Befehl aus Brüssel?

Das Versteckspiel der Politik um Softwarepatente

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Während das Europäische Patentamt (EPA) sogar den Missbrauch von Patentanmeldungen zu FUD-Strategien als Fortschritt feiert (Vgl. Sind Patente ein Patentrezept?) betreiben die politischen Parteien mit ihrer Haltung zu Softwarepatenten Täuschungsmanöver, für die im Wirtschaftsleben wohl so manches Betrugsverfahren eingeleitet werden könnte.

Softwarepatente sind unbeliebt - aus gutem Grund: Durch diese Gewährung von Monopolen werden nicht Eigentumsrechte geschützt, sondern - im Gegenteil - massenhaft verletzt: Nämlich diejenigen von Programmierern und Softwareunternehmen auf ihre urheberrechtlich geschützten Werke, die durch ein Patent mit einem Schlag wertlos werden können. Bereits 1976 stellte der Bundesgerichtshof in seinem Dispositionsprogramm-Urteil fest, dass eine Ausdehnung der Patentierbarkeit in den Bereich des Rechnens und Programmierens dem Fortschritt nicht förderlich wäre, dafür aber grundlegende Freiheitsrechte bedrohen würde.

Auf den ersten Blick scheint es, dass die Einführung bzw. Legalisierung von Softwarepatenten auch von Politikern überwiegend abgelehnt wird. So sprach sich Gretje Bettin, die Alibiunterdreissigjährige und medienpolitische Sprecherin der Grünen, im Mai öffentlich gegen Softwarepatente aus (Vgl. Grüne gegen Patentierbarkeit von Software) und auch der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss, Vorsitzender des Unterausschusses Neue Medien im Bundestag, posaunte immer wieder seine grundsätzliche Gegnerschaft zu Softwarepatenten heraus.

Doch seltsamerweise sah die praktische Politik der Bundesregierung, wie sie etwa im Hochschulpatentgesetz zutage trat, ganz anders aus: Mit der im Februar 2002 in Kraft getretenen Änderung wurde die freie Wahl, die Hochschunlangehörige früher in Bezug auf Patentierung oder Nichtpatentierung ihrer Arbeitsergebnisse hatten, durch eine zentralisierte Zwangsanmeldung ersetzt. Als die EU-Kommission die deutsche Bundesregierung intern in die Reihe der Softwarepatentrichtlinien-Befürworter einordnete, dämmerte so manchem, dass Propaganda und Politik bei den Regierungsparteien durchaus zwei paar Stiefel sein können. Am 13. Juni 2002 wurde schließlich durch eine Oppositionsanfrage bekannt, dass die Bundesregierung in der Softwarepatentrichtlinie nicht nur einen "geeignete Grundlage" für eine gesamteuropäische Patentrechtsprechung sieht, sondern dass sie sogar noch weiter als die Richtlinie gehen und auch auf "funktionale Texte" wie etwa Datenstrukturen Patentansprüche gewähren will (Vgl. Bundesregierung vorsichtig für grenzenlose Patentierbarkeit).

Nicht anders geht es in der Union zu: Während ein Eckwertepapier des CSU-Bundestagsabgeordneten Dr. Martin Mayer fordert, dass es nicht zum "Aufbau neuer, feudalherrschaftlicher und kolonialer Machtstrukturen im Informationszeitalter" kommen darf, veröffentlichte eine "CDU-Internet-Kommission" letztes Jahr ein Papier mit dem poppigen Titel Chancen@Deutschland. Das Dokument forderte "im Interesse der Innovationsfähigkeit" Softwarepatente mit 5-jähriger Laufzeit. Die Verfasser waren mit der Materie offenbar grob überfordert.

Eine 5-jährige Laufzeit würde gegen Artikel 32 des internationalen TRIPS-Abkommens verstoßen, das die Geltungsdauer von Patenten generell auf mindestens 20 Jahre festlegt. Darüber hinaus verwechselten die Unions-Berufspolitiker auch noch Urheber- und Patentrecht. Statt das derart fehlerhafte Papier still und heimlich in der Schublade verschwinden zu lassen nahm es die Partei sogar noch in ihr Wahlprogramm auf (Vgl. Die CDU stellt ihre Internetstrategie vor). Da wirkt es fast zynisch, wenn gerade die Union den Volksentscheid auf Bundesebene mit der Begründung ablehnte, dass "von einer Krankenschwester oder von einem Arbeiter an der Drehbank" nicht erwartet werden könne, dass sie sich in die Sachfragen so einarbeiten können wie die Parlamentarier (Vgl. Eine schallende Ohrfeige für die CDU).

Ähnlich sieht es bei der "Spaßpartei" aus: Der stellvertretende Vorsitzende und wirtschaftspolitische Sprecher der F.D.P.-Bundestagsfraktion, Rainer Brüderle erklärte:

"Die Gedanken, auch die zu Software geronnenen, sollten aus liberaler Sicht weitestgehend frei bleiben". Sein Büro begründet die Ablehnung von Softwarepatenten damit, dass die "hohe Innovationskraft gerade mittlerer und kleiner Betriebe" erhalten bleiben müsse und stellt fest, dass Software durch das Urheberrecht ausreichend geschützt ist (Vgl. FDP gegen Softwarepatente). Seltsam nur, dass auch die eifrigsten Lobbyisten für Softwarepatente, wie der ehemalige Staatssekretär und jetzige Präsident des Europäischen Patentamtes Ingo Kober, FDP-Politiker sind.

