Ein Sheriffstern mit sechs Zacken

Globalisierungskritik am Abgrund?

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Dass die globalisierungskritische Bewegung dem Antisemitismus gegenüber eine offene Flanke hat, ist nun wirklich kein neuer Vorwurf. Aber wie offen diese Flanke wirklich ist, konnte während des World Economic Forum (WEF) in Davos besichtigt werden.

Paradigmatisch dafür kann das obige Foto stehen, das während einer Demonstration am Samstag, den 25.1. in Davos geschossen wurde.

Es heißt oft, dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte, und das trifft ganz bestimmt für dieses Bild zu. Wollte man es in all seinen Tiefenschichten "lesen", auch mit seinen inneren Widersprüchen (so zum Beispiel jenem, dass der Tanz ums goldene Kalb dem Judentum das Musterbeispiel eines götzendienerischen Frevels ist) könnte man mit den Ergebnissen ganze Bände über die Bildersprache des Antisemitismus füllen, aber das ist gar nicht nötig.

Interessant ist, dass ein zusammengeklaubtes Ensemble aus Faschingskostümen (z. T. mit deutlichem Tierbezug), dem goldenen Kalb, einem Judenstern nach Nazi-Machart und einigen Politikermasken so dreist zur Markierung des Feindes benutzt wird, weil die Demonstranten davon ausgehen, dass die Botschaft schon verstanden wird: Jüdische Amerikaner, oder amerikanische Juden beten Geld und Gold an und schützen es mit (tendenziell animalischer) Gewalt, wie sie nur können. Wirr und klar zugleich, sowohl bodenlos tief als auch barbarisch einfach wie es nur die echten Zeugnisse antisemitischen Wahns sind, denunziert dieser Aufzug nicht nur die abgründige Dummheit der Demonstranten, sondern auch die selten deutlicher gewordenen Beziehungen zwischen Antisemitismus und Antiamerikanismus: Die Deppen von Davos, die sich wahrscheinlich auch noch als Linke sehen, pappen dem Rumsfeld-Darsteller in schöner Einigkeit mit irakischen Regierungsblättern den gelben Stern an und schreiben dem Stern das Wort "Sheriff" ein, um den letzten Zweifel an ihrer Idiotie zu zerstreuen: Für sie ist alles eins und wurscht, Amerikaner sind Juden, alle Juden sind wie Scharon, ein Judenstern ist dasselbe wie ein Davidstern, das goldene Kalb ist ein jüdisches goldenes Kalb, alles egal, die Zuschauer, so mutmaßen sie, werden schon verstehen, was und wer gemeint ist, Hauptsache, der götzenumtanzende Dämon hat ein Signet.

Nun muss man nicht so blöde sein und die grausame Krudität dieser Idiotenparade als Beweis für die Richtigkeit amerikanischer Politik im Nahen Osten missbrauchen, wie das so mancher US-Warblogger tut.

Auch als genehmer Beweis für die Behauptung, die globalisierungskritische Bewegung oder gar jede Form antikapitalistischer Kritik sei antisemitisch, taugt der Aufzug nicht. Klar wird nur wie selten sonst an der Davoser Peinlichkeit: Der Antisemitismus als "Sozialismus der dummen Kerls" (Bebel) marschiert auch in der globalisierungskritischen Bewegung, und das nicht zu knapp.

Man könnte ja versucht sein, diesen Vorfall als Ausrutscher, oder gar als von außen in die Demo hineingetragene Provokation zu begreifen. Nun, ein Ausrutscher ist er angesichts der vielen anderen Fälle, in denen Antisemitismus bei globalisierungskritischen Veranstaltungen "übersehen" wird, ganz bestimmt nicht. Wenn Referenten auf attac-Podien die Politik der Israelis mit der der Nazis im Warschauer Ghetto vergleichen, wenn indymedia.ch nicht in der Lage ist, auf ähnliche Provokationen eines brasilianischen Karikaturisten angemessen zu reagieren, wenn auf globalisierungskritischen Demonstrationen haufenweise dümmliche und ahistorische Vergleiche zwischen Bush, Blair, Scharon und Hitler auftauchen und gleichzeitig der "Nationale Widerstand" bei attac-Veranstaltungen geduldet wird, weist das darauf hin, dass dieses Gedankengut in der globalisierungskritischen Bewegung Tradition hat. Diesen Eindruck der Offenheit nach rechts zerstreuen dann auch nicht mehr die gutgemeinten Texte, die sie leugnen.

Wegen der all zu vielen "Ausrutscher" dieser Art ist es gleichfalls nicht wahrscheinlich, dass es sich bei den Karnevalisten von Davos um Provokateure handelt. Sie sind schon gleichzeitig echte Globalisierungskritiker und echte Schafsköpfe.

Ist es denn wenigstens ein Zufall, dass in ihrer Bewegung der Antisemitismus so aufschäumt, etwa weil er das überall in der Welt auch täte, und die Bewegung nur ein Spiegel der Gesamtgesellschaft wäre? Leider ist dem nicht so. Die verkürzte, hauptsächlich personalisierte Kapitalismuskritik, die in dieser Bewegung so populär ist, die symbolische Attacke gegen die Symbole des Weltübels, das sich an bestimmten Orten und in bestimmten Personen zu konzentrieren scheint die ideologische Beliebigkeit der Positionen, die nicht als Fehler, sondern als Mittel begriffen wird, um möglichst viele Menschen möglichst schnell und reibungsfrei in die Bewegung zu integrieren, lädt zu Rohrkrepierern wie dem Davoser Tanz um das goldene Kalb geradezu ein. Wenn man dazu noch die eklatante politische Naivität, die mangelnde Transparenz und die offensichtlichen Demokratiedefizite zum Beispiel bei attac hinzurechnet, kann einem angst und bange werden.

Und so legen Vorfälle wie der in Davos den Verdacht nahe, dass die globalisierungskritische Bewegung dabei ist, in sinnlosem Eventhopping die implosionsreife Gedankenleere ihrer Gegner zu reproduzieren und gleichzeitig zur Brutstätte eines modernisierten Antisemitismus zu degenerieren, der ein gutes Gewissen hat, weil er von links kommt.