Die Einigkeit Europas

Trotz der Berichte der UN-Waffeninspektoren, die mehr Zeit fordern, haben sich das "alte" und das "neue" Europa nur auf eine belanglose Erklärung zum Irak-Konflikt einigen können - das aber einstimmig

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wie schon erwartet werden konnte, haben die Zwischenberichte der Leiter der UN-Waffeninspektionen keine neuen Beweise für den Besitz von Massenvernichtungswaffen vorgelegt, aber scharf die mangelnde Kooperation des irakischen Regimes kritisiert und - vermutlich sehr zum Ärger der USA - einige Monate mehr Zeit für weitere Inspektionen gefordert. Derweilen haben die EU-Staaten heute zu einer gemeinsamen Position gefunden, die allerdings nur darin besteht, dass erst einmal die Waffeninspekteure weiter arbeiten können sollen, während die US-Regierung den Bericht recht freizügig als Beleg für den Bruch der Resolution durch den Irak bewertet.

Hans Blix, Vorsitzender der UNMOVIC-Inspektoren, versicherte in seinem - ausdrücklich mehrmals so benannten - Update, der Irak habe bis auf einige Fälle zufriedenstellend kooperiert. Kritisiert wird allerdings die Ablehnung von Drohnen durch den Irak, vor allem aber werden Mängel im vorgelegten Waffen-Dossier moniert, das nichts über den Verbleib oder die Vernichtung von chemischen und biologischen Waffen angibt. So sei es durchaus wahrscheinlich, dass der Irak mehr waffenfähiges Anthrax produziert habe, als seiner Zeit angegeben wurde. Ohne aktive Mitarbeit der irakischen Regierung werde man nicht endgültig sagen können, ob der Irak tatsächlich keine Massenvernichtungswaffen mehr besitzt. Dazu würden auch Gespräche mit Wissenschaftlern ohne Beisein von Regierungsmitgliedern gehören. Gerügt wird von Blix auch die fehlende Bereitschaft, weitere Dokumente zur Einsicht vorzulegen. Jeder weitere Fund solcher relevanten Dokumente wie diejenigen, die im Haus eines irakischen Wissenschaftlers kürzlich entdeckt wurden, sei als sehr ernst zu bewerten. Blix betonte allerdings in seinem Zwischenbericht, dass nun erst die Waffeninspektionen in vollem Umfang durchgeführt werden könnten, was als Forderung zu sehen ist, dass die Inspektionen fortgesetzt werden sollten, da weder ein schwerwiegender Bruch der Resolution vorliegt, noch die Vernichtung aller Massenvernichtungswaffen und der Stopp aller entsprechenden Rüstungsprogramme nachgewiesen werden konnte.

" UN-Bericht
Saddam hat Milzbrand-Erreger!" - Die Wahrheit der Bild-Zeitung, die eine Vermutung zur Tatsache macht - und vergisst, dass der Irak auch Milzbrand-Kulturen aus den USA erhalten hat.

Ganz ähnlich argumentierte auch Mohammed el Baradei, Chef der Internationalen Atomenergie-Behörde IAEA. Bislang habe man keine Hinweise auf ein irakisches Atomwaffenprogramm finden können. Mit den jetzt zur Verfügung stehenden Verifikationsmitteln und mit einer aktiven Kooperation des Irak werden man innerhalb einiger Monate feststellen können, ob dies auch wirklich zutrifft. Die paar Monate, die noch erforderlichen seien, wären sehr wichtig, um möglicherweise einen Krieg vermeiden zu können.

"Well, I think there's no telling how long it will take because nobody knows whether Saddam Hussein will ever cooperate or not. By all experience, he has not cooperated. I remind you our concern all along has been, as we've said it unequivocally, Saddam Hussein has chemical weapons. Saddam Hussein has biological weapons. We have not made such a flat statement about nuclear weapons. We have been concerned about his pursuit to try to develop nuclear weapons. But we have never said that he has them. The biological and chemical can kill millions enough on their own." - Ari Fleischer am 27.1.2003

Die US-Regierung sah sich allerdings dennoch in ihrer Haltung bestätigt, dass der Irak noch über Massenvernichtungswaffen verfügt. Ari Fleischer, der Sprecher des Weißen Hauses, machte deutlich, dass man den Bericht so verstehe, dass der Irak die Resolution nicht erfüllt habe. Überdies hätten Verhöre mit Gefangenen in Guatanamo ergeben, dass der Irak in Verbindung mit al-Qaida stünde und der Gruppe vermutlich auch chemische Waffen gegeben habe. Nebenbei schloss Fleischer auch nicht aus, dass die USA Atomwaffen im Irak einsetzen könnten. Auf den Vorwurf von Journalisten, dass die USA selbst Hussein geholfen hätten, sich mit Massenvernichtungswaffen aufzurüsten, wollte Fleischer nicht direkt antworten, weil dies zu allgemein sei und er nur auf konkrete Beschuldigungen Bezug nehmen könne. Bekanntlich wurden auch chemische und biologische Substanzen Ende der 80er Jahre, als Hussein Verbündeter der USA war, in den Irak geliefert, obgleich bekannt war, dass der Irak chemische Waffen gegen den Iran und gegen Kurden eingesetzt hatte. Unterhändler der USA war damals Donald Rumsfeld (Der Irak, die USA und die Massenvernichtungswaffen).

