Amerikanischer Internationalismus

Angriff ist Verteidigung: Zur "Nationalen Sicherheitsstrategie der USA", die Präsident Bush vorgelegt hat

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Präsident Bush wird demnächst dem US-Kongress sein Strategiepapier The National Security Strategy of the United States vorlegen. Weit mehr als sein Titel verrät, definiert dieses Konzept die amerikanische Sicherheits- und Außenpolitik fundamental neu. Das Strategiepapier enthält die bereits zuvor verkündete Präventivschlag-Doktrin (Zur neuen Präventionsmoral alter Krieger), die in Zukunft auf feindliche Staaten und Terroristengruppen Anwendung finden wird, von denen die Gefahr ausgeht, Massenvernichtungswaffen herzustellen.

Bedeutender noch als dieses Strategieelement ist aber der jetzt ausdrücklich erklärte Anspruch, die militärische Vorherrschaft der USA für alle Zeiten festzuschreiben. Die Zeiten des Kalten Krieges, der Bedrohung der USA durch fremde Aggressoren, seien endgültig vorbei und dürften sich niemals in der Geschichte wiederholen. Das zuvor verfolgte Prinzip internationaler Verträge, um die Nichtweiterverbreitung von Waffensystemen zu gewährleisten, habe sich in den Fällen des Irans, Nord-Koreas, Iraks und anderer Nationen als untauglich erwiesen. Stattdessen gilt nun das Prinzip der "counterproliferation" bis hin zur gewaltsamen Entwaffnung unbotmäßiger Staaten.

Das Ende der Abschreckung

Die Strategien der Eindämmung und Abschreckung, die die amerikanische Politik seit den Vierzigerjahren des vorigen Jahrhunderts prägten, sind damit Makulatur geworden. Die unilateralistische Schlüsselidee Bushs ist der unbedingte Wille, jede ausländische Kraft daran zu hindern, mit der exklusiven militärischen Führungsrolle der Vereinigten Staaten zu konkurrieren, die nach dem Fall der Sowjet-Union entstanden ist. Jeder potenzielle Feind hat mit Präventivschlägen zu rechnen, wenn er es wagt, die Macht der USA zu übertrumpfen oder auch nur mit ihr gleichzuziehen.

"We cannot defend America and our friends by hoping for the best. So we must be prepared to defeat our enemies' plans, using the best intelligence and proceeding with deliberation. History will judge harshly those who saw this coming danger but failed to act. In the new world we have entered, the only path to peace and security is the path of action."

Mit dieser Generalermächtigung wird bereits jede Nation allein dadurch zum antiamerikanischen Freiheitsfeind, wenn sie das hegemoniale Machtkalkül Amerikas durch verstärkte militärische Anstrengungen provoziert würde. Die Falken kreisen in einsamer Höhe und wehe dem, der es ihnen gleichtun wollte. Da Russlands Ökonomie kränkelt, könnten sich zukünftige Konflikte, wenn die Schurkenstaaten erst exterminiert sind, vor allem mit China ergeben, das sowohl konventionelle wie auch nukleare Militärkräfte weiter ausbaut. Der Geist der Bedrohung prägt auch diesen Teil des Strategiepapiers: "China's leaders have not yet made the next series of fundamental choices about the character of their state. In pursuing advanced military capabilities that can threaten its neighbors in the Asia-Pacific region..." Quod licet Iovi, non licet bovi.

Der Krieg der Ideen

Das Papier wird als die Summe der präsidialen Visionen vorgestellt, die militärischen, ökonomischen und moralischen Ansprüche der USA nun in einer Doktrin festzuschreiben, die der Restwelt für alle Zukunft ihr machtpolitisches Wohlverhalten vorschreibt. Doch auch Diplomatie, internationale Hilfsmaßnahmen, die Kooperation mit "UNO", "International Monetary Fund" und "World Bank" haben sich in den expliziten Kampf der Werte und Ideen einzuordnen. Nota bene: Amerika befürchtet nicht länger den Kampf der Kulturen, sondern sucht ihn jetzt ausdrücklich:

"Wir werden auch einen Krieg der Ideen führen, um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu gewinnen."

