Spuren im Sand, von magischer Hand?

Simulationsmodelle für selbst-organisiserte Formationen und Netzwerke

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Etwas abseits vom Alaska Highway: fein säuberlich aufgeschichtet kreisförmige Miniwälle, die ausreichend Raum lassen für das Beet dazwischen. Was mag da wohl gezüchtet werden? Jetzt zumindest fühlt die Hand frostigen Boden. Nirgendwo eine Behausung und auch kein Bauer, um die Neugier zu befriedigen. Abends, in der verräucherten Bar, dann die simple Antwort: "Das da draußen wächst alles von selbst."

Selbst-organisierte Formationen in Spitzbergen/Norwegen (Bild: Science, M.A.Kessler)

M.A.Kessler und B.T.Werner vom Complex Systems Laboratory an der Universität von Kalifornien in San Diego haben nun in Science die Erklärung für diese und ähnliche Formationen nachgereicht. Mutter Natur braucht Wind, kleine Steine sowie zeitweise Frost. Am liebsten arbeitet sie auf der schiefen Ebene, weil dann die momentan geschaffene Struktur neu ausgerichtet werden kann.

Die Arbeit beginnt, sobald der Untergrund aus Erde und beweglichen Steinen besteht. Was liegt näher als die Steine zu sortieren? Nicht mühevolle Handarbeit, sondern der Wind sorgt dafür, dass die größeren Steine unten und die kleineren obenauf zu liegen kommen. Wer keinen festen Platz erreicht, wird in Nischen zurückgetrieben oder verdichtet sich zu einem neuen Stützpunkt. Warum braucht es Väterchen Frost? Weil er durch den Wechsel vom Frieren zum Tauen und wieder zurück den Untergrund strukturiert, indem er phantasievolle Kanten und Täler erzeugt. Das sind die Formen, in dem sich die kleinen Kiesel einnisten, oder die Widerlager, gegen die der Steinwall seinen Halt findet.

Spontan entstandenes polygones Netzwerk in Alaska (Bild: Science, M.A.Kessler)

Die Forscher haben Simulationsmodelle entwickelt, um diese Vorgänge nachzustellen. Danach sind 3-Weg-Gabelungen mit identischen Winkeln relativ stabile Elemente, sobald sie mit den benachbarten Gabelungen gleichweite Polygone bilden. Im Modellversuch, bei dem die Steine anfänglich gleichmäßig verteilt sind, reicht die Turbulenz an einer Stelle aus, um den Sortiervorgang in Gang zu setzen und die zunehmende Ausprägung gleichmäßiger Strukturen voranzutreiben. Die Schiefe der Ebene entscheidet über Größe und Symmetrie der Formationen.

Man mag es beklagen: die Welt ist um ein Wunder ärmer geworden. Keine Geisterhand, keine magischen Kräfte, sondern zwei schnöde Zustände, andere sagen "hinreichend bekannte Gesetze" erzeugen Strukturen, die unser Auge und unseren Verstand stets neu faszinieren: Es braucht einmal das Sortieren zur Seite hin, und zum anderen das Zusammendrücken der Steine, erklären die Physiker. "Die Wirklichkeit ist schon ein bisschen komplizierter," gibt M.A.Kessler zu.

Im Steady State werden die Oberflächengradienten durch das Abtreiben der Steine ausbalanciert, und der Verlust an Erde wird durch Erdanreicherungen ausgeglichen, die durch die schützenden Steinformationen möglich werden.

Zwei Kräfte und so viele unterschiedliche Formen? Mutter Natur hält wohl nichts vom Mittelmaß, sprich Steady State, sondern bevorzugt die freie Entfaltung der Kräfte, so wie ein Kind die phantasievoll aufgetürmten Bauklötzchen mit einer Handbewegung zur Seite fegt und wieder neu beginnt.