Leben auf der Venus?

Der Astrobiologie-Boom ist nicht zu stoppen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit einer Oberflächentemperatur von etwa 480 Grad Celsius, einem Luftdruck, der 90 Mal so hoch liegt wie auf der Erde, und einer Kohlendioxid-Atmosphäre mit Schwefelsäureanteilen ist die Venus wahrlich kein lebensfreundlicher Ort. Science-Fiction-Szenarien, die sich den wolkenverhangenen Planeten mit üppiger Vegetation bewachsen und von fortgeschrittenen Zivilisationen bewohnt vorstellten, wurden rüde auf den Boden der Tatsachen herunter geholt, als Raumsonden in den sechziger Jahren die raue Wirklichkeit zeigten. Fortan hatte die Schwester der Erde als Projektionsfläche für Fantasien vom Leben im All ausgedient. Auf kaum einem anderen Planeten schien die Suche nach Lebensformen so aussichtslos wie auf der Venus.

Foto: Nasa

Doch das hat sich jetzt geändert. Auf dem Zweiten Europäischen Workshop zur Astrobiologie, der sich kürzlich in Graz getroffen hat, stellte Dirk Schulze-Makuch von der University of Texas in El Paso eine gemeinsam mit seinem Kollegen Louis Irwin entwickelte Theorie vor, wonach in der Venus-Atmosphäre in einer Höhe von ungefähr 50 Kilometern Mikroben existieren könnten. Hier entspricht der atmosphärische Druck dem an der Erdoberfläche und die Temperatur liegt bei 70 Grad Celsius. Schulze-Makuch und Irwin zufolge könnten mikroskopische Lebensformen verschiedene Merkwürdigkeiten in der chemischen Zusammensetzung der Venus-Atmosphäre erklären.

Zum einen gibt es weniger Kohlenmonoxid, als aufgrund der Sonneneinstrahlung zu erwarten wäre. Möglicherweise wird es durch einen bislang unbekannten Mechanismus abgebaut. Zum anderen fanden die Wissenschaftler sowohl Schwefelwasserstoff als auch Schwefeldioxid, zwei Stoffe, die normalerweise miteinander reagieren und daher nicht zusammen gefunden werden - es sei denn, sie werden ständig neu produziert. Noch mysteriöser ist das Vorhandensein von Carbonylsulfid, einem Gas, dass auf anorganischem Weg so schwer herzustellen ist, dass es schon gelegentlich als Indikator biologischer Aktivität angesehen wurde.

"Es mag nicht-biologische Wege zur Produktion von Schwefelwasserstoff oder Carbonylsulfid geben, die wir noch nicht kennen", räumte Schulze-Makuch gegenüber New Scientist ein. "Aber beide Reaktionen benötigen Katalysatoren, um in Gang zu kommen. Auf der Erde sind Mikroben die effizientesten Katalysatoren."

Die hypothetischen Mikroben in der Venus-Atmosphäre könnten Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und möglicherweise Wasserstoff in Schwefelwasserstoff oder Carbonylsulfid umwandeln und dabei ultraviolette Strahlung von der Sonne als Energiequelle nutzen. Das würde die bislang rätselhaften dunklen Flecken auf Ultraviolettaufnahmen des Planeten erklären.

Forscherkollegen sind skeptisch und geben zu bedenken, dass es auf der Venus zu wenig Wasser gibt, um die Entstehung von Leben zu ermöglichen. Schulze-Makuch hält dagegen, dass die Venus früher kühler und von Ozeanen bedeckt gewesen sein könnte. "Das Leben könnte dort begonnen und sich dann im Zuge des Treibhauseffekts in stabile Nischen zurückgezogen haben."

Computergenerierter Blick auf Gula Mons. Bild: Nasa

Die Venus-Theorie steht für einen bemerkenswerten Sinneswandel, der sich seit einigen Jahren abzeichnet. Nachdem die Hoffnungen, außerhalb der Erde Leben zu finden, in den sechziger und siebziger Jahren aufgrund der ernüchternden Raumsondenerkundungen auf Mars und Venus auf einen Tiefpunkt gesunken waren, erlebt die Suche nach außerirdischem Leben jetzt einen regelrechten Boom. Orte, die bislang für ganz und gar lebensfeindlich gehalten worden waren, wie etwa der Jupitermond Europa, sind innerhalb kürzester Zeit zu heißen Kandidaten avanciert. Selbst der noch weiter von der Sonne entfernte Saturnmond Titan wird mittlerweile in die Suche nach Leben einbezogen. Jean-Pierre Lebreton, Projektwissenschaftler bei der europäischen Huygens-Mission, die im Jahr 2005 die Titan-Atmosphäre erkunden soll, sagte noch vor zwei Jahren: "Wir suchen auf Titan nicht nach Leben." Jetzt räumt er in einer Pressemitteilung der europäischen Weltraumorganisation ESA ein: "Die Bedingungen auf Titan sind nicht geeignet für Leben, wie wir es heute verstehen. Es ist sehr kalt und es gibt kein Wasser. Aber wir sollten uns auf Überraschungen gefasst machen." (vgl. Es ist eine Maschine)

Die neue Lust am Leben resultiert zum einen aus neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die sich im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte angesammelt haben. So wurden auf der Erde Organismen entdeckt, die unter extremen Bedingungen existieren können. Im All fand man Hinweise auf flüssiges Wasser und komplexe organische Materie. Zugleich wurden durch Forschungen zu Künstlichem Leben lang gepflegte Gewissheiten erschüttert: Heute wird allgemein akzeptiert, dass sich Leben nicht definieren lässt. Das dürfte auch eine größere Offenheit bei der Suche nach außerirdischem Leben bewirkt haben.

Vor allem aber scheint sich in den neuen Forschungen der unbedingte Wille auszudrücken, bei der Suche nach Leben außerhalb der Erde fündig zu werden. Es ist der dringende, auch durch die ernüchternden Daten der Venera- und Viking-Sonden nur vorübergehend in den Hintergrund getretene Wunsch, im All nicht allein zu sein. Eine Sehnsucht nach Kontakt, die tiefer im menschlichen Bewusstsein verwurzelt zu sein scheint als die Wissenschaft.

Der gegenwärtige Astrobiologie-Boom wird noch eine Weile anhalten und entweder stichhaltige Beweise für außerirdisches Leben zutage fördern oder in zehn bis fünfzehn Jahren, wenn solche Beweise nicht gefunden werden sollten, einer erneuten Ernüchterung Platz machen. Aber ob die Menschen sich dauerhaft damit abfinden werden, möglicherweise allein im All zu sein, darf bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist es, dass die Trümmer der alten Theorien zu Mosaiksteinen neuer Hypothesen werden, die die Forschungen weiter vorantreiben. Wir wollen, dass der Kosmos belebt ist. Und da sich dieser Gedanke nicht endgültig widerlegen lässt, werden wir immer wieder Wege finden, ihn weiter zu verfolgen.