Auch hier gilt folglich die Doktrin des "preemptive strike." Nicht länger soll also - in der Sprache europäischer Intellektueller - der zivile Wettbewerb der Ideen, das herrschaftsfreie Gespräch, die interkulturelle wie -religiöse Ökumene gefördert werden, sondern Bush erklärt den "Krieg der Ideen". Der Bellizismus der Diktion ist vielleicht noch verräterischer als der Inhalt. Selbst die New York Times erkennt in dieser kopernikanischen Strategiewende ein sehr viel "muskulöseres und mitunter auch aggressives Verständnis nationaler Sicherheitsbelange", als es je seit der Reagan-Ära formuliert worden wäre.

Nationale Notwehr

Der schlichte Reim, der sich mit der neuen Doktrin verbindet, ist der Glaube, wie es ein "senior White House official" ausdrückt, dass Kooperationen in vielfältiger Weise entstehen, wenn erst mal der militärische Wettbewerb abgeschafft sei. Multilateralismus gibt es immer dann, wenn es Amerikas Interessen, die zugleich die Interessen der freien Welt sind, dient. Unilateralismus herrscht da, wo das amerikanische Freiheitskonzept und die Militärhegemonie der USA provoziert werden. Denn im Strategiepapier mit dem tiefstapelnden Etikett "nationaler Sicherheit" wird kein Zweifel gelassen, dass im Fall von Konflikten amerikanischer mit anderen Interessen keine Kompromisse gelten. Dem haben sich auch die Alliierten zu fügen: Zwar sei man zu Allianzen bereit, um den immerwährenden Krieg gegen den Terrorismus zu führen. Im Fall nationaler Notwehr werde man aber nicht zögern, präventive Kriege auch alleine zu führen. Und der ist ein Schelm, der den Begriff der nationalen Notwehr für propagandafähig hält.

Das neue Verständnis fremder Souveränität, das Bush in einigen Kostproben bereits verabreicht hat, sieht so aus: Staaten werden entweder überzeugt oder gezwungen, ihren "souveränen Verantwortlichkeiten" nachzukommen, wenn es der Kampf gegen Terroristen gebietet. Souveränität wird danach zum Lehngut. Ex-Präsident Bill Clinton verließ sich noch auf internationale Abkommen, ob in der nuklearen Abrüstung oder in der Umweltpolitik. Für Bush ist die Idee internationaler Verträge Ballast seiner machtpolitischen Weltneuordnung auf dem Boden amerikanisch definierter Glückseligkeit.

Humaner Turbokapitalismus

Eine neue Ära wirtschaftlichen Wachstums soll durch freie Märkte und freien Handel entfacht werden. Das klingt gut. Aber sind nicht gerade der Turbokapitalismus, die globalen Börsen- und Devisenspiele und neoliberalen Abrüstungen der Sozialstaatlichkeit die besten Garanten gewesen, die Verteilungsungerechtigkeit des köstlichen Gutes "Freiheit" nach Kräften zu fördern? Das Gefälle dieser Ungerechtigkeiten vollzieht sich längst nicht mehr nur zwischen Industrie-, Schwellen- und Hungerländern, sondern hat inzwischen auch die westlichen Wohlstandsgesellschaften erreicht. Die Anzeichen mehren sich, dass auch Deutschland vor einer schlimmen Rezession steht.

Amerika wird seine Hilfsfonds für bedürftige Nationen in den nächsten Jahren um 50% aufstocken. Davon sollen solche Gesellschaften profitieren, deren Regierungen gerecht regieren, ihre Zuwendungen der Bevölkerung zukommen lassen und die Wirtschaftsfreiheit fördern. Das Geld habe an die Armen zu gehen, sei insbesondere für Schule, Gesundheitswesen und sauberes Wasser zu verwenden:

"Eine Welt, in der manche Menschen in Luxus und Wohlstand leben, während die Hälfte der Menschheit mit weniger als 2 Dollar täglich leben muss, ist weder gerecht noch stabil. Alle Armen der Welt in einen sich ausdehnenden Kreis der Entwicklung und der Chancen einzuschließen, ist ein moralischer Imperativ und gehört zu den obersten Prioritäten der amerikanischen Außenpolitik."

