Die dunkle Welt der vergifteten Regenschirme

Eine Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zeigt Fiktion und Wirklichkeit der Spionage

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Agenten kämpfen im Verborgenen. Sie handeln lautlos. Sie hinterlassen keine Spuren. Sie trinken ihren Martini geschüttelt, nicht gerührt und sterben nicht am heutigen Tag. - In unseren Köpfen wirken vielfältige Vorstellungen von der Arbeit der Geheimdienste. In Leipzig sind derzeit die Geodäten der Zeithistorie am Werk. Sie vermessen das Vineta der Verschwörungstheoretiker, der Agenten, Doppelagenten, Spione und Überläufer, der Abhörspezialisten, Waffenschmuggler und selbst ernannten "Kundschafter des Friedens".

"In der Welt der Spionage und Gegenspionage überholt die Wirklichkeit oft die Phantasie", meinte William S. Cohen, der dem zweiten Kabinett Bill Clintons als Verteidigungsminister angehörte. Über weite Strecken führt diese Ausstellung über das Wirken in- und ausländischer Geheimdienste nach 1945 in Deutschland vor, dass der Alltag der Spione bei weitem nicht so aufregend ist, wie es die Filmindustrie so gerne vorführt und die Phantasie so gerne hätte. Vielmehr ist es wohl meist eine mühselige, oft von Fehlschlägen begleitete bürokratisch-administrative Tätigkeit.

Mythen des Kalten Krieges

Der Spion, der aus der Kälte kam, wird schon seit längerem nach BAT bezahlt. Pittoresk-Anekdotisches ist im labyrinthisch anmutenden Zickzack-Parcours in großer Zahl ausgebreitet: von der Kleinbildkamera Minox, in den 30er Jahren gebaut, damals der kleinste Fotoapparat der Welt und daher sogleich von zahlreichen Geheimdiensten eingesetzt, über Schmuggelbehälter in diversen Variationen und toten Briefkästen bis zu Resten der Armierungseisen des Abhörtunnels, den der amerikanische und englische Geheimdienst in Berlin-Rudow Mitte der 50er Jahre, in Ostberliner Gebiet vorstoßend, grub und Hunderttausende von Telefonaten abhörte - allerdings unter heimlicher Aufsicht des sowjetischen Geheimdienstes. Denn im Planungsstab der Engländer saß der Doppelagent George Blake, der schon die erste, ziemlich präzise Entwurfsskizze an den KGB weitergereicht hatte. Man sieht Originalteile des U2-Flugzeuges, in dem der US-Pilot Francis G. Powers 1960 über Sibirien während eines Spionagefluges abgeschossen wurde.

Wohl tuend wirkt in diesem Fall die Kommentierung der Ausstellungsmacher. Die wutentbrannte Präsentation dieses Vorfalls durch Nikita Chruschtschow vor der Weltpresse - er führte zu einer kurzen Eiszeit in den diplomatischen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den USA - kommentiert der Objekttext lakonisch und verweist auf die jahrelangen vergeblichen Bemühungen der Russen, Flüge dieser Art zu verhindern.

Geschickt gelingt es, auch einige Mythen des Kalten Krieges zu entdämonisieren. So war die Glienicker Brücke bei weitem nicht die nebelschwadenverhangene Lokalität für den permanenten Austausch von Agenten. Die Sequenz aus dem Film "Die Schlange" mit den grimmig dreinblickenden Yul Brynner, Henry Fonda und Philippe Noiret wird konterkariert mit Ausschnitten aus Fernsehsendungen, in denen die beteiligten Akteure entspannt, ja fast lässig erscheinen. Selbst der russische Menschenrechtler Anatoli Schtscharanski, der 1986 nach acht Jahren Haft an der innerdeutschen Grenze vom späteren US-Botschafter Richard Burt in Empfang genommen wurde, zeigte keine überschäumenden Emotionen.

