Update: Aufmerksamkeitstäter

Der Ersteller der gefaketen Homepage des Erfurter Attentäters Steinhäuser war gleichzeitig vermutlich auch der "Hacker mit Ethik"

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Der Wirbel um die angebliche Homepage ("Weltnetzseite") des Erfurter Attentäters Robert Steinhäuser beweist eines: Viele deutsche Journalisten stehen mit dem Internet immer noch auf Kriegsfuß. Wenn es nicht so makaber wäre, könnte man darüber lachen: Eine Homepage, auf der etwas behauptet wird, kann erfunden sein. Eine Tatsache, die offenbar überrascht. Anders ist nicht zu erklären, dass zahlreiche Medien den Fake ernst nahmen. Der "Täter" war möglicherweise Christoph K., der sich sofort im Gästebuch verewigt hatte. Wenig später behauptete er unter dem Titel "Hacker mit Ethik", er habe die Website gesperrt. Zynisch kommentierte K., dass derjenige "in den Knast gehörte", der "ein solches makabres Spiel" spielte (Homepage des Erfurter Amokschützen).

Die Indizien sprachen zunächst dafür, dass K. sowohl Ersteller als auch Hacker der Webseite gewesen sein könnte. K. bestritt dies im Forum. Angeblich hat K. den Namen des wirklich Verantwortlichen der Polizei in Erfurt mitgeteilt. Nach telefonischer Auskunft versicherte man dort, nichts davon zu wissen. Ein Herr K. habe sich bei ihnen nicht gemeldet. K. argumentiert hingegen, dass die Polizei aus "ermittlungstaktischen Gründen" keine Angaben machen würde. Gefragt wurde sie allerdings nur, ob K. überhaupt an sie herangetreten ist, was verneint wurde.

Eine gründliche "Analyse" der Logfiles durch einen "Schweizer Hacker" hat keine Hinweise auf eine Urheberschaft von K. für die Fakeseite ergeben. Der Schweizer Hacker ist vielmehr der Überzeugung, dass K. nicht der Urheber ist. Trotzdem bleibt vieles im Unklaren. Falls K. nicht der Urheber der Webseite war, bitten wir um Entschuldigung, richtig bleibt es allerdings auf keine Weise, eigentätig Webseiten zu entfernen.

Ausschnitt aus einem Screenshot der gefaketen Webseite

Mit makabren Spielen kennt Herr K. sich aus. 1998 kündigte er im Usenet seinen eigenen Selbstmord an und erfreute sich an den Beileidsbekundungen. Ein Jahr später fiel er durch exzessives Spammen auf. Bettina Fink vom Berliner Provider Interactive Networx GmbH entschuldigte sich für ihren Kunden, der eine Abmahnung erhielt. Doch K. blieb unbelehrbar. Auch sein angebliches Radio-Weekend Greifswald Berlin war ein Fake.

Wenig später kam K. wieder positiv in die Medien. Als Betreiber einer "Kosovo Suchhotline" und einer "Suchhotline Erdbeben Türkei" sei er, so berichtete die Berliner Morgenpost" am 28.2.2000, "mit einigen Mitarbeitern selbst im Krisengebiet vor Ort" gewesen. Nur mit der Telekom habe er Probleme: "Besonders die Telefongesellschaften machen uns mit ihrer Finanzpolitik schwer zu schaffen." K. versuchte auf seine Art, Abhilfe zu schaffen. Am 7. Oktober stürmte er in die Livesendung "Berlin am Morgen", zog eine Pistole und drohte damit, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen, falls ihm die Telekom nicht die Telefonrechnung erlasse. Die Waffe entpuppte sich als Schreckschusspistole. Und gemeinsam mit so vielen andere dubiosen Personen mit ebenso dubiosen Websites und Motiven kämpfte K., um garantiert zu den Guten zu gehören, gegen Kinderpornografie im Internet. Zu diesem Zweck reservierte er sich die Domain kindersex.

Ganz offen verbreitet er auch seine Lebens- und Leidensgeschichte im Usenet. "10 verschiedene Kinderheime in der DDR" und andere schlimme Dinge. Das ist wahr: K. wuchs im Kinderheim Pretzsch auf (Landkreis Wittenberg). An den Spätfolgen scheint er noch zu leiden: "Ich hoffe jetzt auch endlich mal aus meinem Kaefig mich damit befreien zu können." schrieb er im Juni 1998 in der Newsgroup de.sci.medizin.psychiatrie.

Das hoffen wir alle. K. ist auf seine Art genial. "Ich finde es jedenfalls erstaunlich, wie er es schafft, so leicht so viele Journalisten zu foppen", meint Hanno Mueller in de.admin.net-abuse.mail. Und ein User im Heise-Froum bringt es medientheoretisch auf den Punkt: "Er hat aufgezeigt, daß sich "betroffene" Menschen nicht für die Wahrheit interessieren, sondern nach Bestätigung für ihre idiotischen Klischees suchen. Das hat er eindrucksvoll hinbekommen."