Krieg als Massenkultur

Interview mit Tom Holert und Mark Terkessidis über ihr neues Buch "Entsichert"

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In ihrem Buch "Entsichert" haben sich die Kölner Kulturwissenschaftler Tom Holert und Mark Terkessdis auf ganz besondere Art und Weise dem Military-Entertainment Complex angenommen. Ihre These ist, dass der Neoliberalismus die Grundlage der Verschränkung der Unterhaltungs- mit der Rüstungsindustrie ist und zu einer Militarisierung der Gesellschaft führt. Die kriegerische Konsumkultur und mentale Aufrüstung zeigen sich für sie etwa in der Rede über "Ehekriege" und "Killerkids", "Produktoffensiven" und "feindlichen Übernahmen".

Eure Theorie des massenkulturellen Krieges geht auf den Befund zurück, dass der Neoliberalismus unseren gesellschaftlichen Alltag in jeglicher Hinsicht regelt. Ihr schreibt: "Flexibilität, Effizienz, Mobilität oder Selbstverwirklichung erweisen sich als zutiefst kriegerische Normen" und verweist auf Thomas Hobbes (1588-1679), der vom Krieg als Naturzustand und u.a. vom "Krieg aller gegen alle" sprach. Kann man Hobbes wirklich als "theoretischen Gründungsvater der Konkurrenzgesellschaft" zu bezeichnen?

Tom Holert/Mark Terkessidis: Die Verweise auf Hobbes sind möglicherweise etwas knapp ausgefallen. Tatsächlich ist es richtig, dass Hobbes den kriegerischen "Naturzustand" konstruiert, um den Frieden durch den Staat zu begründen. Freilich hatte der von Hobbes beschriebene "Naturzustand" nie etwas mit der "Natur" des Menschen zu tun. Ebensowenig war mit dem "Naturzustand" in seiner Definition eines Krieges aller einzelnen gegen alle eine adäquate Beschreibung der damaligen sozialen und politischen Verhältnisse gegeben. Vielmehr deklarierte Hobbes zum "Naturzustand", was bereits ein Ergebnis der Individualisierung durch das staatliche Souveränitätsprinzip, der Disziplinartechniken und des aufkommenden Kapitalismus war. Hobbes begründete den Leviathan also in einem Zirkelschluss: Die Individuen, die den Vertrag abschließen, sind quasi ein Ergebnis der Eingriffe ihres Vertragspartners Staat. Und schließlich hob Hobbes' Lösung den "Naturzustand" auch nicht auf, sondern verlagerte ihn in den Bereich der Interaktionen der einzelnen "Staatspersonen". Insofern schien es legitim, zur Beschreibung des Neoliberalismus den Hobbesschen "Naturzustand" aufzurufen, da wir ja eine Redefinition des Gewaltmonopols und teilweise Zurückverlagerung auf die Ebene der Einzelnen beobachten. Zudem wird im neoliberalen Regime der Markt naturalisiert, wobei das Ergebnis dieser Naturalisierung eben nicht der Naturzustand ist, den es nicht gibt, sondern ein ganz bestimmter "Naturzustand" - und den hat Hobbes zum ersten Mal benannt.

Euer Kriegsbegriff umfasst nicht nur reale Aktion an der militärischen und zivil-ökonomischen Front, sondern auch ein Diskursmodell oder das "Bild des Alltags". Man erhält den Eindruck, der Krieg werde zur Metapher reduziert, wobei alles, was mit Gewalt oder Egoismus zu tun hat, unter dem Kriegsbegriff subsumiert wird. Gleichzeitig soll "der größte Teil der Erdbevölkerung" Opfer des kriegerischen Ausnahmezustands sein. Ist es nicht etwas übertrieben einen solchen Universalismus zu beanspruchen?

Tom Holert/Mark Terkessidis: Uns ist nicht bewusst, dass wir einen Kriegsbegriff mit Universalismus-Anspruch formuliert hätten. Vielmehr haben wir versucht, unterschiedliche Ausprägungen des Krieges, so wie sie uns unter unterschiedlichen Bedingungen an unterschiedlichen geografischen und kulturellen Orten begegnet sind, miteinander in Beziehung zu setzen. Keineswegs ging es darum, Differenzen, wie Du sie benennst, einzuebnen. Andererseits behaupten wir durchaus, dass die Entwicklung der realen Kriege, die sowohl durch den Interventionismus der internationalen Staatengemeinschaft unter der Führung der USA als auch durch die Entstaatlichung der regionalen Konflikte unter dem Vorzeichen einer globalisierten Ökonomie charakterisiert sind, in einem Zusammenhang steht mit neoliberalen Normen der Konkurrenz und Performanz und deren Verarbeitung in der westlichen Massenkultur.

Eine These des Buches lautet daher sicherlich, dass die "neuen" Kriege und die "neuen" Ökonomien gleichermaßen auf dem Prinzip des Ausnahmezustands gründen, den sie auf Dauer stellen. Dieser Ausnahmezustand wird aber nicht nur militärisch und ökonomisch produziert, sondern vor allem auf dem Feld der Kultur und der ideologischen Anrufungen. Hier findet der Diskurs über "Ehekriege" und "Killerkids" statt, die offene oder indirekte Militarisierung der sozialen Verhältnisse. Nicht wir sind es, die den Krieg auf eine Metapher "reduzieren" - das erledigen Tag für Tag die Boulevardmedien, die Managementphilosophen, die Werbeagenturen usw.

