Ein tragischer Tag für die NASA-Familie

Ursache für gestrige Explosion der NASA-Shuttle-Fähre Columbia, der sieben Astronauten zum Opfer fielen, ist weiterhin unklar

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In einem Artikel vom Juli letzten Jahres berichtete Telepolis über geringfügige "Anomalien" in Form von haarfeinen Rissen, die NASA-Ingenieure beim Überprüfen der Leitungen im Treibstoffversorgungssystem zweier Fähren entdeckten (vgl.SPACE SHUTTLE - Lernen vom Challenger-Unglück - oder: Die Angst fliegt immer noch mit). Obwohl jede einzelne Space-Shuttle eigentlich für hundert Flüge vorgesehen ist, schien ein zweites "Challenger-Unglück" - auch aus statistischen Gründen - nur noch eine Frage der Zeit. Gestern bestätigte sich diese Annahme leider auf fürchterlichste Weise.

Bilder:NASA

Beim Absturz der US-Raumfähre Columbia sind eine Viertelstunde vor der geplanten Landung im US-Bundesstaat Florida sechs US-Astronauten und mit dem Offizier Ilan Ramon auch der erste Israeli im All ums Leben gekommen. Noch ist es zu früh, sich auf eine Ursache definitiv festzulegen. Sicher ist nur, dass das Raumschiff nicht infolge eines terroristischen Anschlags, sondern aufgrund eines technischen Defekts in mehrere Teile zerbarst.

Irgendwann findet dieses berüchtigte, legendäre, von einigen verhasste, von anderen nur emotionslos zur Kenntnis genommene Schreiben wie von selbst den Weg in den Briefkasten. Äußerlich verrät das in einem unauffälligen NASA-Kuvert verschlossene 11-seitige Formular nichts von seiner inhaltlichen Brisanz. Aber beim Studieren des Dokuments, das grundsätzlich nur an jene in- und ausländischen Raumfahrer adressiert ist, die für einen Shuttle-Flug nominiert wurden, tritt der delikate Charakter des Schreibens Zeile für Zeile offen zutage.

Delikat ist das Papier deswegen, weil in und mit ihm alle wichtigen Informationen - ob dies nun die näheren Angehörigen, die zuständige kirchlichen Institution der die Vermögensverhältnisse betrifft - für den Fall des Todes eines NASA-Astronauten gesammelt werden. So muss das Shuttle-Besatzungsmitglied darin beispielsweise auch angeben, wo und wie die Beerdigung erfolgen soll.

In ihrer administrativen Perfektion hat die US-Raumfahrtbehörde für den Fall der Fälle aber noch weitere Vorkehrungen getroffen. Die wichtigste davon personifiziert der so genannte Casualty Assistance Control Officer (CACO), dessen Aufgabe darin besteht, für die Familie des Astronauten vor allem während der gefährlichen Start- und Landephase ständig erreichbar zu sein und - sollte es zu ernsthaften Schwierigkeiten etc. kommen - dieselbige in psychologischer oder rechtlicher Hinsicht zu betreuen.

Einige Tage zuvor hat man dazu noch einen erfahrenen Astronauten seines Vertrauens aus dem NASA-Astronautenteam angesprochen, der nicht auf der eigenen oder folgenden Mission fliegt, und ihn gebeten, persönlicher CACO zu sein

, so Dr. Ulrich Walter, der seinerzeit das Formular pflichtbewusst ausfüllte, bevor dann er im April 1993 im Rahmen der D2-Mission für zehn Tage als Nutzlastexperte mit der US-Raumfähre "Columbia" ins All startete. Walters Familie musste den damals in Vertrauen gezogenen CACO gottlob nicht in Anspruch nehmen. Die STS-87-Mission glückte - die Raumfähre Columbia landete sicher.

Schock und Trauma

Gut 10 Jahre nach der erfolgreichen Columbia-D2-Mission sieht dies jetzt aber gänzlich anders aus, müssen doch nun gleich sieben "Casualty Assistance Control Officers" ihres Amtes walten und die derzeit wohl schwerste Aufgabe aller NASA-Mitarbeiter bewältigen. Ihr Gang zu den Familien der gestern bei der Explosion der Shuttle-Fähre Columbia ums Leben gekommenen sieben Astronauten Kalpana C. Chawla, Laurel Blair Salton Clark, Rick Douglas Husband, Ilan Ramon, Michael P. Anderson, David M. Brown, William C. McCool dürfte ein besonders schwerer werden.

