Uncle Sam und die "Snatch Option" des Präsidenten

Mordanschläge und Entführungen im amerikanischen Krieg ohne Grenzen

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Als der texanische Schlawinerpräsident George W. Bush jun. ankündigte, dass er Usama bin Ladin "tot oder lebendig" haben will, benutzte er die Sprache des Wilden Westens, einer Kultur, deren "Wanted"-Plakate solche Menschen wie Billy The Kid, Doc Holliday oder die Wild Bunch dämonisierten. Eine solche Ausdrucksweise findet in einer Kultur einen größeren Widerhall, die fälschlicherweise an eine Gesellschaft glaubt, in der die guten Menschen stets ganz gut sind und weiße Hüte tragen, während die bösen Menschen durch und durch böse sind, schwarze Hüte oder einen schwarzen Turban tragen und schwarze Talibanbärte besitzen. Eine solche manichäische Darstellung funktioniert für ein Drehbuch ganz gut, aber ist in der wirklichen Welt verheerend, in der die "Bösen" von Nichtamerikanern oft auch als die wirklichen Helden gesehen werden.

Washingtons vereinfachende Darstellung ist auch in anderen Aspekten falsch. Sie ist auf einer historischen Tradition begründet, die weitgehend, ausgenommen in Hollywood, ein Schwindel ist und in der Gottes Gerechtigkeit, wie beispielsweise in "High Noon", aus einem Gewehrlauf kommt. Das ist eine Struktur, in der komplexe Probleme im Hinblick auf die Kontrolle von Ressourcen, gleich, ob es um Erdöl oder - wie in den meisten Western - um Wasser geht, durch die Tötung eines einzelnen charismatischen Gegners gelöst werden können.

Der Glaube an den starken Mann

Die USA haben während der Präsidentschaft von George Bush sen. diesen Fehler mit katastrophalen Folgen begangen. Unmittelbar nach dem Kalten Krieg in den frühen 1990er Jahren führte uns Bush sen. in die Neue Weltordnung, einer weltweiten Pax Americana, ein, wo Washingtons Rechtsvorstellung herrschen sollte. Der erste Test geschah in Somalia, wo Fernsehteams standen, als US-Marines "hit the beach", also an den Strand paddelten.

Somalia war damals wie heute ein Wilder Westen ohne die Ethik von Hollywood. Es war ein Ort, an dem die Warlords durch Terror herrschten, während sie reichhaltig mit Waffen aus Russland versorgt wurden. Genau dasselbe war in Afghanistan der Fall, wo die USA und Großbritannien die Streitkräfte der Taliban und von al-Qaida versorgten und dazu ausbildeten, die Rote Armee mit Stinger-Raketen anzugreifen.

1993 erkannte die USA in General Mohammed Farah Aideed den Starken Mann in Somalia im Drehbuch des Texan Rangers. Das Ergebnis war im Oktober das Massaker an 18 Mitgliedern von amerikanischen Spezialeinheiten, deren entwürdigte Körper an Seilen hinter den Toyota Pick-ups der Guerilleros unter Jubel durch den Staub geschleift wurden. Die Bilder im Fernsehen hinterließen, auch wenn sie nicht die ganze schmutzige Story zeigten, einen tiefen Eindruck in der amerikanischen Öffentlichkeit.

Im Irak schien ein anderer Starker Man, den der Westen unterstützt hatte, die Farbe seines Hutes von weiß (tugendhaft, auf der Seite des Westens) zu schwarz verändert zu haben, nachdem er in den Kuwait einmarschiert war. Saddam Hussein ist kein Dummkopf. Er hatte bereits die Lektion gelernt, nämlich dass das Leichensacksyndrom eine schlechte Medizin in den USA ist. Im Juli 1990 erinnerte er, kurz bevor er seinen Nachbarn angriff, boshaft April Glaspie, die US-Botschafterin in Bagdad, daran: "Ich mache mich über Sie nicht lustig, aber ... Ihre Gesellschaft kann keine 10.000 Toten in einer Schlacht ertragen."

Trotz der Auswirkungen eines jeden Verlusts von Menschenleben auf die öffentliche Meinung, wie beispielsweise das Massaker an 241 US-Marines in Beirut, das zum Rückzug aus dem Libanon führte, zeigt sich in der Geschichte der amerikanischen Beteiligung an Anschlägen und Entführungen weiterhin der Glaube, dass die Entfernung eines charismatischen Führers zu einem gewünschten Ziel führen wird oder dass man eine Idee zum Verschwinden bringen kann, wenn man die "Bösen" einen nach dem anderen beiseite schafft.

