Eine Internetseite, die die Welt nicht braucht

Webcam zeigt(e) sächsische Trinkgewohnheiten auf einem öffentlichen Platz

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Auch in Meißen wird gebechert. Und bis vor kurzem konnte man sogar übers Internet dabei live zuschauen. Was auf den ersten Blick allerdings kaum Sinn macht, weil virtuelles Trinken bekanntlich weder den Durst löscht noch betrunken macht. Außerdem ist der Anblick öffentlicher Trinkgelage so banal, dass er wohl keinen mehr so schnell vom Hocker reißt. Und selbst die Sächsische Zeitung hätte wohl kaum darüber so ausführlich berichtet, wenn der feuchte Tatort nicht ausgerechnet einer der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt wäre; und zwar der schmucke Rewe-Markt. Also ein kultiges Einkaufszentrum, vor dem sich bei gutem Wetter gestandene, gleichwohl leicht schwankende Sachsen treffen, um sich einen hinter die Binde zu kippen.

Warum der Betreiber der Netzseite assicam.de dennoch zu fürchterlich fröhlicher Hintergrundmusik diese Live-Saufbilder übertragen hat und vielleicht bald wieder überträgt, hätten wir gern von ihm persönlich erfahren, doch unsere Anfrage blieb leider unbeantwortet. Und so bleibt uns als Erklärung nur die knappe Erläuterung, die auf dieser Website zu finden ist:

Da isse nun, unsere Assicam, die nichts weiter zeigt als einen öffentlichen Parkplatz und den darauf zu findenden Gestalten, die nur eins im Sinne haben: Schlucken, Schlucken und nochmals Schlucken.

Und obwohl bereits seit mehreren Tagen die so genannte assicam ausschließlich ein altes Standbild überträgt, fühlen sich jetzt einige Meißener Bürger im Nachhinein irgendwie auf den Schlips getreten. Aber nicht die, die dort trinken oder getrunken haben, denen ist das vermutlich eh längst völlig wurscht, sondern ehrbare Bürger in Amt und Würde. So zitiert die Sächsische Zeitung den von ihr aufgeweckten und dann dazu befragten Stadtsprecher Falk Werner Orgus mit den Worten:

"Das ist eine Internet-Seite, die die Welt nicht braucht." Niemand wolle Leute ansehen, die sich betrinken oder mit leeren Bierdosen um sich schmeißen."Die Seite ist nicht nur grafisch schlecht, sie ist auch schlicht beleidigend."

Und während wir uns fragen, für wen dieser virtuelle Pranger denn nun genau beleidigend sein soll ­ für die Stadt, für das lokale Image oder für die Trinker? ­ fühlt sich das Innenministerium für die Saufbilder nicht zuständig und gerät Holm Felber, der Sprecher des tatsächlich zuständigen Regierungspräsidiums, ins Grübeln. "Prinzipiell", meint er, "ist jeder, der sich im öffentlichen Raum bewegt, eine öffentliche Person und kann und darf zu bestimmten Zwecken auch überwacht werden." Aber ob das auch für öffentliches Trinken auf Parkplätzen gelte, mag er dann doch nicht eindeutig beantworten.

So bleibt als Moral von der Geschicht' nur eins: Auch in Meißen wird halt gebechert. Genau wie bei uns in Hannover. Na dann prost!