Der Zoll hat Bedenken

Die sechste Ausgabe der Zeitschrift "Phase 2" ist unter mysteriösen Umständen an der deutsch-tschechischen Grenze beschlagnahmt worden

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Wenn es in Telepolis um Eingriffe in die Pressefreiheit geht, ist meist die im Internet gemeint. Der Fall einer kleinen linken Zeitschrift aus Leipzig macht klar, dass das Thema auch für den Printbereich aktuell bleibt.

Was zunächst bei diesem Fall ins Auge sticht, ist der Charakter der beschlagnahmten Publikation.. Es handelt sich bei dieser Zeitschrift weder um den hessischen Landboten, der zu Georg Büchners Zeiten mit Warnhinweisen versehen in Lederstiefeln über die Grenze geschmuggelt werden musste, noch um die "radikal" (Fall Radikal endgültig ad acta gelegt?), die im Verlauf ihrer über zwanzigjährigen Existenz regelmäßig beschlagnahmt wurde.

Die Phase 2 (Untertitel: Zeitschrift gegen die Realität), herausgegeben vom Göttinger Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur, ist ein Theorieblatt, das in unübersichtlicher ideologischer Gemengelage einen Überblick für die Linke gewinnen will. Einige Themen der Ausgabe 4 lauten zum Beispiel: "Die Arbeit und ihr Vaterland", "Die Transformation der Arbeitsgesellschaft", "Antisemitismus in der BRD-Linken" usw. Ebenfalls in der Ausgabe 4 heißt es selbstkritisch, Phase 2 wirke "eklektisch, planlos, Debatten um Jahre hinterher, zentristisch um Ausgleich bemüht, will es allen recht machen und muss sich als Forum anbieten, wo die Theoriehengste noch einmal das wiederholen können, was hinlänglich oft publiziert worden ist. Das ist nicht der Phase 2 vorzuwerfen, ihre Offenheit und ihr Bedürfnis nach umfassender Wahrnehmung dessen, was an Gesellschaftskritik erscheint, ist ernst zu nehmen - und das Resultat ernüchtert."

Das klingt nicht wie der frohgemute Aufruf zur sofortigen Revolution, und Anstiftungen zu Gewalttaten, Dokumentationen von Anschlägen, Bombenbastelanleitungen und ähnliches sucht man in dem Blatt vergebens. Nach Art und Gestus ist die Phase 2 vielleicht am ehesten noch mit der konkret vergleichbar, gegenwärtig die auflagenstärkste und bekannteste Zeitschrift der radikalen Linken in der BRD.

Eine zweite Merkwürdigkeit ist der Ablauf der Beschlagnahmung. Normalerweise würde die Beschlagnahmung einer Pressepublikation von einem Gericht oder, bei "Gefahr im Verzug" (zur Beweissicherung), von einem Staatsanwalt angeordnet. Nicht so im Fall der Phase 2. Am 6.12. prüfte der Zoll die Zeitschriften bei ihrer Einfuhr aus Tschechien (dort waren sie gedruckt worden), hielt sie für verdächtig und konfiszierte sie. Das Amtsgericht Wunsiedel verfügte daraufhin die Beschlagnahmung mit der Begründung, es ergebe sich ein Verdacht auf "Steuervergehen", außerdem müsse man bei der Phase 2 von "verfassungswidrigen Inhalten" ausgehen. Rechtsgrundlage für diese Verfügung sollen die §§ 94 und 98 der Strafprozessordnung sein.

Das Amtsgericht Wunsiedel war zu einem eingehenden Gespräch und/oder zur Übermittlung des Beschlagnahmebeschlusses nur unter einer seltsamen Vorbedingung bereit: Telepolis (resp. der Autor dieses Artikels) müsse erst den Namen des konkret Beschuldigten beibringen. Da die Phase 2 verständlicherweise nicht bereit war, diesen Namen zu nennen, muss der genaue Charakter des "Steuervergehens" und der "verfassungswidrigen Inhalte" zunächst im Dunkeln bleiben.

Rätselhaft auch, dass eine Zeitung, deren Gefährlichkeit Beschlagnahmungen an den Landesgrenzen notwendig macht, genau die inkriminierte Ausgabe völlig behinderungsfrei im Internet präsentieren kann - und zwar bei einer Domain, die in Deutschland administriert und gehostet wird.

Man fragt sich, ob die unterstellten "verfassungswidrigen Inhalte" im Internet weniger verfassungswidrig sind, oder ob sich die Behörden in Hamburg und Nordrhein-Westfalen mit ihren bayerischen Kollegen über die Verfassungswidrigkeit dieser Inhalte nicht einigen können. Hätten die Zollbeamten in Hamburg und Nordrhein-Westfalen die Phase 2 bei der Einfuhr ebenfalls beschlagnahmt, oder haben sich hier wieder einmal bayerische Sonderwege im juristischen Unterholz der Strafprozessordnung verlaufen?

Wie werten die Betroffenen das alles? In der Pressemitteilung der Redaktion vom 13.12. heißt es:

Mit der Beschlagnahmung der Phase 2 setzt sich die Generalprävention staatlicher Stellen gegen linksradikale Publikationen und Aktivitäten fort. (...) Die Diskussionen dieser Bewegung sind, wie die Beschlagnahmung erneut zeigt, unabhängig von ihrem Inhalt Ziel staatlicher Gegenmaßnahmen. Statt konkrete Inhalte zu kriminalisieren wird jetzt im Rahmen der bestehenden Gesetze dazu übergegangen, das Erscheinen der Zeitschrift insgesamt unmöglich zu machen. Allen Beteiligten ist klar, dass die Beschlagnahmung einer gesamten Auflage für eine Zeitschrift wie 'Phase 2' ein finanziell kaum zu verkraftender Schlag ist.

Diese Erklärung sieht also die Beschlagnahmung nicht nur als immanent politisches Ereignis, sondern begreift sie von vorneherein als politisch motiviert. Man schien zu diesem Zeitpunkt noch von einem gezielten Vorgehen gegen die Zeitschrift auszugehen.

Im Telefonat mit Telepolis äußerte der Sprecher der Phase 2 dann eher die Vermutung, der bayerische Zoll wolle eine willkürliche Beschlagnahmung nach einer zufälligen Stichprobe hauptsächlich zur maximalen Anödung der Betroffenen nutzen. Wie dem auch sei, ein Anwalt ist mit der Sache beschäftigt, die Auflage wird nachgedruckt (ein Spendenkonto ist eingerichtet), die Wochenzeitung Jungle World hat ein ausführliches Dossier zu der Angelegenheit angekündigt. Ganz so sang- und klanglos, wie das vielleicht gedacht war, zieht sich die Phase 2 nicht auf irgendwelche Server im Ausland zurück. Auf den Fort- und Ausgang der Auseinandersetzung zwischen den Leipziger Revolutionsskeptikern und dem bayerischen Zoll kann man jedenfalls gespannt sein.