Tag der Schande

Tod bei der Zwangsabschiebung

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Der erste Mai. Wie überall auf der Welt gilt er auch in Österreich als "Tag der Arbeit". Insbesondere im "roten Wien" wurde er jahrzehntelang als nahezu sakrosankter Feiertag zelebriert. Selbst die öffentlichen Verkehrsmittel ruhten, damit auch wirklich alle Arbeiter vor dem Wiener Rathaus ein sozialistisches "Freundschaft" anstimmen konnten. Vorbei. Heute markiert der erste Mai die größte Schande Österreichs. Nicht wenige Menschen meinen daher, dieser Tag müsse in "Marcus Omofuma-Tag" umbenannt werden.

Omofuma war Nigerianer. Zum Zeitpunkt seines Todes, am ersten Mai 1999, war er zwei Wochen von seinem 26. Geburtstag entfernt. Er hatte bereits fünf Jahre zuvor in Deutschland um Asyl angesucht, das ihm dort nicht gewährt wurde. Nun hielt er sich "illegal" in Österreich auf. Er sei, gab er an, mit einer berüchtigten nigerianischen Sekte in Berührung gekommen. Man habe ihn zwingen wollen, seine Mutter zu töten. Er weigerte sich, fiel bei der Sekte in Ungnade. Ihm selbst drohte daraufhin Lebensgefahr. Das österreichische Bundesasylamt hielt die Geschichte für "in keinster Weise glaubwürdig". Omofuma kam in sogenannte "Schubhaft" - er wurde verhaftet und sollte in seine Heimat abgeschoben werden. Man ging in Berufung: zweite Instanz. Die wies das Asylgesuch ebenfalls ab, gab aber zu, dass die Praktiken der Sekte bekannt seien. Trotzdem wurde die Abschiebung verhängt. Bei der ersten Etappe des Fluges nach Lagos, noch vor der Zwischenlandung in Sofia, Bulgarien, war Omofuma tot. Die drei österreichischen Polizeibeamten, die ihn begleiteten, hatten ihn systematisch zu Tode gequält (Erfolgreich abschieben).

"Menschenverachtende Verklebung eines Menschen zur Mumie"

Der Tod von Marcus Omofuma war kein Einzelfall. In den Ländern der EU waren in den vorausgegangenen 12 Monaten mindestens 10 Personen auf ähnliche Weise im Zuge zwangsweiser Deportationen ums Leben gekommen. Die Praktiken waren immer die gleichen. Die Atemwege wurden teilweise oder vollständig zugeklebt, es gab Knebelungen mit Klebeband, die Verwendung von Gift- oder Reizgas, Verabreichung von Beruhigungsmitteln gegen den Willen der Betroffenen. Übergriffe durch die Exekutivbeamten waren nicht selten.

Auch in Österreich waren diese Praktiken üblich. Im Februar 1999 starb der Senegalese Ahmed F. bei seiner Verhaftung im Zuge einer Drogenkontrolle. Todesursache war eine Drogenkugel, die in seiner Luftröhre steckengeblieben war. Zeugen gaben an, Ahmed sei am Boden liegend von den amtshandelnden Polizisten geschlagen worden. SPÖ-Innenminister Karl Schlögl meinte damals: "Die Vorgangsweise der Beamten war korrekt und vorbildlich." Ahmed F. war das erste Todesopfer dieser österreichischen Fremdenpolitik.

Auch Marcus Omofuma war bereits, als die Polizisten in ins Flugzeug brachten, mit mehreren Schichten Klebeband bewegungsunfähig gemacht. Im Flugzeug wurde er vom Unterleib bis knapp unter die Nase mit dem Klebeband umwickelt und an den Sitz geklebt. Um das Klebeband über das Kinn noch fester anziehen zu könne, drückte ein Polizist den Kopf Omofumas hinunter. Sein Kollege schnürte den bereits völlig mit Klebeband umwickelten Körper noch zusätzlich mit einem Plastikgurt an den Sitz. Beim Anspannen stemmte er sich gegen den Sitz und lachte seinem Kollegen zu.

Dies bezeichnete der Staatsanwalt bei dem Prozess gegen die Beamten, der nun, drei Jahre später, im provinziellen Korneuburg über die Bühne ging, als "menschenverachtende Verklebung eines Menschen zur Mumie."

