Die Regenmacher

Katastrophale Fehler des Industriezeitalters - Wenig spricht dafür, dass der Schaden irgend jemanden klug werden lässt

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Ein Hochwasser ist keine Katastrophe, sondern ein Naturereignis wie der Wind und der Sonnenuntergang. Hochwasser gehören zum Fluss wie Rauch zum Feuer. Warum es in Europa aber immer öfter zu extremen Überschwemmungen kommt, darüber herrscht noch keine Klarheit. Unstrittig ist: in Zukunft werden "Jahrhunderthochwasser" sich alle paar Jahre wiederholen. An den katastrophalen Folgen des Hochwassers ist jedoch allein der Mensch schuld. Seit zehn Jahren fordern Bürgerinitiativen daher, die ökologischen Fehler des Industriezeitalters zu korrigieren: Doch wenig spricht dafür, dass der Schaden irgend jemanden klug werden lässt.

Hochwasser entstehen nur dann, wenn der Boden das Wasser nicht mehr aufnehmen kann, etwa wenn der Boden noch gefroren ist oder noch vom Regen so voll ist wie ein Schwamm. Die Überschwemmungen am Rhein 1993 und 1995 waren typische Winterhochwasser. Das "Jahrhunderthochwasser" an der Oder 1997 jedoch fiel in eine Periode, in der der Fluss normalerweise Niedrigwasser führt - wie auch in diesem Monat die Elbe. Allen "Naturkatastrophen" gemeinsam war, dass zwei Niederschlagsperioden aufeinander folgten.

Das allein erklärt aber nicht die überdimensionalen Menge des Regens, der im Einzugsgebiet der kleinen mitteleuropäischen Flüsse gefallen ist. Der Grund für Wetteranomalien, die zu extremen Hochwassern führen, liegt darin, dass sich bestimmte Großwetterlagen in Europa häufen: Es gibt mehr und mehr zyklonale Westlagen. Normalerweise verhindert im Winter ein stabiles Kältehoch über Osteuropa, dass großflächige Tiefs vom Atlantik nach Mitteleuropa eindringen. Die Kältehochs erzeugen die so genannten "meridionalen" Wettertypen und werden durch die Albedo der Gletscher und Schneeflächen begünstigt. Je weniger Schnee liegt, um so geringer ist die Albedo. Seit 1980 kommt es aber immer öfter zu "zyklonalen" Großwetterlagen: die Tiefs schütten ihre Regenmengen ungehindert aus, weil sich die Kältehochs abschwächen.

Das liegt an der Erwärmung der Erde - und deren Ursache ist der Treibhauseffekt. Das bestätigt auch der zur Zeit sehr gefragte Klimaexperte Latif Mojib vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie. Neuere Untersuchungen zum Klimawandel (zum Beispiel Simulation, Diagnosis and Detection of the Anthropogenic Climate Change) haben ergeben, dass ein verdoppelter Ausstoß von Kohlendioxid bis zu 15 Prozent mehr Winterstürme in Nordwest-Europa verursacht. Langfristige Aussagen über Wetterextreme können noch nicht gemacht werden, wie eine Analyse des Clivar-Programms (International Research Programme on Climate Variability and Predicatability) zeigt. Aber der Trend geht dahin, dass wir in der nächsten Dekade mehr und öfter mit extremen Unwettern und auch Hochwassern zu rechnen haben.

Neben der größeren Regenmenge gibt es weitere Ursachen der katastrophalen Hochwasser: die Flüsse wurden verbaut und fließen dadurch schneller; die alten Flußauen sind als Überschwemmungsgebiete verloren gegangen. Die Auen dienen nicht nur als Rückstaubecken des Flusses. Jedes Hochwasser schüttet neue Kies, Sand- oder Schlammbänke auf. Wird der Fluss künstlich eingeengt oder durch Staustufen reguliert, können Kiesbänke und Altwässer nicht mehr entstehen. Ohne Hochwasser wird die Gewässersohle verstopft - es entsteht die so genannte Kolmation. Der Wechsel von Hoch- und Niedrigwasser lässt die Auenwälder erst standhaft werden und den Boden durchlüften. Nur so können sie Hochwasser zurückhalten.

