DNA-Profiling à la Française

Der französische Innenminister will die nationale Gendatenbank beträchtlich erweitern, die Verweigerung einer DNA-Spende soll strafbar werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Des Innenministers Nicolas Sarkozys Gesetzesprojekt für die innere Sicherheit (LPSI, Konkretisierung des Ende August vom Parlament verabschiedeten Rahmen- und Orientierungsgesetz für die innere Sicherheit, wird wohl nicht mehr so schnell aus den französischen Schlagzeilen verschwinden (Von alten Sündenböcken und neuen Überwachungsmethoden): Neben der Kriminalisierung von "aggressivem und organisiertem Betteln" (6 Monate Gefängnis + 3750 Euro Geldstrafe), von "aktivem oder passivem Kundenfang" durch Prostituierte (6 Monate Gefängnis + Geldstrafe) oder auch der "illegalen Besetzung von Grundstücken" (6 Monate Gefängnis + 3750 Euro Geldstrafe + Beschlagnahme des Fahrzeugs, womit eindeutig Roma und Sinti anvisiert sind) sollen die Datenbanken der Polizei- und Justizbehörden erweitert und die Zugriffsmöglichkeiten auf diese erleichtert werden. Da selbst Zeugen, Opfer oder Verdächtige elektronisch erfasst werden sollen, könnten 15 bis 20 Millionen Personen von der herrschenden Datensammelwut betroffen sein, wie die französische Menschenrechtsliga, und sie ist bei weitem nicht die Einzige, moniert.

Besonderer Dorn im Auge der zahllosen Menschenrechts- und Datenschutzorganisationen, die sich in den letzten Wochen vehement zu Wort gemeldet haben: die geplante Erweiterung der nationalen Gendatenbank FNAEG (Fichier national automatisé des empreintes génétiques), welche 1998 durch ein Gesetz zur Bekämpfung von Sexualverbrechen geschaffen wurde und allerdings erst seit September 2001 operationell ist.

Diese Datenbank war ursprünglich nur für die Erfassung der genetischen Profile von verurteilten Sexualverbrechern und von unbekannten Personen vorgesehen, deren genetisches Profil anhand von biologischen Spuren, die am Tatort eines ungeklärten Sexualverbrechens vorgefunden wurden, erstellt wurde. Zur Zeit kann das Profil eines Verdächtigen mit den vorhandenen Daten verglichen werden, darf aber nicht gespeichert bleiben. Für die Konsultierung der FNAEG bedarf es der Genehmigung eines Staatsanwaltes oder Untersuchungsrichters.

Laut einer Pressemitteilung des Justizministeriums hielt die französische Gendatenbank letzten Mai 1027 genetische Profile von verurteilten Personen. Zu wenig für den umtriebigen Sarkozy, der letzten Mittwoch in seiner Rede vor dem Senat, wo das Gesetzesprojekt gerade debattiert wird, deutlich machte, wo seine Vorbilder zu Hause sind:

Die geplante Erweiterung der nationalen Gendatenbank "ist nicht der Vorbote eines entstehenden Polizeistaates, sondern das Ende des blinden Staates. Die FNAEG hat für das 21.Jahrhundert die selbe Bedeutung wie die Datei der digitalen Fingerabdrücke für das 20. Jahrhundert .Wem kann sie zur Zeit nützen, wenn sie kaum mehr als 1.000 Namen enthält, während die Gendatenbank Großbritanniens, Wiege der persönlichen Freiheiten, mehr als 1,7 Millionen Namen enthält?"

Tatsächlich haben die Briten mit ihrer 1995 ins Leben gerufenen "National DNA Database", die vom "Forensic Science Service" (FSS) geschaffen wurde, über die weltweit erste Gendatenbank im Dienste der Verbrechensbekämpfung. Bis April 2004 will die Regierung die genetischen Profile der "2,6 Millionen zur Zeit aktiven Kriminellen" erfasst haben, wie es im Jahresbericht der FSS heißt. Während in Frankreich bislang nur bereits verurteilte Sexualverbrecher oder beispielsweise in den Niederlanden nur Rückfalltäter der selben Kategorie einem DNA-Profiling unterzogen werden dürfen, ist die britische Gesetzgebung da weit liberaler:

"

DNA samples can be taken from anyone suspected of, charged with, reported for or convicted of a recordable offence."

