Lizenz zum Töten auf dem globalen Schlachtfeld

Die gezielte Ermordung der angeblichen al-Qaida-Mitglieder in Jemen mit einer ferngesteuerten Drohne macht deutlich, dass die US-Regierung weiterhin ihren "Krieg gegen den Terrorismus" mit allen Mitteln führen will - Abkommen und Menschenrechte werden beiseite gestellt

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Zwar wurden bereits in Afghanistan mit Raketen ausgestattete und ferngelenkte Drohnen zum Töten von Menschen eingesetzt, doch mit der Erschießung oder dem Anschlag aus der Ferne auf sechs angebliche al-Qaida-Mitglieder im Jemen wurde noch einmal eine Schwelle überschritten (Schuss aus der Ferne). Offenbar mit expliziter Rückendeckung des Weißen Hauses darf die CIA gezielte Anschläge auf mutmaßliche Feinde in aller Welt vornehmen, weil der Krieg gegen den internationalen Terrorismus die gesamte Welt zum Schlachtfeld macht. Ob dabei direkt oder indirekt über Roboter getötet wird, ist solange unerheblich, solange Kill-Roboter nicht auf Jagd geschickt werden, die autonom handeln und entscheiden.

Predator mit Hellfire-Raketen

Angeblich hat Präsident Bush, wie die New York Times berichtet, dem Geheimdienst CIA die Autorität eingeräumt, mit Predator-Drohnen Mitglieder des al-Qaida-Netzwerkes über Afghanistan hinaus zu verfolgen und auch zu töten. Die gezielte Tötung einzelner Menschen, die nur im Verdacht stehen, Terroristen zu sein, wendet das Kriegsrecht auf den Kampf gegen den Terror an. Nach dem Kriegsrecht ist allerdings die gezielte Tötung von einzelnen Personen, wie dies von Israel schon lange praktiziert wird, verpönt. Gezielte Tötungen geschehen nicht nur in einem rechtsfreien Raum, in dem die Willkür des Mächtigeren herrscht, sie können auch die Souveränität von Ländern verletzen, auch wenn im letzten Fall die jeminitische Regierung offenbar ihre Zustimmung zu dem Anschlag gegeben hat.

Bedenklich ist, dass sich die USA wie schon bei der Gefangennahme und Internierung von angeblichen Taliban- und al-Qaida-Kämpfern auf unbestimmte Zeit und ohne Rechtsanspruch, nicht einmal dem von Kriegsgefangenen, über nationales und internationales Recht hinwegsetzen. Die Reaktion auf den Terror, so scheint es, rechtfertigt den Ausnahmezustand. Selbst wenn der im Fahrzeug befindliche al-Harithi nachweislich für den Anschlag auf den Zerstörer Cole im Jahr 2000 verantwortlich gemacht werden kann, so wäre die Frage, ob die 5 Männer, die mit ihm getötet wurden, tatsächlich al-Qaida-Mitglieder und vor allem für irgendeine Straftat verantwortlich waren. Bei gezielten Tötungen lassen sich unschuldige Opfer eben nicht mehr als "Kollateralschäden" abtun.

Zweierlei Maß?

Auf der Pressekonferenz des Außenministeriums gestern ist der Sprecher Richard Boucher schwer in Bedrängnis geraten, warum "targeted killings", die von der israelischen Regierung ausgeführt werden, weiterhin abgelehnt werden, aber der Präsident der CIA ebensolche Tötungen erlaubt.

QUESTION: I'm sure many Israelis are wondering what the difference is between this and in targeted killing. And me, too.

MR. BOUCHER: As far as the events in Yemen, I have nothing for you on that.

QUESTION: But can you say that you are against targeted killings?

MR. BOUCHER: Our policy on targeted killings in the Israeli-Palestinian context has not changed --

QUESTION: And in other contexts?

MR. BOUCHER: I'm not going to speculate.

QUESTION: Well, so you have one rule for one conflict and another rule for another conflict?

MR. BOUCHER: I would say that -- if you look back at what we have said about targeted killings in the Israeli-Palestinian context, you will find that the reasons we have given do not necessarily apply in other circumstances.