Können Morde wirklich funktionieren? Unter ganz bestimmten Umständen schon. Diktaturen konzentrieren per Definition politische Macht in einer Person. Aber auch wenn ein Diktator gestürzt werden kann, so können seine Ideen nicht so leicht ausgemerzt werden. Aus diesem Grund ist der Glaube mancher US-Behörden, besonders der CIA, dass man mit einem politischen Mord ein politisches Ziel erreichen kann, normalerweise zum Scheitern verurteilt. Im Außenministerium besteht man noch immer darauf, dass man Israels Anschläge verurteilt.

Nach dem Predator-Anschlag in Jemen wurde Richard Boucher, der Sprecher des Außenministeriums, gefragt, wie das mit der Ablehnung von Israels "gezielten Tötungen" von Palästinensern vereinbar sei.

"Wenn Sie sich an das erinnern, was wir über die gezielten Tötungen im israelisch-palästinensischen Kontext gesagt haben, werden Sie sehen, dass die von uns gegebenen Gründe nicht notwendigerweise auf andere Umstände zutreffen."

Im Unterschied dazu beschrieb Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz den Vorfall in Jemen als "eine sehr erfolgreiche taktische Operation", durch die man "sich einer gefährlichen Person entledigt" habe und die "Änderungen in ihren Taktiken und Vorgehensweisen erzwungen" habe.

Das Weiße Haus machte durch seinen Sprecher Ari Fleischer kein Geheimnis daraus, dass der Angriff Bestandteil des Kriegs ohne Grenzen war. "Der Präsident", so erinnerte er die Welt, "hat den amerikanischen Menschen gegenüber sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass dies ein Krieg ist, in dem manchmal Dinge geschehen können, von denen die amerikanischen Bürger niemals etwas erfahren."

Mordanschläge und Entführungen im amerikanischen Krieg ohne Grenzen

Während der Zeit des Kalten Kriegs wurde die amerikanische Politik, wie dies jetzt offenbar auch der Fall ist, stärker von der Realpolitik als von der Moral oder dem Gesetz bestimmt. Der CIA war, manchmal durch böswillige Untätigkeit, beteiligt an den Mordanschlägen auf Patrice Lumumba (Kongo, 1960), Rafael Trujillo ("El Benefactor", Dominikanische Republik, 1961), Ngo Dinh Diem (Südvietnam, 1963) und Fidel Castro, gegen den 25 Anschlagsversuche stattfanden, bevor die USA 1963 sich selbst die Wunde der Ermordung von Präsident Kennedy zufügten. Eines der späteren CIA-Opfer war Che Guevara (Bolivien, 1967). In Guatemala unterstützte der Geheimdienst das mörderische Vorgehen gegen Menschenrechtsaktivisten und andere Personen, was erst während der Clinton-Präsidentschaft 1995 zugegeben wurde.

Präsident Ford verpönte 1976 in einem Versuch, sich selbst von dem Cowboy-Syndrom zu distanzieren, den politischen Mord an Amerikas Feinden ganz offiziell. Der Erlass wurde von Carter und 1981 sogar durch die Executive Order 12333 des Falken Reagan bestätigt. Hier steht:

"Verbot des Mordanschlags: Keine Person, die bei der US-Regierung angestellt ist oder von ihr beauftragt wurde, darf sich an einem Mordanschlag beteiligen oder sich dazu verschwören. Es dürfen auch keine Strohmänner für solche Missionen eingesetzt werden."

11 Jahre später war dies nach dem Außenministerium noch immer die gültige Politik. Im November 1992 antworteten das Außenministerium und der Pentagon, als ein afrikanischer Politiker Washington vorschlug, den früheren Staatschef Charles Taylor als einen Schritt zur Wiederherstellung der Kontrolle über das Land zu ermorden:

"Die US-Regierung verbietet allen ihren Beschäftigten, sich an Mordanschlägen zu beteiligen oder sich dazu zu verschwören. Wir verbieten eine indirekte Teilnahme an Mordanschlägen, beispielsweise durch das Auffordern einer Person, an diesen mitzuwirken. Dieses schon lange gültige Verbot wurde durch eine executive order erlassen und spiegelt die starke politische und moralische Ablehnung von Mordanschlägen wider."

Das verhinderte allerdings nicht die Bombardierung von Tripolis durch Reagan, die unter dem Zeichen der "Selbstverteidigung" Gaddafi auslöschen sollte. Es hinderte auch Russell Bruemmer, den Berater der CIA, nicht daran, im April 1990 zu sagen, dass Agenten nicht mehr für "unbeabsichtigte Verletzungen" des Verbots bestraft würden.