Auch wenn NASA-Chef Sean O'Keefe in der gestern kurzfristig anberaumten Pressekonferenz von einem "tragischen Tag für die NASA-Familie, für die Nation und die Familien der Astronauten" sprach und US-Präsident George W. Bush den Familien der Toten in einem Telefonat das tiefe Mitgefühl der ganzen Nation übermittelte, so sitzt doch der Schock bei den Angehörigen der Mannschaft der STS-107-Mission derzeit noch zu tief, um in diesen Worten Trost finden zu können, zumal sie sich gestern zum Unglückszeitpunkt auf dem Gelände des Kennedy-Space-Center aufhielten und das Geschehene live miterleben mussten. Sie wurden sofort in die Obhut medizinischer Betreuer übergeben.

Überhaupt scheint die in punkto bemannter Raumfahrt recht erfolgsverwöhnte amerikanische Bevölkerung mit einer Katastrophe dieses Ausmaßes ernsthaft nicht gerechnet zu haben. Seit dem längst überwunden geglaubten amerikanischen Trauma der Challenger-Katastrophe, bei der fast auf den Tag genau vor 17 Jahren am 28. Januar 1986 nur 73 Sekunden nach dem Start ebenfalls sieben Astronauten - darunter wie beim jetzigen Unglück ebenso zwei Frauen und fünf Männer - den Tod fanden, ist der weltweit bemannten Raumfahrtgemeinde bis auf den heutigen Tag ein ähnliches Unglück erspart geblieben.

Helle Lichtblitze und ohrenbetäubender Lärm

Das Unglück nahm seinen Lauf, als eine Viertelstunde vor der geplanten Landung im US-Bundesstaat Florida der Funkkontakt zu der Besatzung abbrach. Ursprünglich hätte das am 16. Januar gestartete Shuttle um 09.16 Uhr (15.16 Uhr MEZ) auf dem Weltraumbahnhof in Florida landen sollen. Kurz vor 09.00 Uhr Ortszeit aber endete laut NASA der Kontakt zur Columbia, als die Raumfähre sich über Texas befand. Die Raumfahrtbehörde setzte sofort den Notfallplan in Kraft, konnte aber nichts mehr machen.

Die Explosion der Raumfähre beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre wurde laut Augenzeugen von hellen Lichtblitzen und ohrenbetäubendem Lärm begleitet. Augenzeugen im Bundesstaat Texas berichteten dem US-Nachrichtensender CNN zudem von dichtem Rauch: "Wir wurden von einem Donnern geweckt", erzählte Lynn Hern in Huntington mehr als 200 Kilometer südöstlich von Dallas. "Es war, als würde ein Zug über unser Grundstück fahren, als wäre er direkt vor dem Haus." Die Trümmer der Raumfähre gingen in einem zweihundert Quadratkilometer großen Gebiet über Texas und Louisiana nieder.

Die NASA und andere Behörden warnten die Bevölkerung davor, die Teile zu berühren, da der Columbia-Treibstoff hochgiftig sei. Auch Chemikalien, mit denen die Raumfähren behandelt werden, seien extrem gesundheitsgefährdend. Da die Trümmerteile wichtige Hinweise auf die Unglücksursache geben können, rief die US-Raumfahrtbehörde dazu auf, Wrackteile zu fotografieren und zu filmen und das Material der Raumfahrtbehörde zur Verfügung zu stellen. Jeder Fund müsse umgehend den Behörden gemeldet werden. Wer sich Trümmerteile aneigne, werde "mit der ganzen Härte des Gesetzes" bestraft.

Die gleichen Regeln gelten im übrigen auch für das Auffinden von Leichenteilen der verunglückten Astronauten, von denen im Osten des US-Bundesstaates Texas bereits die ersten gefunden worden sind. Die menschlichen Überreste seien in der Nähe von Hemphill im Bezirk Sabine inmitten von Trümmerteilen geborgen worden, teilte eine örtliche Polizeisprecherin am Samstag (Ortszeit) mit, ohne dabei weitere Einzelheiten zu nennen.

Mehrere Teams sollen in den kommenden Tagen rund um die Uhr sämtliche Daten auswerten. Bis zur Klärung der Ursache seien die Planungen für weitere Shuttle-Flüge gestoppt.

