Verraten und verkauft

Die Telekom schlampt beim Datenschutz und will entstandenen Schaden nicht wiedergutmachen

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Datenschutz ist für die meisten im Alltag ein abstraktes Thema - Sicherheitsgesetze hin, Videoüberwachung her. Es wird schon nicht so schlimm sein, denkt man sich und legt die Illustrierte mit den letzten Skandalmeldungen zur Seite. Dass die Missachtung des Datenschutzes unmittelbare Konsequenzen haben kann, die ans Lebensbedrohliche reichen, beweist ein Fall aus Tübingen.

Wer derzeit die Kontaktnummer des Frauenhauses Tübingen anruft, wird von einem Anrufbeantworter darüber informiert, dass niemand mehr aufgenommen werden kann; in dringenden Fällen solle sich die Hilfesuchende bei der Telefonseelsorge melden. Daran ist nicht etwa ein plötzlicher Motivationsausfall bei den Tübinger Frauenhaus-Aktiven Schuld, sondern die Deutsche Telekom AG.

20 Jahre lang war es gelungen, die eigentliche Adresse des Frauenhauses in einem ländlichen Tübinger Vorort geheim zu halten. Dann missachtete man bei der Telekom den Sperrvermerk für die Postadresse, und sie gelangte nicht nur ins Internet (teilweise mit Wegbeschreibung) und ins normale Telefonverzeichnis, sondern auch per Datenverkauf in die Hände anderer Telefonbuchanbieter. So wurde sie zum Beispiel in dem "Eniro-Komplettbuch" der Eniro Windhager Medien GmbH abgedruckt, das im Mai diesen Jahres 94.000 mal an alle Haushalte im Kreis Tübingen verteilt wurde.

Ergebnis: Das Frauenhaus musste sofort schließen, weil die Sicherheit seiner Bewohnerinnen und die der Aktiven nicht mehr gewährleistet war. Die aktuellen Einwohnerinnen und ihre Kinder mussten umquartiert werden, zum Teil in eigens angemietete Privatwohnungen einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft; 36 weitere Schutzssuchende mit insgesamt 54 Kindern wurden notgedrungen an andere Frauenhäuser vermittelt. Das jahrzehntelang genutzte Haus steht zum Verkauf. Nicht nur sind damit die gewachsenen Beziehungen zu Ärzten, Rechtsanwälten etc. zerrissen, die sich das Frauenhaus in seiner Umgebung geschaffen hatte. Besonders tragisch ist die Tatsache, dass der Frauenhaus-Verein 150.000 Euro an Landeszuschüssen in das Haus gesteckt hatte, von denen jetzt wahrscheinlich ein guter Teil zurückbezahlt werden muss. Aufgrund der Fehlentscheidung eines Telekom-Mitarbeiters ist der Frauenhaus-Verein vom finanziellen Ruin bedroht. Wie man vermuten darf, trägt dazu auch die Tatsache bei, dass seit der Veröffentlichung der Adresse zusätzliche Telekommunikationskosten in nicht unerheblicher Höhe angefallen sind.

Wie geht die Telekom damit um? Mehr oder minder gar nicht. Ein Pressesprecher des Unternehmens ließ sich Anfang September mit einem Versprechen in der Presse zitieren, man werde "demnächst" mit den Frauenhaus-Aktiven zu "einem vernünftigen Ergebnis kommen".

Die Haftpflicht der Telekom mauert bisher allerdings, weil, so wörtlich, "eine Veröffentlichung geheimer Daten zum Lebensrisiko" gehöre.

Der lokale Rundfunksender "Neckar-Alb-Radio" berichtete gar von einem weiteren Unternehmenssprecher, der die Panne mit einer ungeheuerlichen Aussage zu einem Glücksfall umdefinieren wollte: "Es macht doch nur Sinn, wenn das Frauenhaus bekannt ist." Die Strafanzeige des Frauenhaus-Vereins gegen die Telekom wegen Datenveränderung wird seit Mai von der Polizei bearbeitet, bisher ohne Ergebnis.

Der Fall wirft nicht nur ein bezeichnendes Licht auf den mangelnden Datenschutz als solchen, sondern schon auf die fragwürdigen Praktiken beim Datenhandel. Kauf und Verkauf gewaltiger Adress-Datenbanken sind mittlerweile so fest in die Aktivitäten großer Unternehmen integriert, dass sich die Idee von der informationellen Selbstbestimmung ihrer Kunden in einen schlechten Witz verwandelt hat. Wenn dann noch die übliche Personalpolitik betrieben, oder die Handarbeit gar in die Gefängnisse abgeschoben wird, sind die hausgemachten Katastrophen schnell perfekt.

Es ist beschämend, dass Frauenhäuser gebraucht werden. Beschämend ist auch, dass die Telekom elementare Geheimnisse ihrer Kunden nicht für sich behalten kann. Das Verhalten des Konzerns im Umgang mit den Konsequenzen seines ebenso schwunghaften wie schlampigen Daten-Großhandels kann allerdings nur noch jämmerlich genannt werden. Es scheint, dass das größte deutsche Telekommunikationsunternehmen um jeden Preis von seinem gigantischen Schuldenberg loskommen will und dabei fest entschlossen ist, die entstehenden Kollateralschäden zu ignorieren.