"Eine schwerwiegende Gefahr für die individuellen Freiheiten"

Das geplante französische Gesetz für die innere Sicherheit dürfte wohl weitgehend vom britischen Beispiel inspiriert worden sein, ist doch die Liste der Verbrechen und Delikte, die künftig von der FNAEG erfasst werden sollen, erheblich verlängert worden: Personen, die für die Begehung von Gewaltverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Barbarei und Folter, Diebstahl, Zuhälterei, Erpressung, Zerstörung und organisierter Kriminalität verurteilt wurden oder die "wider das Staatsinteresse gehandelt" haben, sollen nun zur DNA-Spende gebeten werden. Aber auch Personen, die der zahlreichen aufgelisteten Straftaten "auf objektive Art und Weise", wie es Sarkozy formuliert, bloß verdächtigt werden. Eine reichlich schwammige Formulierung für die auch der Gesetzestext keine weiter Aufklärung bietet:

"Die genetischen Fingerabdrücke von Personen gegen die es einen oder mehrere plausible Gründe gibt, sie der im Artikel 706-55 aufgelisteten Straftaten zu verdächtigen, werden ebenfalls in dieser Datei aufbewahrt (...)", wie es im Artikel 15 der LPSI heißt. Eine Semantik die sowohl von der französische Datenschutzkommission CNIL, wie von der nationalen Menschenrechtskommission CNCDH harsch kritisiert wird und die freilich auch bei der dreitägigen Debatte im Senat für Unkenrufe aus der Opposition sorgte. Nebenbei zeigten sich beide Kommissionen leicht pikiert darüber, von der Regierung zum Gesetzesprojekt, das laut der CNIL "eine schwerwiegende Gefahr für die individuellen Freiheiten" darstellt, nicht zu Rate gezogen worden zu sein.

Auch der Umstand, dass verdächtigten Personen künftig 6 Monate Gefängnis und 7500 Euro Geldstrafe drohen, falls sie sich der Entnahme einer DNA-Probe verweigern, sorgt für Zündstoff. Eine solche Verweigerung wäre laut der CNCDH eigentlich durch das Schweigerecht und das Recht auf Verteidigung garantiert. Die CNIL wiederum registriert mit Besorgnis, dass die Aufnahme des genetischen Fingerabdrucks eines Verdächtigen in die FNAEG auf Anordnung eines Beamten der Kriminalpolizei erfolgen kann. Für die Datenschützer kann nur ein Staatsanwalt oder ein Untersuchungsrichter eine solche Anordnung treffen, so wie es auch bislang der Fall war. Des weiteren fordert man eine automatische Entfernung aus der Datenbank, sobald die Untersuchung oder Anklage gegen eine Person fallen gelassen wurde. Der Sarkozy-Text sieht vor, dass der genetische Fingerabdruck in einem solchen Falle entweder auf Anordnung des Staatsanwalts oder Anfrage des Betroffenen selbst aus der FNAEG entfernt werden kann.

Gefahr eines parallelen Strafregisters?

Das Gesetzesprojekt, das am Dienstag im Senat verabschiedet und Anfang Januar vom Nationalrat abgesegnet werden soll, genehmigt den Polizei- und Sicherheitsbehörden nicht nur einen freizügigeren Umgang mit genetischen Informationen, sondern liberalisiert auch weitgehend den Zugang zur schon seit Jahren höchstumstrittenen Megadatei der Kriminalpolizei, der STIC (zentrales Datenverarbeitungsprogramm der registrierten Gesetzesübertretungen), welche Frankreich 2000 bereits einen Big Brother Award beschert hatte. Das STIC soll laut Gesetzestext von allen Beamten der Kriminalpolizei, aber auch "Beamten der Verwaltung" konsultiert werden können:

"Diese Erweiterung könnte die Dateien der Kriminalpolizei zu einer Art parallelen Strafregister werden lassen, das nur wenig kontrolliert wird", warnt die CNIL. "Hinzu kommt noch, dass die Konsultierung dieser Dateien bereits zu einem Zeitpunkt geschehen kann, wo die endgültige Verurteilung einer Person noch nicht einmal statt gefunden hat."

Auch Beamte, die eine behördliche Routineüberprüfung durchführen, wie sie z.B. beim Antrag auf eine Staatsbürgerschaft statt findet, sollen Zugriff auf das STIC bekommen. Womit, laut CNIL, insgesamt 400 000 Polizisten und Gendarmen der Kriminalabteilungen und Beamte der diversen Behörden im STIC herumstöbern dürfen. Der nächste Big Brother Award dürfte wohl nicht weit sein:

"Die neuen Verfügungen dieses Gesetzes könnten das Risiko einer Massenkontrolle unnötig vergrößern, ohne dass dadurch die Sicherheit verbessert würde und ohne Gewährleistung der Garantien, die den Individuen zustehen", wie die Menschenrechtskommission anmerkt.