Der neue Krieg macht neue Regeln notwendig

Das Weiße Haus ordnet den Anschlag mit der ferngesteuerten Predator-Drohne als legitimen militärischen Akt unter veränderten Kriegsbedingungen aus. Ari Fleischer, der Sprecher des Weißem Hauses, sagte so, dass die USA sich in einer "neuen Art des Kriegs mit einem ganz anderen Schlachtfeld" befinden, in dem "bekannte politische Grenzen, die es in traditionellen Kriegen zuvor gegeben hat, nicht mehr existieren". Da sich der Präsident offensichtlich über den Erfolg der gezielten Tötung erfreut gezeigt hatte, sagte Fleischer, dass Bush immer klar gemacht habe, dass es darum gehe, "to bring the leaders of al Qaeda to justice", wobei "justice" hier offenbar heißt, das Recht der amerikanischen Streitkräfte und Geheimdienste, jeden zu töten, von dem sie behaupten, er nehme eine führende Position bei al-Qaida oder in anderen Terrororganisationen ein. Dabei spielt es keine Rolle, wo diese Art der "Gerechtigkeit" ausgeführt wird, weil das Schlachtfeld vom amerikanischen Präsidenten bestimmt wird:

"Es ist kein traditioneller Krieg in dem Sinn, dass es ein bestimmtes Schlachtfeld, eine bestimmte Nation oder eine bestimmte Region gibt. Der Präsident hat klar gemacht, dass wir den Krieg gegen den Terrorismus überall dort führen werden, wo wir ihn führen müssen. Die Terroristen respektieren keine Grenzen oder Nationen."

Gezielte Tötungen schon kurz nach dem 11.9. im Visier

Schon kurz nach dem 11.9. hatte Vizepräsident Cheney die Schleusen für gezielte Ermordungen durch dei Geheimdienste wieder geöffnet. Nach einer Vielzahl von missglückten Anschlägen, deren Ausführung unter dem Deckmantel der Geheimdienste überbordete, hatte der damalige Präsident Gerald Ford 1975 eine "Executive Order" (11905) erlassen, nach der es jedem, der für die amerikanische Regierung arbeitet, verboten ist, sich an "politisch" motivierten Mordanschlägen zu beteiligen:

"Prohibition of Assassination. No employee of the United States Government shall engage in, or conspire to engage in, political assassination."

Nach diesem Wortlaut betrifft dies nicht nur ausländische Staatsführer, sondern ganz allgemein jede Person, wenn dies in einem politischen Kontext geschieht. Daher dürfen Militär und Geheimdienste keine einzelnen Menschen gezielt töten, aber es ist ihnen möglich, beispielsweise einen Angriff mit Raketen auszuführen, da dabei ja größere Zerstörungen bewirkt werden. Bestätigt wurde das Verbot auch durch weitere "Executive Orders" von Jimmy Carter und sogar von Ronald Reagan. Präsident Clinton ging noch weiter und untersagte den Geheimdiensten die Anwerbung von Mitarbeitern oder Informanten, die Verbrechen oder Menschenrechtsverletzungen begangen haben.

Vermutungen reichen für die Ermordung

Vizepräsident Cheney meinte nach dem 11.9., dass der neue Krieg schlicht andere Vorgehensweisen erforderlich macht, die so schmutzig sein können wie die Taten der Terroristen: "Wenn man nur mit offiziell anerkannten und überprüften guten Burschen arbeiten will, wird man nicht herausfinden, was die Bösen machen. Es ist ein gemeines, ekelhaftes, gefährliches und dreckiges Geschäft da draußen, und wir müssen auf die Schauplatz agieren." Und auch Präsident Bush hatte schon damals klar gemacht, dass er die Terroristen, die "barbarisch" und "gesetzlos" handeln, nach Wildwestmanier tot oder lebendig haben will:

Für die US-Regierung, so die New York Times, gilt nach dem 11.9. das Tötungsverbot nicht mehr, auch wenn es nicht offiziell, sondern klammheimlich durch Andeutungen wie die von Cheney und Bush aufgehoben wurde. Und das Tötungsverbot träfe nach Regierungsansicht auf diesen Fall auch nicht zu, weil die Getöteten keine gesetzlich legitimierten politischen Führer gewesen seien. Beweise für die Verwicklung von al-Harithi in den Anschlag auf den Zerstörer Cole wurden bisher nicht vorgelegt. Offenbar geht man auch von keiner großen Kritik aus. Vizeverteidigungsminister bezeichnete den Anschlag aus der Ferne (oder aus dem Hinterhalt?) als "großen taktischen Erfolg".

Die New York Times zitiert einen leitenden Sicherheitsbeamten: "Ich bin ganz aufgeregt. Wir sind im Krieg und wir müssen die zu unserer Verfügung stehenden Mittel nutzen, um das Land zu schützen. Man muss alle Mittel nutzen, und das ist eine Art von Krieg, der uns zwingt, an viel Fronten mit allen zu unserer Verfügung stehenden Waffen zu kämpfen."

Nach dem Sieg der Republikaner in den Wahlen dürfte die Bush-Regierung noch weniger Hemmungen haben, sich dem Terrorkrieg anzupassen. Und sie wird damit rechnen können, dass Kritik aus den Reihen der befreundeten Staaten minimal bleiben wird.