Der lange Marsch in den Weltraum

Noch in diesem Jahr will China die ersten Taikonauten in den Weltraum bringen und beginnt damit, ein ernsthafter Konkurrent in der Weltraumtechnologie für Russland und die USA zu werden

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Das All erwartet die dritte Spezies menschlicher Raumfahrer: nach den russischen Kosmonauten und den US-amerikanischen Astronauten werden vermutlich noch in diesem Jahr chinesische Taikonauten folgen. Die Nachrichtenagentur Xinhua meldete am 30.12, das vierte unbemannte Raumschiff des Typs Shenzhou sei erfolgreich gestartet worden. In der zweiten Hälfte des Jahres soll schließlich der erste bemannte Flug starten.

Shenzhou IV in Startposition

Noch vor einem Jahr hielten die meisten Experten Chinas Pläne, das All zu erobern, für Zukunftsmusik (Reich der Mitte will Taikonauten zum Mond schicken). Die Nationale Weltraumbehörde - das chinesische Gegenstück zur NASA - erfüllte jedoch den Plansoll. Das Reich der Mitte hat alles, was ein Land für die Raumfahrt braucht: Wissenschaftler mit dem nötigen technisches Knowhow, Trägeraketen vom Typ Langer Marsch II F, die, was Kosten und Nutzen angeht, amerikanischen und russischen Vorbildern Konkurrenz macht, zahlreiche Unternehmen, die in Raumfahrttechnologie involviert sind und den politischen Willen der Staatsführung und daher auch unbegrenzte finanzielle Ressourcen, das teure, aber prestigeträchtige Projekt umzusetzen.

Jahrzehntelang dümpelte das chinesische Raumfahrtprogramm vor sich hin

Der Start der Trägerrakete "Langer Marsch II F" um 00:40 Uhr Pekinger Ortszeit vom Jiuquan Satellite Launch Center in der Provinz Gansu im Nordwesten des Landes ist ein weiterer Meilenstein in der fast 50jährigen Geschichte des chinesischen Raumfahrtprogramms. Der erste Spatenstich auf dem Gelände in Jiuquan erfolgte schon 1956. Vier Jahre später schossen die Chinesen die erste Rakete ab, die der russischen R 2 nachgebaut worden war. 1970 legte die chinesische Regierung ein Satelliten-Programm auf.

Start der Shenzhou IV am 30.Dezember 2001

Am 2. April des Jahres ließ sich der damalige Premierminister Zhou Enlai auf einem der ersten dem Thema Raumfahrt gewidmeten Kongresse in der "Großen Halle des Volkes" in Peking die Details erläutern. Damals waren die Namen der Gerätschaften, die man ins All schoss, noch den politischen Zeitläuften angepasst - einer der ersten Satelliten hieß Mao 1. Heute besitzt China drei Abschusszentren - neben dem in der Nähe der Hauptstadt eines in Xichang und in Taiyuan in der zentralchinesischen Provinz Shanxi.

Jahrelang dümpelte das Raumfahrtprogramm vor sich hin. Die Chinesen beschränkten sich darauf, von der damals befreundeten Sowjetunion zu "lernen". Das hieß, man kaufte den Russen ein Original ab und baute es dann nach, meistens genau so gut, aber immer billiger und immer öfter besser. 1978 startete ein konkretes Unternehmen unter dem geheimnisvollen Titel Projekt 921. In einem ersten Schritt - so der Plan - sollte eine Kapsel entwickelt werden, die der erfolgreichen russischen "Sojus" glich und auf deren Technik basierte (China kurz vor Sprung in bemannte Raumfahrt). Der zweite Teil des Projekts sah vor, eine Raumstation zu errichten, und zuletzt sollte auch ein eigenes Shuttle gebaut werden. Nach 12jähriger Zwangspause wurde "Projekt 921" 1992 neu aufgelegt. Vier Jahre später erhielten die ersten Taikonauten in Russland ihre Ausbildung.

1999 startete China erfolgreich die erste unbemannte Raumsonde, im Januar 2001 die zweite, allerdings ohne den üblichen Presserummel. Böse Zungen vermuteten, irgendetwas sei mit der Landung schief gegangen. Aber dafür sprach eigentlich nichts, und die Konstrukteure legten, wenn sie denn mit knappen Statements in chinesischen Zeitungen zitiert wurden, großen Wert auf die Sicherheit.

