Geheime Cut-and-Paste-Informationen

Das peinliche Plagiat der britischen Regierung könnte einiges verraten, vor allem aber, dass sie es mit der Wahrheit nicht so ernst meint

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Endlich wissen wir, wie Geheimdienstarbeit in den postmodernen Zeiten nach dem Kalten Krieg vonstatten geht. Die Regierung gibt ein Dossier in Auftrag, das bestimmte Belege enthalten soll, um ihre Politik - in diesem Fall einen Krieg gegen den Irak - zu rechtfertigen. Und bald haben die fleißigen Geheimdienstagenten oder auch andere Regierungsangehörige vor ihren Computern zeit-, kräfte- und ressourcensparend mit Cut and Paste aus dem Internet das entsprechende Dokument zusammengezimmert.

Letzte Woche wurde der Bericht Iraq - its infrastructure of concealment, deception and intimidation von Blair veröffentlicht. Seine Inhalte beziehe er, so heißt es, aus zahlreichen Quellen, darunter auch Geheimdienstinformationen. Genannt wurden diese, wie sich dies für ein solches Dokument gehört, nicht. Die Informanten und Quellen, das haben wir erst anlässlich der multimedialen Präsentation von Beweisen durch Außenminister Powell erfahren, würden dadurch gefährdet werden.

Ob nun Ibrahim al-Marashi, ein Student des Monterey Institute of International Studies, auch gefährdet ist, darf man bezweifeln. Gefragt wurde er, wie er sagte, von den britischen Internet-Maulwürfen nicht, die sich reichlich seines Artikels Iraq's Security and Intelligence Network: A Guide and Analysis, der im letzten September in Middle East Review of International Affairs online veröffentlicht wurde. Zum Vorbild wird die britische Regierung dadurch nebenbei auch nicht, was die Bekämpfung von Cyberkriminalität angeht, wenn sie so mit dem Copyright umgeht. Weil es so schnell und einfach geht, wurden auch Tippfehler übernommen und nicht korrigiert. Man hat also ein gutes Vertrauen in die Internet-Publikationen. Ausgeschlachtet wurden zudem noch zwei Artikel aus Jane's Intelligence Review.

Eingriffe wurden nur bei Zahlen vorgenommen, die von den Datenklauern - oder Data-Mining-Experten - erhöht oder aufgerundet wurden. Gelegentlich hat man auch zur besseren "Verdeutlichung" einzelne Worte ausgetauscht, beispielsweise wurde "monitoring foreign embassies in Iraq" zu "spying on foreign embassies in Iraq". Manchmal verbesserte man Satzformulierungen.

Nun kann man sich natürlich fragen, was die Ursache für diese Peinlichkeit ist. Offenbar haben die britischen Geheimdienste keine eigenen Informationen, die für Blairs Kriegspolitik geeignet sind. Und Informanten scheinen auch dünn gesät zu sein. Al-Marashi hatte Dokumente ausgewertet, die im Jahr 1991 gefunden wurden. Das Thema seiner Arbeit war die Arbeit der irakischen Geheimdienste während der Besetzung Kuwaits. Stand der Dinge hier also: 12 Jahr alt.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass der britische Geheimdienst womöglich nicht mit Blairs Politik mitziehen will. Auch in den USA hat der CIA nicht immer die Berichte geliefert, die die Bush-Regierung haben wollte (beispielsweise was das Atomwaffenprogramm des Irak betrifft). Vielleicht wurde man durch diese Auftragsarbeiten in der Geheimdienst-Ehre gekränkt. Darauf könnte auch hindeuten, dass BBC News erst vor ein paar Tagen, passend zur Powell-Präsentation, die dies ausführlich zu unterlegen suchte, ein Geheimdienstbericht zugespielt wurde, der versichert, dass es zwischen dem Irak-Regime und al-Qaida keine Kontakte gegeben habe.

Schon hier kam die britische Regierung ins Stottern. Verteidigungsminister Straw sagte, dass das Irak-Regime für die Terroristen zumindest eine günstige Umgebung angeboten und dass man Kenntnis von Verbindungen zwischen al-Qaida und "einigen Menschen im Irak" habe. Leider halt nichts Genaues.

Auch was das peinliche Plagiat angeht - von US-Außenminister lobend als "fine paper" bezeichnet -, will sich die Regierung nun herausstehlen. Was das angebliche Plagiat angehe, erklärte ein Regierungssprecher, so müsse der Bericht in den richtigen Kontext gestellt werden. Es gehe um die Informationen, nicht - ein schönes Wort - um "processology", also wie der Bericht zustande gekommen ist. Wenn man al-Marashi nicht erwähnt habe, so stelle das noch nicht in Frage, dass der "Bericht als ganzes" nicht wahr ist. Blair sehe dadurch auch nicht, so der Sprecher, die Glaubwürdigkeit der Regierung in Frage gestellt.

Was damit aber nur noch einmal deutlich wird, ist, dass all diese Beweise und Erkenntnisse, so wahr, wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sie auch immer sein mögen, die als Grund für die Bösartigkeit des Irak-Regimes vorgestellt werden, nur den bereits getroffenen Entschluss auf "Regimewechsel" die Bahn öffnen und für eine zumindest vordergründige Legitimation sorgen sollten. Damit nähern sich die Regierungen Großbritanniens und der USA just dem Regime, das sie als eines des Lugs und Trugs bezeichnen. Wenn Unwahrhaftigkeit und Lüge zu Hauptvorwürfen werden, dann müssten die Anklagenden besonders aufpassen, nicht strategisch Halbwahrheiten, Unterstellungen oder Mutmaßungen als Wahrheit zu offerieren. Es könnte nur sein, dass die "Kreativen" in den Propaganda- oder Werbeabteilungen der jeweiligen Regierung mit Wahrheit und Lüge sowieso nichts anfangen können, sondern eben nur auf die Wirkung und die Verpackung setzen. Im Hinblick auf die Wirkung ist dies zumindest gründlich daneben gegangen. An der eingeschlagenen Politik wird das aber vermutlich nichts mehr ändern.