Sternstunde der UNO

Der UNO-Waffeninspektionsreport bringt Bewegung in die Irak-Krise

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Die UNO-Waffeninspektoren Hans Blix und Mohammed El Baradei präsentierten nach inzwischen 400 einzelnen Untersuchungsmissionen innerhalb der letzten elf Wochen den Vereinten Nationen ihre neuen Erkenntnisse. Der Bericht enthält drei Kernfeststellungen: Massenvernichtungswaffen hat man im Irak nicht gefunden - stattdessen lediglich eine kleine Zahl leerer Gefechtsköpfe für chemische Waffen. Klarheit über den Verbleib früherer Bestände verbotener Waffen und Materialien besitze man noch nicht. Im Übrigen forderten beide Inspektoren, man möge ihnen mehr Zeit lassen, um weitere Ergebnisse in dem inzwischen kooperativeren Prozess zu erzielen.

UNO-Waffeninspektoren Hans Blix und Mohammed El Baradei am 14.2.2003

Dabei betonte der Chef der UNMOVIC-Inspektoren, Hans Blix, dass dem Irak die Orte zuvor nicht bekannt gewesen seien, die man inspiziert habe. Andererseits bleibe die grundsätzliche Schwierigkeit des gesamten Unternehmens, dass nicht jede Höhle oder Ecke durchstöbert werden könne. Aber die gegenwärtigen Inspektionen einiger Wochen würden helfen, die Erkenntnislücken während des langen Abwesenheitszeitraums der Inspektoren zwischen Ende 1998 und Ende 2002 zu schließen. Blix zufolge ist nach seinem letzten Besuch in Bagdad etwas erreicht worden und der Irak habe sogar zugestimmt, dass südafrikanische Experten in das Land kommen sollten, um über effektive Abrüstungsmaßnahmen zu sprechen.

Zentral für die Bewertung der Inspektion bleibt die Frage nach dem Verbleib von Anthrax, Nervengas VX und Langstrecken-Raketen. Zwar erläuterte der Irak, einige Materialien seien weggeschüttet worden und das ließe sich auch technisch nachweisen. Blix bleibt aber skeptisch, vor Jahren entsorgtes Material heute noch aufspüren zu können. Immerhin hat der Irak vor wenigen Tagen eine Liste mit den Namen von 83 Personen vorgelegt, die im Sommer 1991 an der Vernichtung brisanter Chemikalien beteiligt gewesen seien. Blix hat auch keinen Zweifel, dass ihm ähnliche Informationsquellen zur Verfügung gestellt würden, um auch Hinweise über die Vernichtung von biologischen Stoffen zu erhalten. Zugleich machte er aber auch klar, es sei nicht Sache der Inspektoren, verbotene Materialien zu finden, sondern allein Angelegenheit des Irak, hier nachhaltig aufzuklären.

Der Ankündigung von Blix, zukünftige Kontrollflüge durchzuführen, um mobile Waffenlabore zu finden, korrespondierte die Mitteilung von Mohammed el Baradei, dem Generalsekretär der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA), die Zahl der Inspektoren solle demnächst erhöht werden. El Baradei zufolge gibt es keine verdächtigen Anzeichen für nukleare Aktivitäten des Irak. Der Chef der IAEA verwies dafür auf 177 Inspektionen an 125 Orten und vier "private" Vernehmungen von irakischen Wissenschaftlern, die ohne staatliche Aufpasser des Irak stattgefunden hätten. Dabei hob Blix aber kritisch hervor, dass über die bisherigen Gespräche mit irakischen Wissenschaftlern hinaus keine weiteren in der von ihm geforderten offenen Weise des Austauschs möglich gewesen seien.

Kaum mehr von einer Kritik an den USA zu unterscheiden, war der Hinweis des Chefinspektors über die wichtige Rolle der Geheimdienste, denen Informationen vorliegen könnten, über die er und seine Leute nicht verfügten. Dabei kommentierte Blix auch Colin Powells Multimedia-Offenbarung vor der UNO mit der Anmerkung, wenigstens in einem, den Inspektoren maßgeblich bekannten Fall könne es sich an Stelle der angeblichen Entfernung von verbotenem Material sehr wohl um unverdächtige Routineaktivitäten gehandelt haben.

