Schön die Wissenschaft zum Narren gehalten

Physikgenie ist möglicherweise ein Fälscher

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Der deutsche Physiker Jan Hendrik Schön veröffentlichte in den vergangenen Jahren eine spektakuläre Entdeckung nach der anderen. Dafür sammelte er international renommierte Preise ein und wurde bereits als potenzieller Kandidat für einen Nobelpreis gehandelt. Dann kam der tiefe Fall, denn andere Physiker konnten seine Experimente nicht wiederholen. Offensichtlich war geschlampt und vielleicht sogar gefälscht worden. Jetzt hat sein Arbeitgeber, die Bell Labs von Lucent Technologies in Murray Hill, ihn gefeuert.

Im Frühjahr 2002 bekam er noch den Outstanding Young Investigator Award der Materials Research Society, im vergangenen Jahr den Braunschweig-Preis und den Otto-Klung-Weberbank-Preis für Physik. Er wurde für seine sensationellen Forschungsergebnisse gefeiert und galt als das hoffnungsvollste Nachwuchstalent in der Forschung über organische Halbleiter und Supraleiter (Vgl. Doping von Supraleitern, Aluminium verändert Supraleiter und Supraleitendes Plastik). Die Max-Planck-Gesellschaft wollte ihn als jüngsten Direktor an ein Max-Planck-Institut berufen. Inzwischen hat sie offiziell in einem sehr kurzen Statement auf die Berufung verzichtet.

Keiner fragte nach, wie der junge Physiker die überwältigende Fülle seiner Veröffentlichungen realisierte, obwohl der Fachwelt kaum verborgen blieben konnte, dass er im wöchentlichen Rhythmus neue Ergebnisse publizierte. Sein Fleiß und seine Vielzahl neuer Erkenntnisse hätte eigentlich jeden in großes Erstaunen versetzen müssen. Jede Woche veröffentlichte er im Jahr 2001 im Durchschnitt einen Artikel, darunter jeweils mehrere in den renommiertesten Wissenschaftsjournalen Nature und Science.

Der Shooting Star Jan Hendrik Schön, Jahrgang 1970, studierte Physik an der Universität Konstanz, wo er 1997 promovierte. Ein Jahr später wechselte er als Forscher zu den Bell Laboratories in Murray Hill, wo er in der Gruppe von Betran Batlogg tätig war (Vgl. He Turned Up The Heat On a Very Cold Subject. Die Forschertruppe tat sich durch viele Entdeckungen im Bereich der Supraleitung hervor und galt als Medien-Liebling. Neben diversen Artikeln in Fachzeitschriften berichtete das Fernsehen, aber auch das Time- and Life-Magazin über ihre Arbeit. Batlogg ging 2000 an die ETH Zürich, fungierte aber weiterhin bei vielen Veröffentlichungen von Schön als Ko-Autor. 2000 erhielt Schön zusammen mit ihm und dem Materialforscher Christian Kloc den Industrial Award ICSM.

Wie viel Anteil Schön an den gemeinsam veröffentlichten Artikeln hatte, ist bis jetzt nicht in allen Einzelfällen geklärt, aber trotz offiziellem Freispruch muss doch die Frage an alle Ko-Autoren gestellt werden, ob ihnen wirklich nie die Idee kam, die Inhalte zu überprüfen, unter die sie ihre Unterschrift setzten. Bei einem Teil gilt sicher die klassische Erklärung, dass Gruppenleiter und Professoren grundsätzlich mindestens als Ko-Autoren genannt werden, auch wenn sie zu den neuen Erkenntnissen nur ihre beratende Stimme oder ihr Institut zur Verfügung gestellt haben - eine allgemein und international verbreitete wissenschaftliche Unsitte. Im Zweifelsfall macht sich der Professor nicht mal die Mühe, den Artikel eines Mitarbeiters zu lesen, Hauptsache der eigene Name steht in einem Fachblatt. Trotzdem muss der Grundsatz gelten, dass wer als Autor genannt wird, den Inhalt mitzuverantworten hat.

Erste Zweifel an Schöns Seriosität kamen im Mai auf. Es war anderen Physikern immer wieder nicht gelungen, seine Experimente zu wiederholen und im Frühjahr wurde Lydia Sohn von der Princeton University aus den Kollegenkreisen des Bell Labs zugetragen, dass etwas mit Schöns Daten nicht in Ordnung sei. Sie informierte Paul McEuen von der Cornell University und die beiden sahen sich die letzten Veröffentlichungen gründlich an. Dabei entdeckten sie identische Grafiken in Artikeln von Schön zu verschiedenen Themen. Sie informierten die Herausgeber von Science und Nature sowie Schöns Arbeitgeber. Obwohl Schön alles als Missverständnis hinstellen wollte, kam die Kugel ins Rollen. Bell Labs setzte eine Untersuchungskommission ein, die jetzt ihre Ergebnisse präsentierte. Die Experten-Gruppe überprüfte 24 Fachartikel und kam bei 16 davon zu dem Schluss, dass die Daten nicht verifizierbar sind. Jan Hendrik Schön ist gefeuert. Die Laboratorien ließen verlauten:

Bell Labs announced today the findings of an independent committee it formed to investigate the validity of certain research reported by teams of Bell Labs and other scientists. In its report, the committee concludes that one member of these teams had engaged in scientific misconduct by falsifying and fabricating experimental data between 1998 and 2001. This scientist's employment with Lucent Technologies has been terminated. (...) 'The evidence that manipulation and misrepresentation of data occurred is compelling,' the committee wrote, linking all misconduct to one researcher, who committed falsification or fabrication of data on at least 16 occasions, some interrelated. According to the committee's report, the researcher 'did this intentionally or recklessly and without the knowledge of any of his co-authors.

Jan Hendrik Schön, der selbst der Presse gegenüber keinen Kommentar abgeben wollte, widersprach dieser Darstellung. Er bedauert, dass ihm Fehler unterlaufen sind, leugnet aber Daten gefälscht zu haben. Wörtlich schrieb er:

I have to admit I made various mistakes in my scientific work which I deeply regret. However, I would like to state that all the scientific publications that I prepared were based on experimental observations.

Seine Experimente konnte er zu einem großen Teil nicht belegen, da er keine Daten mehr dazu auf seinem Computer hat. Sie seien gelöscht, weil die Kapazitäten der Festplatte nicht ausgereicht hätten, gab er dem Komitee gegenüber an. Einen großen Teil seiner Experimente hat er nicht in den Bell Labs, sondern in Konstanz durchgeführt. Geprüft, was er dort tat, hat anscheinend niemand.

Die Untersuchungskommission spricht alle Ko-Autoren und Mitarbeiter von jeder Mitschuld frei. Das erstaunt, denn wenn nicht einmal Vorgesetzte und Kollegen dafür verantwortlich gemacht können, was sie mitunterzeichnen, wer dann? Keiner von ihnen konnte die Experimente von Schön verifizieren, da er sie in Konstanz durchgeführt haben will, aber sie waren offensichtlich nur allzu gerne bereit, ihren Namen für etwas herzugeben, was sie gar nicht nachvollziehen konnten.

Sicher gibt es keinen völligen Schutz vor wissenschaftlichen Fälschungen oder zumindest aufsehenerregenden Übertreibungen, was sich in den letzten Jahren immer wieder zeigte. Das Beispiel der kalten Kernfusion (Vgl. Was ist eigentlich die "Kalte Kernfusion" ?), des Elements 118 (Vgl. Results of Element 118 Experiment Restracted oder der Fall der Krebsforscher Friedhelm Herrmann und Marion Brach (Vgl. Task Force legt Abschlußbericht vor) zeigen das überdeutlich. Aus letzterem Fall hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) konkrete Konsequenzen gezogen und einen Verhaltenskodex zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis geschaffen. Der Zeit gegenüber sagte der Physikprofessor Siegfried Großmann von der Universität Marburg, einer der drei Ombudsmänner der DFG, dass damit in Deutschland die Ehrenautorenschaft ausgemerzt werden solle. Wörtlich meinte er:

In der DFG sind wir uns einig, dass jeder Koautor Verantwortung für die gesamte Arbeit hat. Die Ausrede, er wisse davon nichts oder er kenne nur seinen Anteil, zählt nicht. Schöns Kollegen müssen das Zustandekommen der Arbeiten bewusst begleitet haben.

Das sollte als internationaler Standard festgelegt werden. Fragwürdig ist und bleibt auch der immense Veröffentlichungsdruck, dem vor allem jüngere Wissenschaftler ausgesetzt sind. Wer nicht ständig etwas publiziert, ist schnell weg vom wissenschaftlichen Fenster. Das gilt in Europa und ganz besonders in den USA, wo Professoren üblicherweise nur auf Zeit berufen werden. Es ist höchste Zeit, einmal gründlich über das System und seine Unsitten nachzudenken.