Genaue Ursache unbekannt - Nur Anschlag scheidet höchstwahrscheinlich aus

Derweil wird über die Ursache fleißig diskutiert und spekuliert. Während nach Ansicht des deutschen Raumfahrtexperten Heinz-Hermann Koelle das Unglück auf ein Versagen des Hitzeschildes zurückzuführen sein könnte, vermutet der italienische ESA-Astronaut Umberto Guidoni, dass die Columbia möglicherweise im falschen Winkel in die Erdatmosphäre eingedrungen ist.

Nach Ansicht des deutschen Astronauten Ulrich Walter könnte ein Problem beim Start letztlich zum Absturz der US-Raumfähre Columbia geführt haben. Laut NASA war beim Start der Columbia 16 Tage zuvor ein Isolierteil des Außentanks in die linke Seite des Shuttles eingeschlagen. Am Freitag hatte die NASA aber noch erklärt, der Vorfall gebe absolut keinen Anlass zur Sorge. Die Isolation der Raumfähre sei höchstens minimal beschädigt worden. Auch NASA-Shuttle-Programm-Chef Ron Dittemore bestätigte, dass beim Start der Columbia am 16. Januar ein Stück der Hartschaum-Isolierung des Außentanks in den linken Flügel des Shuttles eingeschlagen sei und daher ein Zusammenhang mit dem Columbia-Absturz nicht ausgeschlossen werden könne, zumal die Bodenkontrolle in den Minuten vor dem Unglück den Ausfall von zwölf Temperatursonden sowie steigende Hitze in der linken Shuttle-Seite registrierte.

Einen Zusammenhang zwischen dem Zwischenfall und der Katastrophe hält Ulrich Walter für durchaus möglich. "Es könnte sein, dass dieses Teil ein paar Kacheln an der Vorderkante des linken Flügels der Raumfähre ausgeschlagen hat", sagte Walter bei Focus-TV. Beim Wiedereintritt des Shuttles in die Erdatmosphäre habe der beschädigte Flügel möglicherweise der enormen Hitzeeinwirkung nicht standgehalten und sei zerborsten. Für diese Annahme sprächen auch die Fernsehbilder, auf denen zu erkennen sei, dass sich im Landeanflug zunächst ein Teil der Raumfähre löste, bevor das Shuttle vollständig zerbrach. "Ich war schockiert", sagte Ulf Merbold heute im WDR 2 (Westzeit), der als erster westdeutscher Astronaut mit der D-1 Mission im All war und seinerzeit ebenfalls mit der Columbia flog und der den Absturz auch auf den Ausfall des Hitzeschildes zurückführt.

Es ist eine Flugphase mit besonderem Risiko. Man fliegt in einer Zone, in der es keine Luft, keinen Widerstand gibt - mit einer Geschwindigkeit von fast 30.000 Kilometer in der Stunde. In dem Moment, wenn das Shuttle mit der Luft in Berührung kommt, kommt es zur Reibung und entsprechender Hitzewirkung. Durch die Reibung wird die Geschwindigkeit in der nächsten Viertelstunde immer geringer.

Sicher ist nur, so NASA-Chef O'Keefe, dass das Unglück nicht vom Boden her ausgelöst worden sei. Bislang gäbe es keine Anzeichen dafür, dass es sich bei dem Absturz um einen terroristischen Akt handele, zumal die Sicherheitsvorkehrungen im Vorfeld aufgrund der Tatsache, dass erstmals ein israelischer Astronaut im All war, die höchste Stufe hatten.

Einen Abschuss durch eine Boden-Luft-Rakete oder Luft-Luft-Rakete scheidet nach Ansicht der NASA ebenfalls aus, weil alle bisher bekannten Waffensysteme dieser Art nicht in der Lage sind, eine Höhe von 63 Kilometer zu erreichen.

Schlechter Zustand der Flotte schuld?

