Bereit für den Wüstensturm?

Der französische Widerstand gegen einen drohenden Irakkrieg scheint zunehmend zu schwinden. In seinen Neujahrwünschen an die Armee bereitet Chirac seine Mannen auf alle "Eventualitäten" vor

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Staatspräsident und Armeechef Jacques Chirac ist gerade dabei, die nationale Öffentlichkeit auf eine Beteiligung an einem möglichen Irakkrieg vorzubereiten: So jedenfalls lautete am Mittwoch die Analyse der meisten französischen Medien seiner mit Spannung erwarteten Neujahrswünsche an die Armee und das diplomatische Korps. Auch wenn dies schleunigst als mediale "Überinterpretation" von der Hand gewiesen wurde, dürfte dieser "Meinungsumschwung" gerade jetzt nicht ganz unwesentlich sein, hat doch die Grande Nation bis Ende Januar den Vorsitz des UNO-Sicherheitsrates inne, um dann im Februar von Deutschland abgelöst zu werden.

Während Chirac vor den Diplomaten nochmals die UNO als einzig möglichen "legitimen Rahmen" für die Entwaffnung des Iraks und einen "Krieg als allerletzten möglichen Ausweg" für die internationale Gemeinschaft bezeichnete, so sorgte sein Hinweis vor den Militärs, dass "leider" neue Einsatzgebiete auf die französischen Soldaten zukommen könnten, für gewaltiges Rauschen im heimischen Blätterwald. Wie auch eine gleich mitgelieferte Definition des Soldatenberufes: "Sich bereitzuhalten für jede Eventualität steht im Zentrum (...) des von Ihnen gewählten Berufes. Insbesondere müssen wir aufmerksam verfolgen, inwieweit sich der Irak an die Resolution 1441 des UNO-Sicherheitsrates hält."

Am Tag danach titelte der bürgerliche "Figaro" auch prompt mit der Schlagzeile: "Chirac bereitet die öffentliche Meinung auf einen möglichen Krieg vor", um dann am Donnerstag eine Meinungsumfrage zu veröffentlichen, wonach 3 von 4 Franzosen gegen eine Neuauflage des Wüstensturms wären.

Auch die linksausgerichtete Tageszeitung "Libération" wittert wittert beim Staatsoberhaupt einen sich anbahnenden "Meinungsumschwung": "Falls die UNO es will, wird der Krieg statt finden, und er wird mit französischer Beteiligung statt finden." In der selben Zeitung macht sich der ehemalige sozialistische Kultur- und Erziehungsminister Jack Lang für den Einsatz des Vetorechts im Sicherheitsrat stark. Ein Recht, mit dem Frankreich als eines der fünf permanenten Mitglieder ausgestattet ist: "Es ist undenkbar, unser Land in ein illegales und mörderisches militärisches Abenteuer miteinbeziehen zu lassen. Frankreich wird sein Vetorecht einsetzen müssen, um sich den Manövern der Bush-Regierung zu widersetzen." Ein Wunsch, den die meisten seiner Oppositionskollegen teilen.

Den Vergleich mit dem doch recht massiven militärischen Engagement Frankreichs beim ersten Golfkrieg, das vom damaligen Staatspräsidenten Mitterrand abgesegnet und zum Protestrücktritt des Verteidigungsministers Chevènement geführt hatte, will Lang, selbst Minister dieser Regierung, nicht zulassen. Damals hätte die Invasion Kuwaits durch den Irak eindeutig als Aggression gewertet werden können. Eine solche läge heute nicht vor. Übrigens war das französische Volk auch 1991 knapp vor dem Ausbruch mehrheitlich gegen einen Krieg eingestellt, um während der offensichtlich erfolgreich verlaufenden Operation "Desert Storm" auf ein Ja umzuschwingen.

Wohl um die öffentliche Meinung diesmal noch vor einem wahrscheinlichen neuen Golfkrieg zu beruhigen, formulierte Chirac am Dienstag noch einen weiteren Neujahrswunsch: Die Regierung Raffarin möge doch noch eine Irak-Debatte im Parlament veranstalten. Bei einer Debatte wird es wohl auch im Ernstfall bleiben, denn die französische Exekutive kann auch ohne parlamentarische Abstimmung zum Marsch in den Golf blasen. Eine solche wäre laut der Verfassung möglich, aber nicht zwingend erforderlich.

"No smoking gun"

Während die USA und ihre britischen Verbündeten bereits ihre Streitkräfte mobilisieren, sei in Frankreich noch nicht viel von militärischen Vorbereitungen zu bemerken, wie die Zeitung "Le Monde" Ende Dezember berichtete. Lediglich die Aufschiebung einer eigentlich geplanten Revision des nuklear betriebenen Flugzeugträgers "Charles-de-Gaulle" und eine Stationierungsanfrage an Katar und die Vereinigten arabischen Emirate durch die Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie seien zu vermerken. Letztere ließ denn auch am Dienstag verlauten, dass die französische Armee bereit sei, sich im Bedarfsfall ihren Verpflichtungen zu stellen, aber es sei "übertrieben zu behaupten, dass wir uns darauf vorbereiten". Offenbar will man der Bilanz der UNO-Waffeninspektoren, die dem Sicherheitsrat am 27. Januar präsentiert werden soll, keinesfalls zuvorkommen.

Der Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Mohamed al-Baradei, erklärte allerdings in einem CNN-Interview, dass man noch immer keine Beweise für eine eventuelle Wiederbelebung des irakischen Atomwaffenprogramms gefunden habe: "I'am saying that so far, we haven't seen a smoking gun, but we still have a lot of work to do, before we can come to the conclusion, that Iraq is clean. We would still require at least a few months from now. By the 27th of January, we will have a status report (...), but not a final report."

Bei einem Zwischenbriefing vor dem Sicherheitsrat am Donnerstag erklärten denn auch die UN-Chefinspektoren, dass nach wie vor keine "rauchenden Pistolen" vorgefunden wurden, der irakische Waffenbericht vom Dezember jedoch noch eine Menge Fragen unbeantwortet ließe.

Derweilen versucht Jacques Chirac die Wogen unter seinen Landsleuten wieder zu glätten und versicherte gestern in seinen Neujahrwünschen an die Presse, dass er das Opfer einer "Überinterpretation" geworden sei, Frankreich nach wie vor auf eine "friedliche Lösung der Irakkrise" hinarbeite, und ein Krieg erst dann in Frage komme, wenn alles andere schon versucht worden wäre. Ob man sich auch am Einsatz des Vetorechts versuchen wird, dürfte sich wohl problemlos in die lange Liste der frommen Neujahrswünsche einreihen lassen.