Aussteiger, Unternehmer, Börsianer, Ego-Shooter, Soldaten und Fitness-Apologeten werden in Eurem Buch als Protagonisten des Neoliberalismus begriffen und damit über einen Kamm geschoren. Nicht zuletzt auch Selbstmordattentäter. Diese Gleichstellung finde ich besonders problematisch. Einerseits wird die politische Dimension des Selbstmordattentats ausgeblendet, andererseits eine orientalistische Zuschreibung des Westens, der "islamische Feind" denke in kapitalistischen Strukturen, übernommen. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, wie universell der Neo-Liberalismus-Begriff ist. Darf er so transkulturell und ahistorisch verwendet werden?

Tom Holert/Mark Terkessidis: Wir verstehen überhaupt nicht, wieso es eine "orientalistische" Zuschreibung sein soll, wenn unterstellt wird, der Islamismus sei in kapitalistischen Strukturen verwickelt. Wir können auch nicht sehen, dass "der Westen" so etwas denkt. Im Gegenteil: Die Islamisten werden eben als das ganz Andere betrachtet: als "Bestien" ("Bild" über M. Atta) , deren Verhalten von den Regeln einer fremden, vormodernen - und mit Verweis auf Äußerungen des italienischen Ministerpräsidenten - auch zurückgebliebenen Kultur geleitet werden. Uns erscheint es keineswegs als orientialistisch, auf einer prinzipiellen Ähnlichkeit in den Verhaltensmustern zwischen den westlichen Subjekt-Typen und jenen etwa im Nahen Osten oder in Jugoslawien hinzuweisen.

Wir scheren dabei nicht alles über einen Kamm, denn die Differenz wird ja exemplarisch am Fall Jugoslawien unter ausdrücklicher Einbeziehung der sozialen, kulturellen und historischen Unterschiede dargestellt. Wir sprechen etwa über die spezifische Rolle des "Gangsters" auf dem Balkan. Die Spezifizierung kann aber nicht dazu führen, dass die sogenannte Peripherie aus der gemeinsamen Geschichte entfernt und auf einen anderen Schauplatz mit einer anderen Ordnung verwiesen wird. Die Geschichte der Expansion Europas war eine Geschichte des Ausschlusses durch Einbeziehung, wie Immanuel Wallerstein einmal gesagt hat - und dieses Arrangement bringt überall eine Gemengelage von Ähnlichkeiten und Unterschieden hervor. Was die politische Dimension betrifft, so kämpft der Islamismus um die Durchsetzung einer bestimmten Lebensform und nicht für ein identifizierbares politisches Programm. Wir geben aber gern zu, dass der Selbstmordattentäter am Ende des Kapitels quasi addiert wird - und dies Unbehagen auslösen kann. Selbstverständlich hätte man diesem Phänomen und seiner Genealogie ein weiteres Kapitel widmen können.

Im zweiten Kapitel des Buches kommt Ihr auf die Globalisierung des Krieges zu sprechen, ohne jedoch den militärisch-industriellen Komplex zu thematisieren. Warum werden bei Eurer doch sehr starken Fokussierung auf die ökonomische Dimension die Abhängigkeiten zwischen Militär und Wirtschaft (Stichwort: Privatisierung der Armee) außen vor gelassen?

Tom Holert/Mark Terkessidis: Eine "starke Fokussierung auf die ökonomische Dimension" nehmen wir höchstens insofern vor, als dass wir die neoliberale Ökonomisierung des Sozialen als eine entscheidende Voraussetzung für die gesellschaftliche Forderung nach bestimmten Subjekten (EinzelkämpferIn, TeamplayerIn, Management-KriegerIn usw.) betrachten. Das Unternehmens-Individuum muss umfassend mobilisiert werden, um in den vermeintlichen "Krieg aller gegen alle" aufbrechen und dort bestehen zu können. Eine gründliche Analyse des militärisch-industriellen Komplexes ist sicher erforderlich, hätte den Rahmen unserer Fragestellung aber überstrapaziert. Unser Augenmerk galt stattdessen denjenigen massenkulturellen Strategien, die das kriegerische Schlachtfeld "unterhalb" der zivilisatorischen Normalität als Quelle permanenter Verunsicherungen der Gesellschaft symbolisieren und damit Verteidigungsmaßnahmen und Bewaffnungen auf der Ebene der individuellen und kollektiven Subjekte vermeintlich unumgänglich machen. So haben wir uns auf Schnittstellen konzentriert, an denen Unterhaltung und Militär, Krieg und Gegenkultur oder Tourismus und Guerillakampf aufeinandertreffen und kulturell artikuliert werden.

Tom Holert/Mark Terkessidis: Entsichert: Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert. ISBN: 3-462-03163-5. Kiepenheuer & Witsch. Euro (D) 9,90.