Doch dieser moralische Imperativ besänftigt nicht das Dilemma einer kruden Mischung aus radikaler Militärpolitik, Weltgenesungstherapie und der globalen Verordnung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten:

"Wir arbeiten aktiv daran, die Hoffnung der Demokratie, der Entwicklung, der freien Märkte und des freien Handels an jeden Ort der Welt zu bringen."

Balance of powers

Um den nahe liegenden Vorwurf einer humanitär schön geredeten Machtwillkür zu entkräften, insistiert Bush darauf, dass die militärische und politische Macht der USA allein eingesetzt werde, um freie und offene Gesellschaften zu unterstützen:

Mit der Beibehaltung unserer Tradition und Prinzipien setzen wir nicht Gewalt ein, um einen unilateralen Vorteil zu erlangen. Wir suchen stattdessen ein Gleichgewicht der Kräfte zu schaffen, das die Freiheit der Menschen fördert ..."

Der Begriff der "balance of power" ist in diesem militärhumanistischen Strategiepapier ein paradoxer Irrläufer, weil es ab jetzt nur noch eine Weltmacht gibt, aus deren Händen die anderen die Freiheit so zu nehmen haben, wie sie Amerika definiert. Diese Doktrin ist vor allem deshalb so fragwürdig, weil sie die Geschicke der Welt und die Interessen Amerikas unifiziert - zugleich aber, wenn es zum Konflikt kommt, allein der Priorität amerikanischer Interessen folgt. Diese schizoide Einheit von gesellschaftsübergreifenden Werten, internationalen wie nationalen Interessen hat der Weltinnenpolitiker Bush) nun selbst mit dem Begriffshybriden "Amerikanischer Internationalismus" ("a distinctly American Internationalism") gelabelt.

In Konsequenz ist diese erste Darstellung der zukünftigen amerikanischen Sicherheitspolitik der Bush-Regierung nichts anderes als die Demontage der Politik souveräner Staaten, der Uno inklusive des Internationalen Strafgerichtshofs und schließlich auch divergenter Freiheits- oder Kulturkonzepte anderer Gesellschaften. Denn es gibt jetzt keine machtpolitischen Spielräume mehr, in denen andere Völker noch souverän operieren dürften. Soweit der Präsident auf die UN verweist, gilt das Prinzip amerikanisch definierter Subsidiarität: Machen die Vereinten Nationen alles richtig, akzeptieren die USA ihre Politik, anderenfalls ist die UN ein Stück Papier.

Und wie sich dieses Freiheitsverständnis amerikanischer Falken in praxi auswirken könnte, macht etwa die Überlegung des republikanischen Senators Jesse Helms deutlich, der sich über Kanzler Schröders eingeschränkte Solidarität mit Amerikas Kriegspolitikern erregte. Man werde im Fall von Schröders Wahlsieg über den Abzug von Truppen in Deutschland nachdenken müssen. Bedrohlich ist nicht das angekündigte Übel. Bedrohlich ist die Sprache des Zwangs, die arrogante Machtpose, die nur noch Vasallentreue oder Untergang kennt.

Bushs globale Rosskur würde weniger irritieren, wenn Amerikas Freiheitsverständnis ohne Makel wäre. Der Präsident hätte dann Recht, wenn sich diese vorgeblich transnationale Freiheit als ein unbestreitbares Gut aller Völker verbindlich auslegen ließe. Doch der fatale Irrtum ist die Anmaßung, dass die eigene Freiheitsfaçon bereits alle Unfreiheiten, Ungerechtigkeiten, Armut und Not beseitigt. Der US-Präsident pocht auf das Prinzip der Demokratie als zukünftiges Betriebssystem der Länder, die mit amerikanischer Unterstützung rechnen dürfen. Doch wo bleibt die internationale Demokratie, der sich Bush zu stellen hätte, wenn er der international gewählte Präsident der ganzen Welt werden möchte? Bleibt nur noch die Frage, ob diese Strategie der kompromisslosen Stärke Epoche oder Episode ist. Das müssen Amerikas Demokraten entscheiden, denn die außeramerikanische Restwelt wandelt fortan auf gefährlichen Pfaden.