Von einer gestärkten und unabhängigen europäischen Politik ist wenig zu merken

Angeblich hat, wie die Financial Times berichtete, die US-Regierung in Gesprächen mit EU-Politikern versucht, Einfluss auf die gemeinsame Haltung zum Irak-Konflikt zu nehmen. Es bestehe auf Seiten der Amerikaner die Angst, dass die von Deutschland und Frankreich vertretene Position zu einer stärkeren und unabhängigeren EU-Politik führen könne. Washington scheint auch Bedenken zu haben, dass die EU stärker eine gemeinsame Verteidigungs- und Rüstungspolitik betreiben will, was dazu führen könnte, dass weniger Waffen in den USA gekauft werden. Zudem würde man es nicht gerne sehen, wenn die EU-Außenpolitik mit einer qualifizierten Mehrheit entschieden werden könne, wodurch das Veto-Recht einzelner Länder wegfiele und so die Einflussmöglichkeiten der USA auf die EU sinken würden.

Immerhin ist erstaunlich, dass die 15 Außenminister der EU, die sich am Montag in Brüssel getroffen haben, überhaupt zu einer Einigung gefunden haben, auch wenn diese trotz aller Einstimmigkeit nicht viel zu sagen hat und sowieso konform mit den Plänen der Briten und Amerikaner geht, die militärisch jetzt noch gar nicht losschlagen wollen. Die vom über Deutschland und Frankreich verärgerten Verteidigungsminister Rumsfeld geschickt lancierte Spitze, die EU in ein altes und ein neues Europa zu spalten, könnte durchaus Früchte tragen. Zumindest ist von einer Stärkung einer gemeinsamen und unabhängigen Politik Europas wenig zu bemerken (Donald Rumsfeld als Geburtshelfer der europäischen Identität).

Die dürftige Erklärung der Außenminister verlangt vom Irak die volle und sofortige Umsetzung der Resolution, die vollständige Entwaffnung und eine bedingungslose Kooperation mit den Waffeninspektoren. Insbesondere wird verlangt, dass den Inspektoren ohne weitere Verzögerung alle offenen Fragen beantwortet und ihnen die erforderlichen Informationen gegeben werden müssen. Den UN-Inspektoren wird ausdrücklich das Vertrauen für ihre geleistete Arbeit ausgesprochen, und es wird gesagt, dass sie weiterhin ihrer Aufgabe nach der Resolution 1441 nachgehen sollen. Betont wird allerdings auch, dass die Verantwortlichkeit des UN-Sicherheitsrats für die Bewahrung des internationalen Friedens anerkannt werden müsse. Das aber ist eher ein Appell an die US-Regierung, denn eine wirkliche Forderung, die dadurch hätte unterstrichen werden können, dass eine zweite Resolution für ein etwaiges militärisches Vorgehen verlangt würde.

"Not much more time" (Colin Powell)

Fest hinter der amerikanischen Position stehen Spanien, Italien und natürlich Großbritannien. Selbst wenn nun sogar Großbritannien wohl auch aus innenpolitischem Druck heraus für eine Verlängerung der Inspektionen plädiert hat, so ist doch gleich das Schlupfloch in der einstimmig angenommenen gemeinsamen Erklärung zu sehen. Es wird weder ein Termin etwa für einen erneuten Bericht noch eine sonstige konkrete Regelung genannt, was eben der Grund für die allseitige Einigung und die beliebige Interpretation gewesen sein mag. So kann man dann die Bereitschaft Großbritanniens, die der britische UN-Botschafter Jeremy Greenstock am Montag äußerte, dass am 14. Februar ein erneuter Bericht vorgelegt werden könnte, kaum als Konzession bewerten. Die deutsche Regierung, die den Vorsitz im Sicherheitsrat hat und diesen Vorshclag machte, kann dies wohl kaum als Erfolg ausgeben. Vorher dürften die USA wohl auch keinen Krieg beginnen, denn erst Ende Monats sind alle für einen Angriff erforderlichen Truppenverbände in der Golfregion eingetroffen und gefechtsbereit.

Eine zusätzliche Frist von zwei Wochen könnte daher auch ein Kompromiss sein, der für die US-Regierung tragbar wäre, zumal dies als weitere Verhandlungsbereitschaft ausgelegt werden kann. Dass eine kurze Verlängerung tatsächlich ein Schritt hin auf eine friedliche Lösung sein oder dass Hussein überhaupt noch die Resolution ohne "Regime-Wechsel" erfüllen könnte, bleibt bestenfalls ein Wunschtraum mancher - auch deutscher - Politiker, dient vermutlich aber vornehmlich als betäubendes Mantra, das bis zur endgültigen Entscheidung einschläfernd wiederholt wird. Einzig Waffeninspektionen, die sich noch Monate hinziehen würden, könnten die britische und amerikanische Position ins Wanken bringen, weswegen von der entschlossenen britischen und amerikanischen Seite entschiedener Widerstand im Sinne des von allen Seiten tönenden "Time is running out" zu hören sein wird.

Um sicher zu gehen, soll die US-Regierung bereits den Wortlaut einer zweiten Resolution ausarbeiten, mit der der Sicherheitsrat dann den Einsatz militärischer Gewalt billigen würde. Allerdings würde sie diese Resolution nur dann vorlegen, wenn neun der insgesamt 15 Mitglieder des Sicherheitsrates auf der Seite der USA stünden und kein Veto zu erwarten sei. Außenminister Powell will überdies "Beweise" für die Existenz von Massenvernichtungswaffen vorlegen.

Für Nichterfüllung der Aussicht auf eine friedliche Lösung sorgt freilich auch das Irak-Regime, das offenbar auf Sicherheit durch Verzögerung setzt und sich trotz der Kritik durch den Bericht der Waffeninspektoren gestärkt sehen dürfte. Man habe die Resolution erfüllt und den Inspektoren alle denkbare Hilfe gegeben.