Das Orakel der DARPA

Zu den neuen Bespitzelungsfantasmen des "Total Information Awareness"-Systems

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Der 11.September markiert nicht lediglich ein behebbares Wahrnehmungsleck spätmoderner Überinformationsgesellschaften, er bestätigt das immergrüne Wissen, dass die Zukunft nicht prognostizierbar ist. Das soll jetzt indes in Amerika anders werden, auch die Zukunft hat sich dem manichäischen Kampf gegen das Weltböse zu unterwerfen.

Die Avantgarde amerikanischer Kriegstechnologie, die "Defense Advanced Research Projects Agency" (DARPA), projektiert nun das technologisch revolutionäre System der "Total Information Awareness (TIA). Das System mit dem babylonischen Anspruch und dem Totalitarismus im Namen soll alle Informationen sammeln und rechtzeitig auswerten, die zwar vor künftigen Terror-Anschlägen verfügbar sind, aber in der Vergangenheit oft nicht rechtzeitig interpretiert wurden.

Diesen Wettlauf mit der Zeit wollen die Datenherrscher der DARPA zukünftig um jeden Preis gewinnen. Das würde auch solche politischen Vorwürfe entsorgen, mit denen die Bush-Regierung nicht nur von der Opposition konfrontiert wird, die Septemberanschläge nicht rechtzeitig erkannt zu haben. Zwar war ein Teil der Mosaiksteine der "Intelligence" bekannt, aber niemand da, sie zu dem Bild des kommenden Schreckens zu komplettieren.

Nun ist dieser neueste Wunsch nach totaler Informationsherrschaft wenig originell. Nichts anderes formulieren US-Regierung und die relativ erfolglosen US-Geheimdienste seit Anbeginn ihrer erregten Hatz auf echte, potentielle und - last but not least - imaginäre Terroristen unentwegt. Wie das federführende "Information Awareness Office" (IAO) der DARPA andeutet, handelt es sich bei diesem Terroristen-Supervisionssystem aber um ein futurologisches Projekt, das die gegenwärtigen Intelligence-Infrastrukturen auf das digitale Altenteil verabschiedet.

Neu sind bislang nur die geplanten Datenspeicher in Petabyte-Größe

Zwar wollen die TIA-Programmdirektoren die eifrig stimulierten Erwartungen am zukünftigen Erfolg ihrer totalen Informationsdominanz auch nicht zu hochschrauben. Aber man vertraue auf technische Entwicklungen, die die künftigen Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine so reibungslos gestalten, dass kompliziertere und komplexere Problemlösungsansätze für den immerwährenden Antiterror-Weltauftrag der USA gefunden werden, als sie die bisherigen Eiertänze um die Neuorganisation der US-Überwachungsagenturen versprechen. Was das politische System nicht richtet, wird nun also zur Agenda einer hypertrophen Technologie. Eine bloße Weiterentwicklung existierender Technologien sollen interessierte Unternehmen daher erst gar nicht vorschlagen: Geld gibt es nur für den, der eine Terroristen-Mausefalle entwirft, die rechtzeitig und unwiderruflich zuschnappt.

Die Neuentdeckung der Speicher- und Verarbeitungstechnologien im Rahmen des Fünfjahresplans der IAO ist so geheim oder aber so diffus, dass lediglich von Datenspeichern in Petabyte-Größe die Rede ist. Mit anderen Worten: Der Datenheuhaufen mit jeder Sorte von Informationen über die Bürger soll in das Unvorstellbare wachsen. Gattaca at hand. Und dass die Prospekte, den Turm von Babel als panoptisches Überwachungsbüro in god's own country nachzubauen, sich bei der IAO längst von der Metapher entfernt haben, dafür stehen auch parallele Projekte wie etwa Babylon, das den Terroristenbekämpfer in der fundamentalistischen Fremde multilingual hochrüsten soll.

Kritik am geplanten hyberorwellianischen System

Da die Agentur über ihre Tätigkeit außer ihren visionären Ankündigungen hinaus wenig mitteilt, regt sich bereits jetzt der Widerstand der Electronic Frontier Foundation und anderer Vertreter bürgerlicher Freiheitsrechte. EFF-Vertreter Lee Tien moniert, dass mit diesem Projekt letztlich eine nationale ID-Card geschaffen werde, ohne zugleich angemessen über das Verhältnis zum Datenschutz nachzudenken. Für Tien ist das TIA-System kein einfaches Identifikationssystem mehr, sondern ein omnipotentes Tracking-System, um noch jeder blässlichen Datenspur des Bürgers nachzuschnüffeln. Über Akteneinsichtsrechte oder Berichtigungsansprüche scheint bei dem neuen Spitzelvorhaben niemand nachzudenken.

Die Einwendungen gegen dieses Fantasma der Informationsherrschaft sind im Übrigen geläufig: Die Unmengen irrelevanter Informationen könnten wieder just die kritische Informationsmasse zuschütten (Der Schläfer im Datenheuhaufen) - mithin vergrößere man lediglich die Stecknadelsuche mit anderen, teureren Mitteln. Schließlich würden, so die Kritiker, doch wieder nur Bürgerrechtsaktivisten ausspioniert, während die Terroristenfalle im Fall der Fälle klemmt.

Die Angst vor einer Dunkelmännerstrategie des neuen hyberorwellianischen Systems ist begründet. Denn weder hat die DARPA das Budget kundgetan, noch sind die Zuständigkeiten klar, ob also eine bestehende Geheimdienstabteilung den gigantomanischen Schnüffeljob erledigt oder gar gleich wieder eine neue Spitzelagentur gegründet wird. In den Ohren der Kritiker reimt sich TIA auf Steven Spielbergs Minority Report, der Geschichte eines fiktionalen Überwachungsszenarios im Jahr 2054, in dem Menschen bereits dann aus dem Verkehr gezogen werden, bevor sie überhaupt ein Verbrechen begehen konnten. Terrorismus war gestern?

Wer also demnächst bei seinen Emails, Kreditkarten-Legenden, Bucheinkäufen und den übrigen Spuren seiner Datenexistenz gefährliche Interessen signalisiert, sich etwa zu auffällig für Amerikas Antiterrorkampf interessiert, könnte morgen bereits in Sicherungshaft geraten. Billiger wäre es freilich, das eigene Superbeobachtungsfantasma mit der widerspenstigen Wirklichkeit kurz zu schließen. Eine solche Low-Budget-Killerapplikation ist aber in diesen Tagen so unbezahlbar, dass nur Träumer oder Steuerzahler darauf kommen könnten.