Als Alternative zum Mordanschlag wurde zu einer Methode geraten, die als "the Presidential snatch option" bekannt geworden ist. Zuerst wurde sie in einer unveröffentlichten rechtlichen Stellungnahme mit dem Titel: "Authority for the FBI to override Customary or Other International Law in the Use of Extra-territorial Law Enforcement Activities" erwähnt. Alle waren darüber in Washington keineswegs glücklich. "Ich sagte 1986", so Michael Abbell, ein ehemaliger Leiter der Abteilung für Auslieferungen im Justizministerium, "dass die USA, wenn sie diese Politik übernehmen, damit rechnen müssen, dass auch andere Länder sie praktizieren und so US-Bürger gefährden."

Die Nato im Gefolge des amerikanischen Kriegs

Zwei Ereignisse haben unlängst bestätigt, dass es in der amerikanischen Auslieferungspolitik eine rechtliche Asymmetrie gibt. Erstens gab es die brüske Ablehnung, dass US-Bürger, die beschuldigt werden, Kriegsverbrechen begangen zu haben, in einem Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Rechenschaft gezogen werden dürfen. Und zweitens wurde die Todesstrafe an einem Mann in einem Gefängnis in Virginia ausgeführt, dessen bewaffneter Überfall auf das CIA-Hauptquartier "zum Symbol für die wachsende Wut der Muslims auf die USA" wurde.

Mir Aimal Kansi, 38, der Sohn einer mächtigen Familie in Quatta, wurde am 15. November, fast 10 Jahre nachdem er vor dem CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia, zwei CIA-Angestellte mit Schüssen getötet und drei weitere verletzt hatte, mit einer Giftspritze getötet. Er entkam damals, aber wurde 1997 aus seinem Zufluchtsort in Pakistan "weggelockt" - entführt -, als ihn das FBI in der Nähe der afghanischen Grenze aufgespürt hatte.

Ein solcher Fall reicht über die Rechtfertigung Israels für die Entführung von Eichmann hinaus. Hier führte man das Prinzip einer allgemeingültigen Gerechtigkeit gegen Kriegsverbrecher an, um zu begründen, warum man ihn der Rechtsprechung Argentiniens entzogen hatte. Doch in den neuen Kriegsrechten, die von Bush nach dem 11.9. erklärt wurden, rechtfertigt das Ziel die Mittel. Bislang sind die Briten noch nicht in die irische Republik eingedrungen, um IRA-Verdächtige zu entführen ... gut, ein oder zwei Mal ist das geschehen, aber ohne offizielle Genehmigung. Spanien hat bislang auch noch keine Todeskommandos losgeschickt, um baskische Flüchtlinge in Frankreich zu ermorden.

Doch Uncle Sam wirbt aktiv für diese Idee in Europa. Er hat gerade der Nato den Vorschlag unterbreitet, den diese auch angenommen hat, eine Eingreiftruppe von 21.000 Mann aufzustellen, um Terroristen auf der ganzen Welt ohne die Erlaubnis des jeweiligen Landes anzugreifen. Mit dem Angriff auf den Kosovo 1999 verließ die Nato ihre traditionelle Rolle als Verteidigungsgemeinschaft und wurde zu einer offensiven militärischen Macht, die außerhalb ihrer traditionellen Grenzen kämpfte. "Die auf der uns bislang bekannten Nato basierenden transatlantischen Sicherheitsbeziehungen sind nicht mehr wiederherzustellen", kommentiert der dänische Sicherheitsexperte Peter von Ham in einem neuen Artikel "What future for Nato?". "Für Nichtamerikaner wird die Welt dadurch schrittweise zu einem Ort, in dem die USA als Gesetzgeber, Polizist, Richter und Henker handeln."

Van Ham hätte noch hinzufügen können, dass für die neue Strategie die Rolle der alliierten Streitkräfte ähnlich derjenigen sein wird, die die ausländischen Hilfstruppen einnahmen, die für Rom kämpften, während das wertvolle Leben und das Können der Legionäre sorgfältig gehütet wurden.

Wie reagieren die Falken in Washington auf eine solche Häresie? In einem Interview mit der britischen Zeitung Guardian sagte Richard Perle, ein wichtiger Berater des Pentagon: "Europa hat seinen moralischen Kompass verloren. Viele Europäer sind so gebannt von der Aussicht auf Gewaltausübung, dass sie nicht mehr erkennen können, mit wem wir es zu tun haben. Deutschland hat sich durch einen moralisch betäubten Pazifismus ins Abseits gestellt. Was den deutschen Bundeskanzler betrifft, so will er nichts mit dem Vorgehen gegen Saddam Hussein zu tun haben, weil dies Unilateralismus ist, selbst wenn die UN das Vorgehen billigt."