Ob die inkriminierten Waffen nun tatsächlich existieren oder nicht, schien allerdings für die Kriegswilligen und selbst ernannten Zivilisationswahrer nach Präsident Bushs letzten Anfeuerungsreden vor seinen Soldaten geradezu marginal sein. Scheint doch jeder den Bericht so interpretieren zu können, wie er will. Und in eben diesen Erkenntnislücken des Berichts schien Saddam Hussein schon beerdigt zu sein. Zwar wies Hans Blix darauf hin, es sei auch der Schluss nicht möglich, dass Massenvernichtungsmittel tatsächlich überhaupt noch existierten. Doch bereits der Streit um die El Samoud 2-Raketensysteme, die nach Angaben von Blix die zulässige Reichweite von 150 km etwas überschreiten, legte aber nahe, dass die von Bush und Blair konstruierte Zeitfalle nun zuschnappen sollte. Für Tony Blair, Präsident Bushs bestem Kameraden, stellte die Verheimlichung dieser Raketensysteme eine ernste Angelegenheit dar, obwohl damit eine echte Gefährdung für Washington oder London wohl kaum verbunden ist.

Es kam anders als erwartet

Colin Powell hatte schon vor der Sitzung die Hoffnung der USA zum Ausdruck gebracht, Frankreich und Deutschland würden nach dem Bericht nun endlich ihre Haltung zur Frage der Kooperativität des Irak - getreu der Resolution 1441 - ändern. In seinem Fazit zum Report forderte Powell die UNO auf, jetzt über ernsthafte Konsequenzen zu beraten. Doch dann kam alles völlig anders als erwartet.

Der französische Außenminister Dominique de Villepin sah sich indes gerade durch den Bericht bestätigt, dass eine friedliche Lösung des Konflikts weiterhin möglich bliebe. De Villepin hielt eine flammende Rede, in der er einen weiten Bogen schlug von der Wertegemeinschaft der Demokraten über die Beschwörung der Einigkeit des Sicherheitsrats bis hin zu Notwendigkeit, den Inspektoren mehr Zeit zu lassen. Auch Russland und China machten klar, wie bereits vor der Sitzung verlautbart, dass sie den Inspektoren Gelegenheit zu weiteren Kontrollmaßnahmen geben wollten.

Nach dem protokollwidrigen Applaus für den Appell des französischen Außenministers ließen es sich auch der britische Außenminister Jack Straw und Colin Powell nicht nehmen, die demokratischen und freiheitlichen Tugenden ihrer Länder unter Beweis zu stellen. Dann war die Sensation perfekt, die nach Präsident Bushs unverhohlenen Ankündigungen des unvermeidbaren Krieges kaum noch für möglich gehalten werden konnte: Der Sicherheitsrat beschloss, zunächst einen neuen Report der Inspektoren bis zum 1.März 2003 abzuwarten. Allerdings könnte das die letzte Galgenfrist für Saddam Hussein gewesen sein, wenn er jetzt nicht endgültig reinen Tisch macht. Denn weder die Amerikaner noch die Briten ließen Zweifel daran, dass ihre Geduld, mehr als diese letzte Chance für eine friedliche Lösung einzuräumen, nicht besteht. Colin Powell unterstrich die Unabdingbarkeit einer unverzüglichen und vollständigen Kooperation des Irak. Auch de Villepin schloss einen Krieg nicht aus, wenn der Irak seinen Ankündigungen nun nicht Taten folgen lasse. Allerdings optiert der französische Außenminister für einen weiteren Bericht der Inspektoren für den 14. März.

Saddam Hussein mutiert derweil unter dem Damoklesschwert seines baldigen Abtritts von der Weltbühne scheinbar zum entgegenkommendsten Diktator der Welt. Eben noch hat er den Besitz, die Herstellung und den Import von Massenvernichtungswaffen verboten. Sein Vize Tarik Aziz weilt beim Papst und macht sich für die Ökumene des Friedens stark. Doch auch diese Good-Will-Kampagnen werden den frommen Mann in Washington nicht dauerhaft vom Sturm auf Bagdad abbringen, wenn Saddam Hussein den Vorwurf - Blix spricht von "belittling the questions" - nicht ausräumen kann, den Verbleib des Teufelszeugs nicht schlüssig rekonstruieren zu wollen.

"I believe when it's all said and done, free nations will not allow the United Nations to fade into history as an ineffective, irrelevant debating society", hatte Präsident Bush noch zuvor der Welt bedeutet (Die auserwählte Generation in der von der Geschichte berufenen Nation). Dass die UNO mehr als ein Debattierzirkel oder ein Exekutionsausschuss für Amerikas superiore Entscheidungen sein könnte, dafür könnte nun dieser spektakuläre 14. Februar stehen. Vielleicht setzt sich also doch eine rationale, friedliche Lösung durch, bevor Ölwechsel und Blutwäsche den Glauben an die Kraft der Völkergemeinschaft zerstören. Und bis auf weiteres hat auch Amerika bewiesen, dass es sein Machtkalkül nicht allein auf militärischen Optionen ruhen lassen möchte, ohne die Interessen von alteuropäischen und anderen Kulturen zur Kenntnis zu nehmen.