Schröder oder Stoiber: Wer hat die beste Website?

Nach "internet-spezifischen Kriterien" sind beide Websites grottenschlecht und missachten die meisten Standards

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Wann ist eine Website gut? Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Und über Politik auch. Der Bundeskanzler bekommt für seinen Online-Wahlkampfauftritt bessere Noten als sein Herausforderer Edmund Stoiber. Das sagen die Experten. Doch die irren. Wenn Blinde Einäugige bewerten oder umgekehrt, ist das Ergebnis selten aussagekräftig.

Die Zeitschrift Capital hat das Dortmunder Profnet - Institut für Internetmarketing in Dortmund beauftragt, Punkte zu verteilen. Die SPD bekam laut Stuttgarter Zeitung 80 von 100 möglichen Punkten. Die Frankfurter Multimedia-Agentur Neue Digitale bewertete nicht die Parteien, sondern die Auftritte der Kandidaten: Der Amtsinhaber liegt deutlich vor dem Herausforderer. Die Kriterien waren, so der "Kreativdirektor" Olaf Czeschner, "fachliche Aspekte und internet-spezifische Kriterien". Beide Online-Auftritte seien "professionell gemacht".

Das darf getrost bezweifelt werden. Und die Kompetenz der "Experten" auch. Denn nach "internet-spezifischen Kriterien" sind sowohl die Website des Bundeskanzlers als auch die des Herausforderers grottenschlecht und missachten die meisten Standards, die für einen Auftritt im WWW gelten sollte. Wer nachfragt, warum das so ist, bekommt nur ausweichende Antworten. Die von den Parteien beauftragten Werbeagenturen interessieren sich nicht für Standards oder gar für Sicherheit, sondern ausschließlich für Optik und Design. Die Wunsch-Website einer Werbeagentur ist DAU-kompatibel, sonst nichts. Webdesigner haben bekanntlich zur Sicherheit im Netz und zu korrektem HTML ein Verhältnis wie Klaus Störtebeker zum Handelsrecht.

Die Website des Bundeskanzlers ist nur mit eingeschaltetem Javascript zu lesen. Damit ist sie nicht behindertengerecht. Ein Screenreader, mit dem Blinde sich die Inhalte von Websites vorlesen lassen können, würde bei gerhard-schroeder.de scheitern. Die "Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung“ (BITV) fordert, für Multimedia-Darstellungen auch Alternativtexte anzubieten.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat schon vor drei Jahren nachdrücklich vor dem Einsatz aktiver Inhalte - darunter auch Javascript - auf Websites gewarnt. Das interessiert offenbar niemanden. Wer Javascript ausdrücklich verlangt - wie die Computer-Bild und der Bundeskanzler – schließt sicherheitsbewusste Surfer aus - oder nervt diese, weil die Optionen des Browsers permanent verändert werden müssen.

Edmund Stoiber ist auch nicht viel besser. Natürlich kann man Webdesigner mit den strengen Auflagen des World Wide Web Consortiums oder mit Bobby schnell in den Wahnsinn treiben. Und wer fordert, eine Homepage müsse auch mit Lynx zu lesen sein, bekommt meistens ein mitleidiges Lächeln und die Antwort, man meißele Bücher auch nicht mehr auf Steintafeln.

Doch wenn ein Kanzlerkandidat vollmundig behauptet: "Die Kommunikation und der Austausch mit den Bürgern ist uns besonders wichtig!", erwartet man unter der Rubik "Kontakt" keine Fehlermeldung. Und wenn dieser Error auch nach einer Woche – trotz eines Hinweises per traditionellem Telefon - noch nicht repariert ist, scheint das Interesse an einem Kontakt nicht besonders groß zu sein.

Laut HTML-Code ist der Autor der Stoiber-Seite ein Jan-Henrik Hempel alias "Ricky" - ein gefühlvoller Mensch, wie man an einer der wenigen Äußerungen sieht, die er jemals online gemacht hat. Und Justin Townsend, Director Consulting bei "M.E.C.H. The Communication House - Berlin GmbH", einer Filiale von McCann-Erickson, der "umsatzmäßig größten Werbeagentur der Welt", hat laut Impressum auf stoiber.de leider keine Telefonnnummer in Berlin.

Der Grund liegt vielleicht darin, dass die Wahlkampf-Teams von Schröder und Stoiber etwas gemeinsam haben: Sie fürchten sich vor dem Kontakt mit dem einfachen Bürgers. Ein Mitarbeiter der SPD-Kampa auf die Frage, warum auf der Website Schröders nur ein Kontaktformular angeboten werde, aber keine gültige E-Mail-Adresse: Man wolle sich sich nicht mit den gefährlichen Attachments herumschlagen. Und da man in der Kampa auch OutlookExpress benutzt, ist das natürlich unangenehm, weil dieses Programm Attachments nicht richtig erkennen kann.

Wer sich die Website der Experten ansieht, die andere beurteilen, ist nicht überrascht über das Ergebnis. Die Agentur "Neue Digitale" empfahl vor einem Monat eine "Software, die automatisch anstößige Worte aus Internet-Chats entfernt". Damit könnten Wirtschaft und öffentliche Hand sicherstellen, dass ihre Web-Präsenz sauber bleibt, hieß es in einer Presseerklärung von Neue Digitale. Man darf vermuten, dass den Experten und "Kreativdirektoren" zum Beispiel der internet-spezifische Begriff IRC völlig unbekannt ist.

Das in den Medien oft zitierte "ProfNet-Institut für Internetmarketing" hat kein Impressum, der Denic-Eintrag der GmbH enthält keine Telefonnummer - weil es die nicht gibt -, und das Institut besteht offenbar vor allem aus Prof. Dr. Uwe Kamenz von der Fachhochschule Dortmund. Der weilt gerade in Australien. Man kann ihm nur digitale Postkarten schreiben, weil er weder PGP noch GnuPP benutzt, was für journalistische Anfragen nicht angesagt ist (Internet-Zensur als Gefahr für die Pressefreiheit). Unter dem Stichwort "Internet-Studien" findet sich leider kein Content. Warum, hat das Professoren-Netzwerk vor zwei Jahren schon erkannt: Websites missachten die Bedürfnisse von Journalisten.