Und Frankreich? "Ich habe diplomatische Manöver gesehen, aber keinen moralischen Charakter." Und wie steht es mit Großbritannien? Perle bringt seine Wertschätzung für Tony Blairs Treue zu der Linie Washingtons zum Ausdruck. Aber alles ist nicht ganz so, wie es zu scheint, selbst in London nicht. "Wir dürfen uns nicht unter einem Nato-Schirm von einer USA ersticken lassen, die entschlossen ist, keine Konkurrenz zu dulden", kommentiert der gut über Sicherheitsfragen informierte Richard Norton-Taylor vom Guardian. "Es gibt viele britische Politiker, die das wissen, aber sich nicht zu sagen trauen. Ein hoher Politiker wurde kürzlich nach dem Interesse Amerikas an der EU gefragt. Er antwortete: 'Teile und Herrsche". In der Nato, in der die USA so dominant sind, ist nicht einmal das nötig."

Die USA sind das Gesetz

Einige schwache Stimmen halten den Glauben an die Herrschaft des Gesetzes, das fundamentale Ideal des Westens, an dem er immer weniger festhält, aufrecht. Amnesty International protestierte gegen die gesetzwidrige Tötung von Zivilisten durch amerikanische und britische Luftstreitkräfte im Kosovo. Nach der kürzlich erfolgten Ermordung eines nicht verurteilten amerikanischen Bürgers im Jemen durch die CIA protestierte Amnesty erneut.

"Falls sich dabei um eine willentlich ausgeführte Ermordung von Verdächtigen anstelle von Festnahmen unter Umständen gehandelt hat, die keine unmittelbare Bedrohung darstellen, dann wären die Tötungen nicht mit dem Recht zu vereinen, wären es Exekutionen in Verletzung des internationalen Gesetzes der Menschenrechte. Die USA sollte eine klare und eindeutige Stellungnahme abgeben, dass sie keine außerrechtlichen Exekutionen sanktionieren."

Die Antwort des Pentagon war nicht sonderlich überraschend:

"Wir befinden uns im Krieg mit al-Qaida. Wenn wir einen feindlichen Kämpfer finden, sollten wir in der Lage sein, militärische Streitkräfte einzusetzen, um militärische Aktionen gegen diesen auszuführen."

Auf eine etwas gelehrtere Weise äußerte man gegenüber der Washington Post, dass der Einsatz einer Hellfire-Rakete gegen al-Qaida-Verdächtige "im Rahmen von sehr geheimen Regeln stattfand, die von einem 'präsidialen Befund' abgeleitet wurden, der von Präsident Bush bestätigt und von Rechtsberatern des Weißen Hauses, der CIA und des Außenministeriums überprüft wurde." Der Einsatz folgte seinen eigenen "Handlungsanweisungen", in denen beschrieben würde, welche Menschen zum Ziel werden können. Überdies, so die Washington Post, "versichern Regierungsangehörige, dass es sich bei den Männern um feindliche 'Kämpfer' im Rahmen des von der USA angeführten Kriegs gegen den Terrorismus gehandelt habe, der im Unterschied zu allen anderen Kionflikten nicht durch nationale Grenzen definiert werden kann".

Ach so, und übrigens "haben einige Experten für das internationale und das Verfassungsrecht diese Regeln in Frage gestellt und behauptet, dass die Tötungen nicht in bekannte rechtliche Rahmen fallen".

Willkommen beim Dritten Weltkrieg oder, wie in Hollywood bezeichnen würde, bei Apocalypse Now.

Siehe auch den ersten Teil von Tony Geraghtys Essay: Der amerikanische Tod: Sofortexekution aus der Ferne.

Tony Geraghty schreibt seit Jahrzehnten über Themen der Verteidigung und des Terrorismus, u.a. für den Guardian oder Boston Globe. Im März 2000 wurde ihm während einer Feierstunde im Londoner Bankenviertel der Press Freedom Award des Freedom Forum of America für seine Weigerung verliehen, die Zensurversuche der britischen Regierung hinzunehmen. Er ist Autor u.a. der Bücher: "Who Dares Wins" and "The Irish War". In Telepolis sind von ihm erschienen: Der irische Krieg - eine britische Krankheit sowie Das ultimative Verbrechen: Diebstahl der persönlichen Freiheit.