Zollikofer hält es auf Grund seiner computerunterstützten paläologischen Befunde für möglich, dass die Unterscheidung zwischen Menschen und Menschenaffen im bewussten Gebrauch von Waffen im inner- und zwischenartlichen Kampf liegt.

Der keulenschwingende Neandertaler

Corpus Delicti: Der Schädel eines 36.000 Jahre alten Neandertalers, in den Siebzigerjahren in der Nähe des französischen Dorfes St. Césaire gefunden. "St. Césaire 1" ziert eine verheilte Schädelverletzung, die sich längsseitig über den Kopf erstreckt. Alles spricht dafür, dass ihm die gefährliche Blessur von einem Artgenossen zugefügt wurde, der ihn mit der Waffe attackierte. Ein Jagdunfall oder andere natürliche Erklärungsursachen seien nach der virtuellen Rekonstruktion ausgeschlossen. Dass die Neandertaler mit Waffen aufeinander losgingen, würde ihr Sozialverhalten etwas weniger freundlich als bisher vermutet darstellen.

Die Forscher sehen im bewussteren Umgang mit Werkzeugen bzw. Waffen das entscheidende Kriterium, um jenseits der Anatomie die Unterschiede zwischen Menschen und Menschenaffen besser zu erklären. Damit sind die Anthropologen da angekommen, worüber Stanley Kubrick bereits 1968 in seiner Space Odyssee cineastisch reflektierte (Kubrick 2 0 0 1). Eine gut geschwungene Keule verheißt den evolutionären Sieg über die Beute und die fremde Horde. In Kubricks legendärem Matchcut verwandelt sich der knöcherne Totschläger bekanntlich über die Jahrtausende hinweg umstandslos in ein Raumschiff. Waffen- und Werkzeugkunde sind kaum sauber zu trennen, dual use eben.

Christoph Zollikofer will die Idee des keulenschwingenden Neandertalers indes nicht propagieren. Aber die Ergebnisse sprechen für sich. Alle Primaten verteilen wohl herbe Kopfnüsse. Aber Menschenaffen gebrauchen Werkzeuge nur sehr zurückhaltend. Die berühmte Schimpansenforscherin Jane Goodall beobachtete etwa ein Tier, das mit einen Grashalm in einem Termitenhügel stocherte, um sich mit den Insekten zu verköstigen. Nach Forschungen des Psychologen Wolfgang Köhler können Schimpansen zwei Bambusstäbe ineinander stecken, um Distanzen zu überwinden, wenn das Objekt der Fressbegierde außerhalb der Armreichweite lag. Diese instrumentellen Künste funktionieren aber nur situationsabhängig und bei starken Reizauslösern. Das "Werkzeugdenken" erreicht keinesfalls je die Komplexität menschlichen Umgangs mit Instrumenten jedweder Art.

Waffen/Werkzeuge und soziale Organisation

Nun steht "St. Césaire 1" aber nicht nur für den koordinierten Gebrauch von Prügeln, sondern auch für den sozialen Impetus des Neandertalers. Der schwer Verletzte wurde höchstwahrscheinlich von seiner Horde gesund gepflegt. Anders hätte er die Verletzungen kaum überleben können. Der Naturwissenschaftler Gerhard von Frankenberg stellte zu diesem tierisch menschlichen Verhalten einmal fest: "Auf die Dauer erweist sich Güte als die stärkste Waffe im Daseinskampf".

Für die Forscher zeichnet sich ab, dass der Gebrauch von Werkzeugen respektive Waffen die soziale Organisation der Gruppe stark beeinflusst hat. In der Folge ihrer Gesellschaftsbildung werden Kontrollmechanismen notwendig, um zwischen aggressivem und friedlichem Einsatz der Waffen auszugleichen. Jeder Mensch ist so ein Mediator zwischen Aggression und Kooperation mit seinen Artgenossen. Der stark angefochtene Aggressionstrieb (Konrad Lorenz) oder das "Aggressionsgen" sind für den Neurobiologen Steven Rose jedenfalls inakzeptable Erklärungen menschlicher Aggressivität. Rose spricht von komplexen sozialen Prozessen, die etwa von der Soziobiologie völlig unzulässig auf eine "Sache" zwischen Genen und Umwelt reduziert würden. Wie Gerhard Roth für die Neurowissenschaften feststellte, ist der Mensch im Blick auf seine Prädispositionen flexibel.

Der Menschen: der gefährlichste Terminator

Der Neandertaler, der kein direkter Vorfahre des Menschen ist, könnte das Zeitliche gesegnet haben, weil weder seine Waffen noch seine soziale wie praktische Kompetenz, den Totschläger gezielt einzusetzen, die Qualität besaß, über die "homo sapiens" verfügte. Der Neandertaler zog gegen Gruppen des "homo sapiens" wohl häufig den Kürzeren und verschwand schließlich aus der Evolutionsküche ohne Wiederkehr.

Szene aus "2001" von Stanley Kubrick

Ob der Mensch auch das größte Aggressionspotenzial hat, könnte dagegen nicht nur eine marginale Frage sein, sondern dürfte auch kaum zu parametrisieren sein. Tiere sind bekanntlich auch aggressiv genug, selbst Krieg zu führen. Mitte der Siebzigerjahre beobachtete etwa Jane Goodall einen vier Jahre währenden, blutrünstigen "Krieg" zwischen zwei Schimpansengruppen, der mit der Ausrottung einer Gruppe endete. Unter waffentechnischen Aspekten ist der Mensch aber der gefährlichste Terminator, der je die Erde verunsicherte. Und sein Aggressionspotenzial, wo immer dessen Quellen liegen mögen, reicht auch noch lange aus, diese Kunst immer wieder unter Beweis zu stellen.

Zuletzt hatten noch der Biologe Randy Thornhill und der Anthropologe Craig T. Palmer in A Natural History of Rape behauptet, die Neigung zur Vergewaltigung stecke bei Männern in den Genen (Reduktiver Imperativ). Immerhin waren sie klug genug, auf öffentliche Lesungen zu verzichten, um keine handgreiflichen Belege für ihre Aggressionsthese sammeln zu müssen. Im Blick auf die jetzt von Zollikofer präsentierten Erkenntnisse könnte diese kühne These aber vielleicht Soziologen inspirieren, die "Phallokratie" aus dem Geist aggressiv eingesetzter Werkzeuge wissenschaftlich noch besser abzusichern. Stanley Kubrick hat auch hierzu mit "Uhrwerk Orange" bereits die kinematografische Vorarbeit geleistet.