Shengzou 3, im März 2002 ins All katapultiert, hatte mehrere Dummies an Bord. Bei dieser Mission, so der Chefdesigner Wang Zhuang, hätten zum ersten Mal menschliche Funktionen simuliert und überwacht werden können, vom Verbrauch des Sauerstoffs, Blutdruck, Herzfrequenzen bis zur Körpertemperatur. Die Raumstation änderte seitdem mehrere Male ihre Bahn im Orbit, was darauf schließen lässt, dass schon Rendezvous-Manöver vorbereitet werden.

Wang Yongzhi, der Chefingenieur der chinesischen Raumfahrt, räumte im Mai 2002 ein, dass vierzehn Taikonauten unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgebildet würden. Zwei trainierten in Russland, im Juri-Gagarin-Kosmonauten-Trainingscenter. Der britische Raumfahrtexperte Phillip Clark verriet sogar ihre Namen: Li Qinlong und Wu Zi. Zwölf Chinesen würden in Peking von Liu Zongying geschult, einem Wissenschaftler der Shanghai Academy of Space Flight Technology (SAST).

Die kommenden Raumfahrer seien im Durchschnitt 30 Jahre alt, 1,70 Meter groß und 50 Kilogramm schwer. Zongying glaubt, dass es ein Vorurteil sei, Astronauten müssten wie Modellathleten aussehen. Kleinere und leichtere Menschen könnten sich in den engen Raumfahrzeugen viel besser bewegen. Das seit einem Jahr weltraumtaugliche Raumschiff Shenzou bietet bis zu vier Raumfahrern Platz, obwohl ursprünglich vorgesehen war, eine Kapsel für nur zwei Personen zu bauen.

Aufholjagd

Die US-amerikanischen Beobachter sehen die chinesische Erfolgsgeschichte mit Stirnrunzeln. J. B. Patterson von der US Air Force behauptete in einer detaillierten Analyse, China sei schon seit 1985 ernst zu nehmendes Mitglied in der "spacefaring community" und habe Raketen und Satelliten an den Iran, den Irak, Pakistan und Indien verkauft. Je intensiver die Handelsbeziehungen zwischen den USA und China würden, um so mehr verlange die Politik nach klaren Zielen und Regeln, die die nationalen Sicherheitsinteressen mit der ökonomischen Realität in Einklang brächten. Larry M. Wortzel, Direktor des Instituts für Strategische Studien, warnte 1999, die Chinesen dürfen nicht unterschätzt werden. Sie seien zu einem "revolutionären Durchbruch" in den Schlüsseltechnologien in der Lage. Und das beeinträchtige die nationalen Sicherheitsinteressen der USA. Aber die Volksrepublik ist wohl einfach zu mächtig, um zu einem Schurkenstaat erklärt zu werden.

Es dürfte keine falsche Vorhersage sein, wenn man behauptet, dass China in wenigen Jahren die Raumfahrernation Russland überholt haben wird. Und auch die USA werden Probleme haben, im Prestigeduell, wer wo im Kosmos territoriale Duftmarken setzt, immer die Nase vorn zu haben. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Chinesen äußerst ehrgeizig sind und ihren langen Marsch in den Weltraum verwirklichen wollen. Schon 1960, noch unter der Herrschaft Mao Tsetungs, wurde auf einer Wanderausstellung durch China das Modell einer chinesischen Station auf dem Mars gezeigt. Damals hatte China gerade die ersten Atombomben gezündet.

Die Begeisterung für die Raumfahrt ist in China seitdem ungebrochen, vielleicht auch deshalb, weil Nachrichten über Rückschlage oder gar Katastrophen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Sicher ist, dass China vor dem Ende des Jahrzehnts auf dem Mond gelandet sein und dort eine Station errichten will. Die Washington Times zitiert einen Veteranen der Kommunistischen Partei, Wu Xunjia: "I think the idea that Chinese could put humans into space within one or two years gives us all great hope."

Die Chinesen haben viele, auch zweifelhafte Errungenschaften der Menschheit zuerst erfunden oder entdeckt - wie das Schießpulver. Leider werden sie das einprägsamste Symbol ihrer Jahrtausende alten Hochkultur nicht mit in den Kosmos nehmen können: Im Weltraum wird es zwar zwanzig chinesisches Menüs geben, aber keine Essstäbchen. Die Taikonauten werden Peking-Ente und Chop Suey aus der Tube essen müssen.