An der Elbe jedoch hat man sträflich gesündigt. Bis Magdeburg hat die Flusslandschaft schon 80 Prozent ihrer natürlichen Auslaufzonen verloren. Mulde und Müglitz, Nebenflüsse der Elbe, wurden schon zu DDR-Zeiten betonverschalt. Das Problem hat nicht nur die Elbe, sondern auch der Rhein. 1955 rauschte eine Hochwasserwelle in 65 Stunden von Basel nach Karlsruhe, heute braucht sie weniger als die Hälfte der Zeit. Seit einigen Jahren rücken Bagger der Elbe wieder zu Leibe. Die "Strombaumaßnahmen" haben einen Umfang von 250 Millionen Euro. "Robin Wood" kritisiert das auch ökonomisch äusserst umstrittene Projekt als gigantische Geldvernichtung.

Zahlreiche Organisationen und Bürgerinitiativen protestieren seit Jahren gegen den Ausbau der Elbe. Die so genannte "Elbe-Erklärung" aus dem Jahr 1996 sollte den Fluss vor schädlichen Baumaßnahmen schützen. Doch gegen diese Erklärung wurde immer wieder verstoßen. Der Bundesverkehrswegeplan von 1992 sieht für die Elbe eine 1,60 Meter tiefe Fahrrinne vor, die an 90 Prozent aller Tage im Jahr frei sein soll. Das widerspricht der "Elbe-Erklärung", weil dazu der Fluss massiv ausgebaggert werden müsste. Bürgerinitiativen werfen gerade den Politikern in Sachsen-Anhalt vor, ökologische Probleme zu ignorieren und grob Fahrlässig zu handeln.

Die CDU bekannte sich pro forma zur "Elbe-Erklärung" konnte sich aber nicht dazu durchringen, einen Baustopp zu fordern, "da ein teilweiser Ausbau der Elbe und anderer Wasserwege sowie Investitionen in Naturschutzmaßnahmen zum Gesamtkonzept gehören." Und das, obwohl eine Studie des Umweltbundsamtes eindeutig feststellte, der Elbausbau sei "wirtschaftlich nicht sinnvoll" und die Kosten überstiegen den Nutzen. Die Bürgerinitiative "pro Elbe" in Wittenberg - unterstützt von MdE Reinhold Messner - hat immerhin erreicht, dass Bundesfinanzminister Hans Eichel die Gelder für einen weitere Ausbau des Flusses für größere Schiffe sperrte. Örtliche Politiker wie die Bürgermeister der jetzt vom Hochwasser bedrohten Städte Aken und Rosslau wetterten noch im März 2002 gegen "selbsternannte Umweltschützer" und forderten eine "Sanierung" der Elbe für die Schifffahrt. Und die Industrie-Lobby am Fluss zeigte sich bis jetzt ebenso uneinsichtig.

Umweltschutz als die beste Vorsorge gegen Katastrophen als Folge extremer Naturereignisse ist vielerorts für Politiker und Behörden noch ein Fremdwort. Die Bürgerinitiative "Naturnahe Elbe" organisierte den Widerstand gegen den Bau von Staustufen in Tschechien.

Der Bau zweier Staustufen wäre ein gravierender Eingriff in einen der letzten nahezu freifließenden Ströme Europas, der auch negative Auswirkungen für die Elbelandschaft in Deutschland hätte. Ziel der tschechischen Behörden ist es, die Verbesserung der Schiffbarkeit der Elbe zu erreichen. Studien ergaben jedoch, dass der Elbeausbau verkehrstechnisch unsinnig, volkswirtschaftlich unrentabel und ökologisch unvertretbar ist. Trotzdem wird auf tschechischer Seite noch immer an veralteten Plänen festgehalten.

Leben in Dresden

Dietmar Hoffmann und Thomas Rumberger von einer Bürgerinitiative in Cossebaude beschwerten sich im letzen Dezember beim Straßenbauamt in Meißen: Durch den geplanten Bau der Staatsstraße S 84 zwischen Meißen und Niederwartha könnte sich der Überschwemmungsbereich der Elbe verringern, und niemand habe sich Gedanken über das Abflussverhalten der Elbe gemacht.