Und auch der wegen seiner "Kompetenz" in technischen Dingen gefürchtete Abgeordnete Otto (nicht zu verwechseln mir dem gleichnamigen Fernsehkomiker) hat mit seinen jüngsten Äußerungen im Bundestags-Unterausschuss Neue Medien klargemacht, dass er im Zweifelsfall mehr den Einflüsterungen der BITKOM gehorcht, als dem Parteiprogramm.

Die PDS-Bundestagsfraktion sprach sich mit dem Argument der Förderung von Open-Source-Software gegen Softwarepatente aus. Warum sie bei dieser Haltung dann nicht für GNU/Linux auf allen Bundestags-Rechnern stimmte (Vgl. Open Source im Bundestag als "strategischer Vorteil", konnte das Büro ihrer technologiepolitischen Sprecherin nicht erklären.

HorrorTRIPS?

Wie begründet man ein Gesetz, das keiner will? Man schiebt den schwarze Peter an das jeweils internationalere und geheimere Gremium weiter: Die Bundespolitik verweist auf die EU-Organe. So geschah es bereits mit der Biopatent-Richtlinie, die die Vergabe von Patenten auf lebende Organismen gesetzlich erlaubt, und die im Herbst 2000 übereilt umgesetzt werden musste, weil sie sonst unmittelbar gegolten hätte (Vgl. Bundeskabinett billigt einstimmig Biopatent-Gesetzentwurf).

In Brüssel verweist man wiederum auf das TRIPS-Abkommen von 1994, an das man angeblich die europäische Rechtslage anpassen will: Doch darin ist die Patentierung von Software gar nicht zwingend vorgeschrieben. Art. 27 des TRIPS-Abkommen fordert lediglich, dass Patente "für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik" gewährt werden müssen, erlaubt aber durchaus den Ausschluss von Software und von Geschäftsmethoden aus dem Bereich des Patentierbaren. Art. 10 des Abkommens verweist in Bezug auf den Schutz von Software sogar explizit auf das Urheberrecht.

Verlässt man die Bundespolitik und begibt sich auf die Ebene des neben der Kommission tatsächlich entscheidungsbefugten Europäischen Parlaments stößt man auf eine Mauer des Schweigens. So heißt es in der liberalen Fraktion, man habe noch "keine Position" zum Richtlinienentwurf. Selbiges bei den Christdemokraten. Beide Fraktionen betreiben diese Art von "Informationspolitik" bereits seit Februar. Von Seiten der europäischen Sozialdemokraten ist immerhin zu erfahren, dass es "zwei Richtungen" innerhalb der Fraktion gebe.

Die SPD-Europaabgeordnete Erika Mann erklärt, dass das Problem bei diesen Fragen sei, dass sie "technisch sehr kompliziert" wären und deshalb immer von der gleichen Clique von Leuten behandelt würden, die dann als "Meinungsführer" versuchten, den Rest der Fraktion auf ihre Seite zu ziehen. Einzig die Europaabgeordnete Ilka Schröder - bezeichnenderweise jetzt parteilos - hat sich klar gegen Softwarepatente ausgesprochen und die Begründung ihrer Entscheidung in ihrem Info-Magazin Denkpause auch öffentlich zugänglich gemacht. Als im April über die EU-Richtlinie zum Gemeinschaftspatent abgestimmt wurde, brachte sie als "Testballon" zwei Änderungsanträge ein, die in die Richtung zielten, Software von der Patentierbarkeit auszunehmen. Sozial- und Christdemokraten stimmten ebenso wie Liberale gegen die Anträge.

Es hat den Anschein, dass die Mauer des Schweigens in Brüssel und Straßburg bis zum 3. Dezember halten wird. dem Tag, an dem im federführenden Rechtsausschuss über den Antrag abgestimmt wird. Bis zur Abstimmung im Plenum am 13. Januar 2003 bliebe dann nur die verlängerte Weihnachtszeit für eine öffentliche Diskussion. Kein Wunder, dass bei so viel Transparenz in Programmiererkreisen der Verdacht auf Bestechungsvorgänge geäußert wird. Immerhin ist der Entwurf der Richtlinie ganz nach der Vorgabe der amerikanischen Business Software Alliance geschneidert. Sie ist - neben einer Bürokratenklasse aus Patentjuristen, die eine Ausweitung des eigenen Machtbereichs durchsetzen will - die treibende Kraft hinter dem EU-Richtlinienentwurf. Nutznießer der Verbandspolitik ist wiederum vor allem Microsoft, deren Sprecher Craig Mundie im letzten Jahr ankündigte, eigene Softwarepatente gegen Freie Software und damit zur Beseitigung von Konkurrenz durchzusetzen. 1