Google Studium Einfluss?

Eine Forschungsaufgabe: Wie verändern Suchmaschinen wissenschaftliches Arbeiten?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Meinten Sie: Gödelisierung der Recherche?" Nein: Googleisierung! Nur einen einzigen Treffer hat die Suchmaschine zu diesem Thema zu vermelden: einen Artikel über Auswirkungen von Google auf die journalistische Recherchekultur. Aber welche Auswirkungen mag das Recherchewerkzeug auf die Arbeitstechniken von Studierenden haben?

Also, googleisch gefragt: "Studium Google Einfluss"? Keine abwegige Frage, offenbar. Denn oben rechts erscheint gleich die passende Anzeige: "Hier Seite anmelden! Garantierte Toppositionen bei allen Suchmaschinen". So also werden Treffer gemacht. Die passenden Top-Seiten zu unserer Frage aber sucht man vergebens unter den 599 Treffern. Auch die Wortfolge "wissenschaftliches Arbeiten Gebrauch Suchmaschine verändert" führt nicht zum Erfolg. Zwar gelingt die Fokussierung auf überschaubare 60 Treffer. Darunter sind aber nur Aufsätze mit Titeln wie "Vermittlung von Medienkompetenz im Deutschunterricht" oder "Einsatz neuer Medien in der Wissenschaft". Datum: 1998. "Google" nahm seinen Aufschwung in Deutschland erst 2000.

Dass etwas nah dran ist, am Thema, und doch daneben, hat übrigens System bei "Google". Schon Variationen in der Schreibweise können Überraschungen produzieren. "Britney Spers" zum Beispiel - wer danach sucht, bekommt prompt statt des Popstars allerlei Nacktes auf den Bildschirm gepixelt.

Besser bedient als bei "Google" ist man bei der zielgerichteten Suche auf den Seiten der für ein Thema einschlägigen Internet- Foren. Wie "Scientology" einmal "Google" zwang, sektenkritische Seiten aus dem Angebot zu nehmen, konnte man zuletzt zum Beispiel in diesem Magazin nachlesen(Die Welt ist fast alles, was Google ist oder Die Welt ist keineswegs alles, was Google auflistet) - ebenso eine Analyse des Über-den-Haufen-geworfen-Werden bestehender Ordnungsschemata historischen Denkens (Jahrhunderte nacheinander oder nebeneinander).

Was war mit Morroiconog Neck?

Aber damit es so weit kommen kann, müssten zunächst einmal die historischen Quellen selbst im Netz verfügbar sein. Sie sind es aber nicht. Und wenn man dem Erfahrungsbericht des Harvard-Dozenten John Lenger Glauben schenken darf, dann ist gerade diese Tatsache den Studenten weitgehend unbekannt. John Lengers Studenten jedenfalls hatten Probleme, herauszufinden, warum es 1732 am Harvard-College einen Streit um ein Grundstück mit dem Namen "Morroiconog Neck" gegeben hatte - obwohl die Informationen alle auf dem Campus verfügbar waren. Nur eben nicht im Internet.

Den gleichen Eindruck bestätigt auch ein Autor der Washington Post. Die Studenten, so berichten die interviewten Dozenten, gingen nicht mehr in die Bibliothek, sie gäben sich mit Häppchenwissen zufrieden, dessen Gültigkeit nicht kontrolliert werde, und beteten fremde Argumente nach, anstatt selbst Nachzudenken.

Ob sich diese Apercus beweisen lassen? Zumindest die Vorurteile sind solide. Das beweist die Studie Nutzung elektronischer wissenschaftlicher Informationen in der Hochschulausbildung. Nach dieser Studie sind Beschwerden über das Internet nicht Reaktionen vereinzelter Miesmacher, sondern akademischer Common sense. Auch bundesdeutsche Professor/-innen der Geisteswissenschaften, so haben die Umfragen ergeben, weisen darauf hin, dass sich unter den Studierenden eine zunehmende Lesefaulheit, Theoriefeindlichkeit und eine "intellektuelle Legasthenie" breit mache.