Es ist kein Geheimnis, dass, obwohl die Raumschiffe bestens gehegt und gepflegt sowie optimal gewartet und permanent modifiziert werden, die Flotte so langsam in die Jahre kommt. Gerade in der Raumfahrt fordert Alter seinen Tribut. So war die Columbia zwar der dienstälteste Raumpendler, absolvierte aber nach ihrem Jungfernflug am 12. April 1981 "nur" 28 Einsätze, war also gemessen an den NASA-Vorgaben noch recht jung. Obwohl jede Space-Shuttle für insgesamt 100 Flüge konzipiert wurde, entdeckten NASA-Ingenieure im Sommer des letzten Jahres beim Überprüfen der Leitungen im Treibstoffversorgungssystem gleich bei zwei Raumfähren, sprich bei der "Atlantis" und der "Discovery", geringfügige "Anomalien" in Form von haarfeinen Rissen, die zwar nur millimetergroß waren, dafür aber immerhin als derart gravierend eingestuft wurden, dass der für den 19. Juli 2002 vorgesehene Start der "Columbia" im Rahmen der STS-107-Mission, die jetzt auf so tragische Weise scheiterte, verschoben werden musste. Obgleich nach Aussage eines NASA-Sprechers damals keine akute Gefahr bestand, dass die betroffenen Leitungen, die dem Transport von flüssigem Sauerstoff und flüssigen Wasserstoff dienen, deren Entweichen ermöglicht hätten, wäre ein Unfall nicht gänzlich auszuschließen gewesen.

Dass nach wie vor über jedem Raumfahrtprojekt ein "tödliches" Damoklesschwert schwebt, dass die Gefahr einer Katastrophe wie vor über 16 Jahren sich trotz jeglicher Vorsichtsmaßnahmen nicht gänzlich ausschließen lässt, hat die NASA in ihren Berechnungen natürlich längst berücksichtigt. Danach, so lautet es in einem NASA-Dossier, sei davon auszugehen, dass bei den über hundert Transport- und Versorgungsflügen der Shuttle-Flotte, die nötig sind, um das ISS-Mammutprojekt und die dort lebende Besatzung über 10 bis 15 Jahre lang am Leben zu erhalten, sich mindestens ein weiterer schwerer Shuttle-Unfall ereignen wird. Statistisch gesehen muss damit gerechnet werden, dass nach zirka 145 Flügen (hierzu gibt es allerdings unterschiedliche Werte) ein Desaster den Routinebetrieb erschüttert, das mit dem Challenger-Unglück vergleichbar ist.

Ausbau der ISS gefährdet

Die derzeitige Besatzung der Internationalen Raumstation (ISS) kann nach Angaben der US-Raumfahrtbehörde NASA noch bis Ende Juni ohne den Einsatz eines Space Shuttle an Bord bleiben. Für die dreiköpfige ISS-Mannschaft seien bis zu diesem Zeitpunkt noch genügend Vorräte vorhanden, sagte der Leiter des NASA-Shuttle-Programms, Ron Dittemore, am Samstag (Ortszeit) in Houston. Die US-Behörde habe Kontakt mit ihren russischen Kollegen aufgenommen, um die Ladung eines Progress-Raumtransporters noch einmal zu überprüfen, dessen Start zur ISS am Sonntag vorgesehen war.

Die Amerikaner werden keinen Shuttle mehr hochschicken, bevor der Fehler gefunden ist", sagte der Programmdirektor Raumfahrt beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Volker Liebig, am Samstag gegenüber der dpa in Köln. Vor allem sei der für Oktober 2004 geplante Ausbau der ISS mit dem europäischen Columbus-Modul nun gefährdet. Dies gelte ebenso für den Einsatz von vier deutschen Astronauten, die in Köln für baldige Missionen ausgebildet werden. Deren Einsätze könnten sich auf unabsehbare Zeit verzögern.

Bisher habe es mit den Shuttles, abgesehen von der Challenger-Katastrophe, keine Probleme gegeben, so Liebig weiter. Durch die extremen Belastungen beim Wiedereintritt in die dichte Atmosphäre in etwa 150 Kilometern Höhe hätten sich zwar des öfteren Kacheln vom Hitzeschild gelöst. "Das war aber nie eine ernsthafte Beschädigung", meinte Liebig. Auf dem aktuellen Flug, der am Samstag in einer Katastrophe endete, hatte das DLR ein Fisch-Experiment mit an Bord. Die Europäische Raumfahrt-Agentur (ESA) hatte von der Columbia-Crew etwa zehn Experimente vornehmen lassen, so Liebig.

Näheres und aktuelle Informationen sowie auch Videomaterial zu dem Unglück siehe NASA-Website, die vor kurzem "relauncht" wurde: