Schlechte Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit sind gute Zeiten für die Gesundheit

Schützenhilfe aus der Wissenschaft für Schröder oder andere Regierungschefs mit Wirtschaftsproblemen

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Wenn es wirtschaftlich aufwärts geht, jeder Arbeit hat und wachsenden Wohlstand genießt, dann tut dies uns gar nicht so gut, wie man wahrscheinlich denken würde. Zumindest nicht unserer Gesundheit. Möglicherweise sind unsere Körper evolutionsbedingt nicht auf üppige Zeiten programmiert. Ein amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler hat medizinische Daten mit Beschäftigung/Arbeitslosigkeit verglichen und festgestellt, dass ungesundes Verhalten bei US-Amerikanern zurückgeht, wenn Arbeitslosigkeit zunimmt.

Das würde natürlich umgekehrt sagen, dass es den Amerikanern derzeit zu geht. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sprechen nämlich bereits im Hinblick auf die Zunahme übergewichtiger und fetter Amerikaner von einer Epidemie. Über die Hälfte der Nation ist übergewichtig, 44 Millionen Amerikaner sind gar fett, seit 1991 eine Zunahme von 74 Prozent. Als fett werden vom CDC mittlerweile 20,9 Prozent aller Amerikaner bezeichnet, wobei der Anteil der Fetten allerdings von Bundesstaat zu Bundesstaat teilweise erheblich schwankt. Die meisten fetten Menschen finden sich bei den Frauen, den schwarzen Amerikanern und bei Menschen, die nicht auf der Highschool waren. Wer übergewichtig oder fett ist, lebt nach den Statistiken auch riskanter (Diabetes, Bluthochdruck, Asthma, Arthritis etc). Auch 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben Übergewicht.

Bush will schlankere Bürger für die Nation

Präsident Bush, der seine Nation im Krieg sieht und als oberster Kriegsherr demnächst seine Entscheidung über eine Invasion im Irak fällen wird, hat die bedrohliche Lage schon letztes Jahr erkennt und um Juni 2002 die HealthierUS Initiative gestartet, um seine Bürger wieder schlanker zu machen. Vorbildlich pflegt Bush seine Fitness und ist schon einmal mit der Crew des Weißen Hauses demonstrativ zum Joggen gegangen, der Präsident natürlich allen voran. Bush erließ zwei "Executive Orders", worin es heißt:

"Zunehmend weist wissenschaftliche Forschung darauf hin, dass eine wachsende Zahl von Amerikanern unter zu geringer körperlicher Aktivität, schlechten Essgewohnten und unzureichendem Benutzung präventiver medizinischer Vorsorgemaßnahmen leidet und riskante Verhaltensweisen wie den Missbrauch von Alkohol, Tabak und Drogen ausübt."

Sorgenvoll rief der Präsident seine schlappen Couch Potatoes, die sich den Krieg lieber im Fernsehen anschauen und mit ihren Steuern ein teures Berufsheer finanzieren, dazu auf, jeden Tag sich körperlich zu betätigen sowie gesünder zu essen und zu leben. Jährlich würde die Volkswirtschaft mit 117 Milliarden Dollar Kosten aufgrund unnötiger Fettleibigkeit belastet (die wirtschaftlichen Folgen einer gesünderen Lebensführung mit weniger Autofahren, Fernsehen und Junk Food wurden allerdings nicht einbezogen). Nach Umfragen betreibt mehr als die Hälfte aller Amerikaner keinerlei sportliche Tätigkeit. Auch bei Kindern und Jugendlichen steht es immer schlechter damit. Eine bessere Gesundheit ist, so Bush, eine individuelle Verantwortlichkeit, aber es ist auch ein wichtiges nationales Ziel."

Supersizing im "Fat Land"

Zahlen, die früher vom CDC veröffentlicht wurden, können tatsächlich erschrecken. Angeblich verursacht Fettleibigkeit jährlich 300.000 Tote. Der Trend zur Dickleibigkeit im "Fat Land" (Supersize-Terror) wird durch Motorisierung und Mediatisierung verstärkt, aber natürlich auch durch kalorienhaltiges Fast Food und entsprechende Snacks und Drinks gefördert. Zudem sind seit 20 Jahren die Portionen - wie viele andere Waren - kräftig größer geworden - "supersizing" -, um mehr in der Konkurrenz herzumachen. Parallel dazu stieg die Dickleibigkeit an, die also nicht nur mit Fast Food, Chips und Cola zu tun hat. Wissenschaftler haben die Größe von Portionen und Getränken untersucht und sind zum Ergebnis gekommen, dass sie seit ihrer Einführung jeweils zwischen 5 bis 8 Mal größer geworden seien.