Die Belange des Hochwasserschutzes wurden nur sehr oberflächlich behandelt. Eine für die Beurteilung und Stellungnahme unbedingt erforderliche Auflistung des durch die geplante Straßenbaumaßnahme beanspruchten Retentionsraumes und Überschwemmungsbereiches sowie der geplanten Ausgleichsmaßnahmen fehlt völlig.

Ähnlich kontrovers verlief auch die Diskussion um den Elbausbau bei Gallin/Wittenberg. Die Elbe dürfe, so das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil im Herbst 2000, ohne Umweltverträglichkeitsprüfung weiter ausgebaggert werde. Es stützte sich auf eine Baugenehmigung aus dem Jahre 1936 (!). Sächsische Behörden zeigten sich in der Vergangenheit "großzügig", wenn es um den Umweltschutz ging: Das Wasser- und Schifffahrtsamt Dresden ließ rechtswidrig Bauarbeiten im EU-Schutzgebiet NATURA 2000 an der Elbe aufnehmen, obwohl die zuständigen Behörden das Vorhaben noch gar nicht genehmigt hatten.

"Die Stadt Dresden verfügt seit 1920 über ein einzigartiges System des vorbeugenden Hochwasserschutzes." Das verkündete Dr. Christian Korndörfer vom Amt für Umweltschutz der Stadt Dresden auf einem Workshop "Vorbeugender Hochwasserschutz auf kommunaler Ebene" vor zwei Jahren.

Solange dieses System funktionsfähig erhalten wird, führt selbst ein sogenanntes 100jährliches Hochwasser nicht zu einer Flutkatastrophe.

Der Experte irrte, und das zum Teil sehr dick aufgetragene Selbstlob des amtlichen Umweltschützers führte sich jetzt ad absurdum. Auf Grund der fragwürdigen Annahme, dass der durchschnittliche Pegelstand der Elbe 20 Zentimeter niedriger als um 1890 sei, definierten die sächsischen Behörden laut Wasserhaushaltsgesetz ein Überschwemmungsgebiet. Doch das kollidierte mit dem Flächennutzungsplan: der sah zwei Dutzend Baugebiete dort vor, wohin bei Hochwasser die Elbe fließen sollte. Ob der Schutz vor dem Hochwasser der Elbe wirklich ernst genommen wurde, darf angesichts der zahlreichen "Einzelfallregelungen" und des Bestandsschutzes für "bereits rechtskräftige Planungen und Nutzungen" bezweifelt werden.

Man darf nur hoffen, dass nach der Katastrophe in Sachsen Umweltschützer wieder mehr Gehör finden. Der B.U.N.D. fordert schon seit langem ökologische Hochwasserprogramme. Konkret heißt das:

Mehr Raum für Wasser und Auen durch Rückverlegung der Deiche; Flüssen und Bächen ihren freien Lauf lassen; keine weitere Bebauung von Fließgewässern.

Die Elbe ist eine der letzten Flusslandschaften mit natürlichen Talrändern und Auenwäldern. Das Naturschutzprojekt Mittlerer Elbe erwarb vor einem Jahr die ersten Auenwaldflächen. Deiche sind daher kein Allheilmittel: Hochwasser lassen sich ohnehin nicht verhindern. Georg Rast vom Auen-Institut des "World Wide Fund of Nature" (WWF): "Das Wasser muss raus aus den Wohnzimmern und wieder rein in die Flussauen - also in natürliche Überschwemmungsgebiete. Damit verhindern wir zwar keine Hochwasser, aber wir reduzieren die Schäden..

Trotz aller ökologischen Vorsorge wird aber immer ein Restrisiko bleiben. "Naturkatastrophen" wie jetzt die extremen Überschwemmungen werden immer wieder kommen, auch wenn sie statistisch eigentlich nicht zu erwarten wären. Der englische Klimaforscher Dr Tim Osborn von der University of East Anglia in Norfolk warnt: "If an event only happens once every 500 years, it could still happen." Der Mensch wird die Natur nie beherrschen können. Osborn zu BBC News über die Ursachen der verheerenden Überschwemmungen in Mitteleuropa: "It could simply be down to the chaotic nature of the atmosphere, not to any change in the climate over time."