Porno- oder Webradiopatent?

Burn all GIFs? Jetzt kommt "Burn all Streams"!

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Langsam wird es offensichtlich zur Masche, dubiose Patente aus der Tasche zu ziehen, um unerwartet abzukassieren. Das Neueste ist die Firma Acacia Research, die behauptet, Patente auf Streaming im Web zu haben.

Die Wut der Webgemeinde über solche Vorgehensweisen stört keinen der patenten Kassierer, erst war es GIF, dann JPG, dann der gewöhnliche Hyperlink und nun sind es Streaming-Inhalte: Immer wieder glauben Firmen, auf ganz patente Art das Gold aufsammeln zu können, das im Internet doch angeblich auf der Straße liegt.

Beim GIF-Format führt bei Software kein Weg an der Lizenz vorbei, allerdings war das Unisys-Patent auch Entwicklern von Grafiksoftware immer schon bekannt. Den Plan, auch Websites mit GIF-Grafiken zur Kasse zu bitten, ließ die Firma Unisys dagegen fallen - deren Erzeugung ist normalerweise bereits mit den Lizenzgebühren für die Software abgedeckt, mit der die Grafiken erzeugt werden - große Websites werden ihre Grafiken ja nicht gerade mit unlizenzierter Freeware erzeugen.

Die British Telecom fiel mit ihrem Versuch, ein Patent aus dem Giftschrank zu zaubern und damit alle Links im WWW abzukassieren, dagegen glücklicherweise auf die Nase. Bei JPG ist die Entscheidung allerdings noch offen.

Beim neuen Patentstreit ist die hierzulande bisher ziemlich unbekannte Firma Acacia sehr trickreich vorgegangen: Sie hat die bewussten fünf US-Patente 5253275, 5550863, 6002720, 6144702 und 5132992 schlichtweg von den ursprünglichen Inhabern H. Lee Browne und Paul Yurt mit übernommen, als sie 2001 das Browne gehörende Unternehmen Greenwich Information Technologies LLC kauften. Das Ergebnis nennt sie "Digital Media Transmission Technology (DMT)", und es soll alles betreffen, das irgendwie streamt: Webcams, Web-TV und -Radio, Video und Music on demand und auch den kleinen Webmaster, der ein paar lustige Geräusche im Real-Format auf seiner Seite anbietet. Neben den fünf US-Hauptpatenten hat Acacia auch noch 16 internationale Patente und insgesamt laut eigener Aussage 137 Patente, die DMT betreffen sollen - man hat also offensichtlich diesen Schachzug lange vorausgeplant und fleißig eingekauft, damit es nun auch klappt mit dem Kasse machen.

Vom Patent gegen Sex im TV zum Patent für Sex im Web

Patentstreits haben bei Acacia Research durchaus Tradition: Erst letztes Jahr konnte das Unternehmen mehr als 25 Millionen US-Dollar von insgesamt 17 Fernsehgeräteherstellern einnehmen, weil es ein Patent auf die V-Chips vorweisen konnte, die in Kanada und den USA Sex und Gewalt aus dem laufenden Fernsehprogramm ausblenden sollen. Proteste der Öffentlichkeit und der Internetgemeinde waren hier nicht zu erwarten, weil der V-Chip ohnehin unbeliebt und umstritten ist.

Und auch dieses Mal hat das Unternehmen diese Taktik eingesetzt: Acacia Research ging nämlich ausgerechnet Sexwebsites an, die ja häufig mit Videos und Webcams arbeiten. Die Videos werden dabei gestreamt, damit sie der zahlende Kunde nicht einfach abspeichern und allen seinen Freunden weitergeben kann, und Live-Übertragungen wie Webcams können naturgemäß ohnehin nur als Stream realisiert werden. Der Gedankengang von Acacia: Betreiber von Sexsites vermeiden die Öffentlichkeit, insbesondere momentan mit der konservativen Bush-Regierung, werden in dieser auch kaum Rückhalt finden und verdienen genug, um Acacias teure Lizenzen zu zahlen. Um es noch etwas spannender zu machen, bekamen die angeschriebenen Unternehmen nur eine Woche Zeit zu reagieren. Erste Anschreiben hatte es zwar schon im August gegeben, doch hielten die Empfänger dieser Briefe wohl für einen Witz: Dass jemand Rechte an einer kompletten, bereits seit Jahren gebräuchlichen Video-Sendetechnik haben könnte, konnte sich keiner vorstellen.

Die Hoffnung von Acacia Research: Wenn erst einmal die Online-Bedürfnisbefriediger unterschrieben haben, dann kann man auch nichterotische Internetsites leichter angehen. Doch die 27 angegriffenen Sexsites wehrten sich, wobei ein besonderes Ärgernis war, dass einmal für die Produktion von Streams und einmal für deren Wiedergabe gezahlt werden sollte. Die Folge: Wer einfach irgendwelche fremden Videos anbietet, zahlt einfach, wer sich dagegen selbst vor die Kamera setzt, zahlt gleich doppelt. Die Erotikanbieter gründeten die Internet Media Protective Association IMPA. Die kassiert nun von den angeschlossenen Websites die Gebühren, die Acacia haben wollte, und finanziert daraus ein Gerichtsverfahren gegen diese Firma. Klarer Schönheitsfehler des Konstrukts: Zahlen müssen die Erotik-Webmaster bei der IMPA genauso wie bei Acacia - wirkliche Freude kommt da nicht auf.

Acacia Research wird allerdings nicht auf den Erfolg beim Online-Sex warten, um zu entscheiden, wie man weitermacht. Auch Video on demand in Hotels ist bereits auf der Zielscheibe - Unternehmen aus diesem Bereich wurden erstmals im Juli kontaktiert - sowie Webradios. Bei letzteren hat eine Station - Radio Free Virgin - bereits unterschrieben, sagt Acacia. Und haben die Großen erst alle unterschrieben, kommen die Kleinen dran. Eine baldige Umbenennung des Virgin-Senders in "Pay Radio Virgin" oder "Screwed Radio Virgin" könnte die Folge des Vertrags sein, denn GEMA- oder RIAA-Gebühren (amerikanisches Äquivalent zur GEMA), die eigentlichen technischen Übertragungskosten und dann noch die Anschaffungskosten für die zu spielenden CDs - nicht jeder kann ja wie Radio Free Virgin einfach die Platten aus dem eigenen Unternehmen Virgin Records abspielen - machen Webradio so schön langsam uninteressant.

Erste kleinere Websender denken bereits darüber nach, sich vom ohnehin abmahndurchseuchten Internet zu verabschieden, wieder zu Lötkolben und Antenne zu greifen und zurück in die Illegalität der Vor-Internet-Zeit als klassischer Schwarzsender auf UKW oder Mittelwelle zu gehen. Bleiben und noch mehr Gebühren zahlen wollen nur große Sender, die Webradio nur nebenbei betreiben, um ihre Allmacht so auch noch auf das Internet und die dort ablaufende Kommunikation ausdehnen zu können.

Bedenklich ist dabei, dass ein solcher Schachzug wie bei Acacia möglich und legal ist: Patente waren einmal dazu gedacht, kleine Erfinder vor der Ausbeutung und dem Ideenklau durch große Unternehmen zu schützen. Stattdessen helfen heute Patente und Marken ausschließlich den großen Firmen, um mit ihrer Hilfe und teils abstrus hohen Streitwerten gegen Kleinunternehmer und Privatleute vorzugehen. Der kleine Erfinder wartet dagegen meist vergeblich auf Lizenznehmer für seine Ideen und kann sich die jährlich steigenden Patentgebühren nach ein paar Jahren nicht mehr leisten. Auf diesen Moment warten die großen Unternehmen und schicken dann die Aufkäufer vorbei oder warten, ob das Patent aus Geldmangel ganz freigegeben wird.