91.000 hauptberufliche Stasi-Mitarbeiter waren "Kundschafter des Friedens"

An Stellen wie diesen wirkt die Ausstellung allerdings durch ausgebreitete Schriftstücke und recht banale Objekte wie die Aktentasche des DDR-Anwalts, Unterhändlers und Honecker-Intimus Wolfgang Vogel überfrachtet. Die mediale Einbindung von Zeitzeugen und Gesprächsauszügen, wie dies beispielsweise beim Fall Guillaume, dem 1974 als Spion entlarvten Referenten Willy Brandts, der daraufhin vom Amt des Deutschen Bundeskanzlers zurücktrat, gut gelungen ist, wäre hie und da - vor allem in den Kabinetten über die Tätigkeit der Staatssicherheit der DDR - erhellender gewesen als die reine Präsentation nüchterner und ernüchternder Schriftstücke, Anweisungen, Objekte und Plakate. Denn in den Worten Guillaumes, Willy Brandts, Markus Wolfs und Horst Ehmckes kristallisiert sich eine Pathologie des Spions heraus.

Als Einziger vermag Ehmcke den fundamentalen Widerspruch zwischen Guillaumes Brandt-Verehrung und "Arbeit für den Frieden", die dieser für sich noch 20 Jahre später reklamierte, und dem Sturz des von ihm bewunderten Politikers Brandt zu erkennen und als schizophren zu benennen. Vielleicht half ihm dabei sein geschärfter Durchblick, den er in seiner zweiten Karriere gewann - als Autor von viel gelesenen, erfolgreichen Polit-Thrillern.

"Every spy a prince", jeder Spion ein Fürst - so überschrieben 1990 Dan Raviv und Yossi Melman ihre Darstellung der Geschichte des Mossad, des israelischen Geheimdienstes. Im Ministerium der Staatssicherheit, der Spionageelite der DDR, fühlten sich die Ende der 80er Jahre dort beschäftigten, 91.000 hauptberuflichen Mitarbeiter als kämpferische "Kundschafter des Friedens". Sie sahen sich in der Tradition eines Felix Dserschinski, des Gründers des GRU, Vorläufer des KGB, und des Weltkriegsspions Richard Sorge. Propagandistisch unterfüttert wurde ihre Tätigkeit in den 70er Jahren durch die Unterhaltungsserie "Das unsichtbare Visier" mit Armin Müller-Stahl in der Hauptrolle, die einen ostdeutschen James Bond zeigen sollte - allerdings einen ohne Unterleib. Die realen Aktivitäten der Hauptverwaltung Aufklärung, des Überwachungsmolochs des Erich Mielke, umfassten hingegen auch Operationen wie "Unternehmen Romeo" und "VEB Bordell", skrupellos geplante und zynisch durchgeführte Maßnahmen zur Agentenrekrutierung durch Erpressung und erotische Umgarnung.

"Das Unvermögen, zwischen Fiktion und Wirklichkeit in der Spionagewelt zu unterscheiden, ist eine bezeichnende Ironie", schrieb der Geheimdiensthistoriker Philip Knightley. Wie mörderisch solche Fiktionen sein können und wie erschreckend spießig der Alltag, zeigt die Abteilung über Alltag und Endphase der Stasi.

Als Appendix wird kurz noch der 11. September 2001 gestreift. Der Nachklapp mit Filmplakaten von Spionagefilmen aus den letzten 40 Jahren erscheint hingegen mehr als überflüssig. Die eigentliche Leerstelle der Schau sind die westlichen Geheimdienste. Geschichte und Tätigkeit beispielsweise des BND und seine Wurzeln im so genannten Dritten Reich und der Organisation Gehlen werden nur im Begleitbuch ausgebreitet. Die Ausstellungsmacher hielten sich hier leider etwas zu eng an den Satz des früheren KGB-Generals Oleg Kalugin, mit dem man aus der Schau entlassen wird: "Der beste Spion ist der unbekannte Spion. Und den kann man nicht zeigen."

"Duell im Dunkel. Spionage im geteilten Deutschland", Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, bis 21. April, Dienstag bis Freitag 9-18 Uhr, Samstag und Sonntag 10-18 Uhr. Das Begleitbuch (Böhlau Verlag) kostet im Museum € 19,90. Weitere Station: Bonn, Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 23. Mai bis 3. August