Und gemeiner Weise, so eine andere Studie, essen wir auch mehr, wenn wir größere Portionen erhalten. Der "wirkliche" Hunger spielt dabei für die Menschen in der Supersize-Gesellschaft keine Rolle, schließlich ist man sowieso mehr, als "wirklich" nötig wäre. Bei Experimenten hatte sich herausgestellt, dass die Versuchspersonen von einem Nudelgericht 30 Prozent mehr essen als diejenigen, deren Portion um die Hälfte kleiner war. Nur als satter beschrieben sie sich deswegen auch nicht. Wenn dann also das Essen noch viele Kalorien und viel Fett enthält, ist der Weg in die Vollschlankheit geebnet.

Trotzdem hatten einige übergewichtige amerikanische Kinder und ihre Eltern, die vor ein Gericht zogen und für ihren Leibesumfang McDonald's verantwortlich machen wollten, kein Glück und gingen leer aus. Das Gericht sei nicht der richtige Ort, um Kunden der Schnellimbisse "vor ihren eigenen Exzessen zu schützen", sagte der Richter. Unter den Klägern befand sich 15-jähriger Schüler, der 1,68 Meter groß ist, aber immerhin stattliche 180 Kilogramm wiegt. Die Eltern argumentierten, sie wären nicht darüber informiert worden, dass das Essen kalorienreich und gesundheitsschädlich ist. 110 Milliarden Dollar bringen die Amerikaner jährlich, so hatte sich der Richter schlau gemacht, in Fastfood-Ketten. Ein Viertel aller Erwachsenen würde täglich in solch einen Schnellimbiss gehen.

Arbeitslose leben länger und gesünder, aber nicht unbedingt fröhlicher

Wie auch immer, der Ökonom Christopher Ruhm von der University of North Caolina hat sich jedenfalls 14 Jahre zurückreichende Daten vom CDC über Arbeitslosigkeit und Gesundheitszustand besorgt und sie statistisch ausgewertet. Den Artikel, den er darüber geschrieben hat, trägt den etwas provokativen Titel: "Gesünder leben in schlechten Zeiten". Wirklich neu ist das Ergebnis zwar nicht, aber immerhin schön mit Daten unterlegt, dass die Menschen, wenn es wirtschaftlich etwas bergab geht, die Löhne sinken und die Arbeitslosigkeit steigt, weniger dick sind, weniger rauchen und öfter sich sportlich betätigen. Immer wenn die Arbeitslosigkeit ein Prozent zulegte, sank die Rate an Dicken, Rauchern und körperlich Untätigen zwischen 0,3 und 1,8 Prozent.

In einer früheren Studie hatte Ruhm festgestellt, dass auch die Sterblichkeit um 0,5 Prozent abnimmt, wenn die Arbeitslosenrate um 1 Prozent steigt. Anders herum stimmt das natürlich dann auch, nämlich dass die Todesrate steigt, wenn es mit der Wirtschaft aufwärts geht. Anhand von Daten aus 23 OECD-Ländern. Sinkt die Arbeitslosigkeit um 1 Prozent, so steigt die Todesrate insgesamt um 0,4 Prozent an. An bestimmten Krankheiten wie Herzinfarkt, Lungenentzündung oder Leberzirrhose sterben weniger Menschen. Selbst die Zahl der Toten bei Autounfällen und anderen Unfällen soll um 0,8 Prozent sinken. Und weil das alles so schön ist, hat Ruhm auch gleich einen weiteren Artikel geschrieben, der den Titel trägt: "Gute Zeiten lassen dich krank werden". Wieder aufgrund anderer Daten will Ruhm hier zeigen, dass Arbeit gewissermaßen der Gesundheit nicht förderlich ist und sich die negativen Folgen über die Dauer der Arbeitszeit verlängern, obwohl eigentlich mehr Geld für die Behandlung zur Verfügung wäre. Was die Psyche angeht, so scheint diese nicht antizyklisch, sondern prozyklisch zu funktionieren. Es geht uns also psychisch besser, wenn wir etwas zu arbeiten haben.

Das Ergebnis widerspricht manchen geläufigen Meinungen, dass Arbeitslosigkeit und Geldmangel zu vielerlei körperlichen und psychischen Problemen führen. Das aber stimmt eben so allgemein nicht, meint Ruhm. In seiner Studie haben aber gerade die stärksten Raucher und die gierigsten Dicken ihr Verhalten am deutlichsten geändert. Der Grund könnte allerdings recht einfach sein. Es könnte schlicht billiger und auch eher notwendig sein, sich gelegentlich körperlich zu bewegen und gesünderes Essen zu kaufen, als das Geld für Zigaretten oder Fastfood auszugeben. Der Verlust eines stressigen Jobs könne überdies "die 'Selbstmedikation' mittels Rauchen und Alkohol" stoppen. Und insgesamt haben die Arbeitslosen einfach mehr Zeit, um etwas zu machen, beispielsweise selbst zu kochen.