Ob diese Vorwürfe den Tatsachen entsprechen, haben sich die Autoren der Studie nicht bemüht, herauszufinden. Wohl aber haben sie untersucht, wie es tatsächlich um die Nutzung von Suchmaschinen zu Studienzwecken bestellt ist.

Google & Co., so ist hier zu lesen, ständen nach einer Studierendenbefragung der Sozialforschungsstelle Dortmund bei der Suche nach wissenschaftlicher Literatur auf Platz zwei: hinter "Kommilitoninnen fragen" und vor "Suche auf dem lokalen Server der Universitätsbibliothek".

Von den Professoren wird diese Tendenz durchaus skeptisch beurteilt. Die meisten Hochschullehrenden, so hat eine schriftliche Befragung ergeben, erachten die Art und Weise, wie Studierende sich Informationen im Netz beschaffen, vor allem aber den autodidaktischen Erwerb von Recherchekompetenzen als "wenig angemessen". 56,4% der Lehrenden meinen außerdem, dass Studierende Probleme hätten, die Qualität und Bedeutung von Informationen einzuschätzen. Gleichzeitig aber haben die Hochschullehrenden angegeben, auch ihrerseits ihre eigenen Netzkenntnisse vor allem im Selbststudium erworben zu haben - was für die Autoren der zitierten Studie wiederum ein Indiz für die mangelnde Qualifizierung der Lehrenden selbst ist. Zwei Drittel nämlich der Professoren, so hat sich gezeigt, gingen bei der Suche über ungesicherte kommerzielle Suchmaschinen wie Yahoo oder Lyocs.

Abgesehen von diesen Meinungsumfragen und statistischen Erhebungen zur Nutzung von Computer, Internet und Suchmaschinen allgemein sind die Folgen der allerseits behaupteten und beklagten Aufmerksamkeitslenkung selbst bisher kaum wissenschaftlich erforscht wurden. Auch in der wissenschaftlichen Literatur zum Thema findet sich mehr als die Konstatierung eines diesbezüglichen Forschungsdefizites - so etwa bei Marcel Machill, Christoph Neuberger und Friedemann Schindler - in ihrer (allerdings nicht via Google, sondern nur in Papierform zugänglichen) Studie: "Transparenz im Netz. Funktionen und Defizite von Internet-Suchmaschinen" (2002), die sich vornehmlich mit Problemen des Jugendschutzes und von rechtsextremen Inhalten beschäftigt.

"Ich gucke nach"

Zumindest eine Gefahr jedoch scheint gebannt: das Umsichgreifen von "Kopieren & Einfügen". Klagen über das Kopieren von Hausarbeiten Anderer aus dem Netz, das jüngst noch eine Online-Unizeitung als vermeintliche Hauptfolge der neuen Recherchekultur aufgriff, fallen heute vergleichsweise bescheiden aus.

Kein Wunder. Denn die Dozenten sind auf der Hut. Ich gucke nach", berichtet etwa der Hamburger Gymnasiallehrer Wolfram Meier-Lutz. "Außerdem erkennt man zusammenkopierte Arbeiten ganz einfach daran, dass diese Wörter beinhalten, die die Schüler sonst nie benutzen würden."

Oft, so weiß Wolfram Meier-Lutz, verrät sich eine Schülerin aber durch noch dämlichere Fehler: etwa, wenn sie zu faul ist, einen englischen Text zu lesen und statt dessen die Übersetzungsautomatik von "Google" in Anspruch nimmt: "Das wird dann eins zu eins übernommen."

Offenbar scheint der Umgang mit Suchmaschinen nur der Anlass zu sein, wo sich Lernfaulheit bemerkbar macht. Die Ursachen liegen, wie immer, wo anders: beim Englisch- und Deutschunterricht. Was auch keine Neuigkeit wäre.