Erstickungstod in der Öffentlichkeit

Die viehische Behandlung des Gefangenen fand übrigens nicht ohne Zeugen statt. Mit an Bord war damals eine 52-köpfige holländische Tanzgruppe. Nur ZWEI Personen dieser Gruppe wurden, nachdem die Österreich-Korrespondentin einer niederländischen Tageszeitung auf die Zeugengruppe hingewiesen hatte, von der österreichischen Untersuchungsrichterin angehört. Die Richterin zeigte sich aber an den Aussagen nicht sonderlich interessiert und konzentrierte sich hauptsächlich darauf festzustellen, ob die Nase Omofumas verklebt war. Die Aussage einer Zeugin darüber fand sich im Protokoll dann jedoch einigermaßen verdreht wieder. Ihre Beobachtung, dass die Nasenflügel durch das straff angezogene Klebeband so angespannt waren, dass nicht mehr die ganzen Nasenlöcher frei waren, wurde zu: "Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob nicht vielleicht ein Teil der Nasenlöcher verklebt war, es war aber mit Sicherheit zumindest immer ein Teil der Nasenlöcher frei."

Der Verteidiger der drei Beamten, der Wiener Staranwalt Farid Rifaat (übrigens ein Ägypter, unter anderen Umständen also leicht selber ein "Schubhäftling"), machte daraus: "Eine der holländischen Zeuginnen hat ausdrücklich deponiert, dass die Nasenlöcher Omofumas frei von Klebebänder geblieben sind."

Doch im Gegenteil: Die Zeuginnen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits das Gefühl, dass Omofuma im Koma läge und fürchteten, dass er stürbe. Die Polizisten wirkten dagegen "stoisch und gefasst", keine Spur von Überforderung. Für sie schien die Situation Routine zu sein. Einmal sagten sie: "Wir müssen das leider manchmal machen."

Das Nachrichtenmagazin "Profil" interviewte später den bulgarischen Piloten Vassil Iliev, der im Flugzeug zwei Sitze weiter gesessen und beobachtet hatte, wie Omofuma herein gebracht wurde. Sein Kopf war zu diesem Zeitpunkt unterhalb der Nase schon mehrfach mit Klebeband umwickelt. Iliev: "Die Polizisten haben mir erzählt, dass sie dem Schwarzen dünne Plastikhandschellen angelegt hatten, die sich zusammenziehen, wenn er sich zu stark bewegt. Zusätzlich haben sie ihm die Hände noch mit dem Klebeband gefesselt. Dann holten die Polizisten noch zwei schwarze Ledergürtel hervor, mit denen sie den Nigerianer, zusätzlich zum Sitzgurt, an der Sessellehne festschnallten. Schließlich umwickelten sie mit ihrem Klebeband noch seinen halben Oberkörper mit der Sitzlehne." Iliev hatte während des Fluges die Polizisten mehrfach gefragt, ob es dem Gefangenen auch gut gehe. Darauf hätten sie jedes Mal seinen Puls gefühlt und gesagt: "He's alive."

Jedoch: bei seiner Ankunft in Sofia war Omofuma bereits seit einer halben Stunde tot. Der bulgarische Gerichtsmediziner Stojcho Radanov war der erste Arzt, der die Leiche im Flugzeug sah. Sie wies laut Radanov "alle körperlichen Merkmale auf, die beim Tod durch Ersticken auftreten". Das Foto des toten Marcus Omofuma diente Radanov seitdem bei seinen Vorlesungen als Beispiel für einen "klassischen Erstickungstod". Denn: "Die Klebstoffreste, die wir [bei der Obduktion] gefunden haben, belegen eindeutig, dass Omofumas Mund zur Gänze und ein Nasenloch zumindest zum Teil verklebt war. Und weil diese Anordnung Atemschwierigkeiten verursacht hat, versuchte Omofuma, Luft zu bekommen, und wurde unruhig. Daraufhin wurde er noch mehr verklebt. Dies führte dazu, dass der Blutfluß vom Kopf zum Brustkorb verhindert wurde und so langsam, aber sicher eine Erstickung eintrat. Als sich der Sauerstoffmangel weiter verstärkte, verfiel Omofuma in einen Krampfzustand. Dabei schlugen seine Beine gegen den Vordersitz. Was aussah als würde er sich wehren, war in Wirklichkeit sein Todeskampf."

Nicht genug damit, wurde Marcus Omofuma, der sich in panischer Angst abstrampelte, auch noch von einem Mitglied des Flugpersonals [oder einem Mitpassagier] geohrfeigt, ohne dass seine drei Quälgeister diesem zusätzlichen, selbsternannten Hilfssheriff Einhalt geboten hätten.

Farid Rifaat, der Verteidiger der angeklagten Polizisten, versuchte indessen, Radanovs Gutachten herunterzumachen. Das "bulgarische Papier" hätte "erhebliche Mängel" aufgewiesen. Auf diese Kritik sah sich Radanov, der seit Jahrzehnten als Gerichtsmediziner arbeitet und eine international anerkannte Kapazität ist, veranlasst, erstmals öffentlich Stellung zu nehmen. Dabei berichtete er nicht nur über sein Gutachten, sondern gab auch bekannt, dass er mehrmals von österreichischer Seite unter Druck gesetzt worden war. Er wurde des öfteren von Vertretern der österreichischen Botschaft aufgesucht, die ihn zu Eile mahnten oder ihm Briefe übergaben, die mögliche Todesursachen in den Raum stellten. Reinhard Mörz, der Chefarzt des österreichischen Innenministeriums, schrieb in einem dieser Briefe: "Die dritte Frage für mich ist, ob Omofuma illegale Drogen genommen hat. Diese Frage wird von uns deshalb gestellt, da die meisten illegalen nigerianischen Leute in unserem Land involviert sind im Verkauf illegaler Drogen. Sollten illegale Drogen nachweisbar sein, ist für uns auch die Beantwortung der Frage, ob aus ihrer Sicht ein Zusammenhang bestehen kann, von wesentlicher Bedeutung."

Wie nicht anders zu erwarten, verlangte Österreich schließlich ein eigenes Gutachten, und dieser Zweitgutachter, Christian Reiter, kam zu dem Schluss, Omofuma habe an einer Herzmuskelentzündung gelitten, von der die drei Beamten nichts wissen konnten und die letztlich im Zuge der "Aufregung" über die Abschiebesituation zum Tod geführt habe. Anwalt Georg Zanger, der die Eltern und die Tochter von Marcus Omofuma vertrat, erkämpfte vor Gericht schließlich ein drittes, unabhängiges Gutachten, das zwei Jahre nach Omofumas Tod vorlag. Der deutsche Experte Bernd Brinkmann bestätigt darin das bulgarische Gutachten als präzise und zutreffend. Die drei Abschiebebeamten hatten Omofuma den Mund ganz und die Nase zu drei Vierteln verklebt und seinen Brustkorb offenbar "mit äußerster Gewalt" an den Sitz gefesselt.

Anwalt Farid Rifaat, der die Abschiebebeamten vertrat, ließ demgegenüber nie eine Gelegenheit aus, weiterhin Marcus Omofumas Eigenverschulden zu behaupten. Dieser habe sich schon "rechtswidrig verhalten", indem er sich gegen die Abschiebung wehrte. Das Mundverkleben sei damals noch nicht verboten gewesen, so Rifaat, die Beamten hätten also nichts Rechtswidriges getan. Ob damit die brutale Fesselung - Omofumas Todeskampf hat dem Gutachter zufolge eine ganze Stunde lang gedauert - auch schon legitimiert ist? Rifaat: "Die Sauerstoffnot geht auf sein Konto." Mittlerweile ist wenigstens eines amtlich. Der Unabhängige Verwaltungssenat kam am 25. Januar 2002 zu der Erkenntnis, dass die fremdenpolizeilichen Maßnahmen sehr wohl "rechtswidrig" gewesen sind.

Der eigentliche Skandal bei alledem ist jedoch dies: im März und April 2002 kam es nun endlich zum Strafrechtsprozess gegen die drei Abschiebebeamten Josef B., Johann R. und Alexander K. [ihre vollständigen Namen wurden nicht bekannt gegeben] wegen Quälens eines Gefangenen mit Todesfolge, mögliche Höchststrafe: zehn Jahre Gefängnis. Doch der Prozess endete mit einem virtuellen Freispruch: acht Monate bedingt. Keine Suspendierung vom Dienst. Belobigung für gutes Verhalten in der Untersuchungshaft. Die rassistische Politik, begonnen unter dem sozialdemokratischen Innenminister Schlögl, wurde unter der rechtskonservativen Haider/Schüssel-Truppe abgesegnet.

Die betroffenen Beamten haben dementsprechend auch drei Jahre später noch keine Einsicht in das Unrecht ihrer Tat gewonnen. Meinte einer von ihnen: "Ich habe Hunderte, wenn nicht Tausende Abschiebungen durchgeführt. Ich war immer der Meinung, dass das Verkleben rechtens ist."