Lauschangriff auf die Delegierten des UN-Sicherheitsrats

Angeblich wollen die Vereinten Nationen den Vorfall untersuchen

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Vor einer Woche wurde bekannt, dass der amerikanische Geheimdienst NSA alle UN-Sicherheitsrats-Mitglieder außer denen der USA und Großbritanniens abhören soll. Ein entsprechendes Memo eines hohen NSA-Mitarbeiters, die Telefone im Büro und Zuhause sowie Emails zu überwachen, war dem britischen Observer zugeleitet worden (US-Geheimdienst überwacht Delegierte des UN-Sicherheitsrats). Die Reaktion darauf war bislang verhalten. Jetzt will offenbar die UN den Vorfall untersuchen lassen.

Dass die US-Regierung mit allen Mitteln versucht, doch noch die zum Krieg ermächtigende UN-Resolution zu erwirken, ist kein Geheimnis (Die Koalition der Willigen). Auch die Kriegsverweigerer, die für eine Fortsetzung der Inspektionen plädieren, versuchen, ihre Achse zusammen zu halten und für ihre Position zu werben. Bekannt ist schon lange, dass die NSA beispielsweise mit dem Echelon-System, an dem u.a. auch Großbritannien beteiligt ist, weltweit auch die befreundeten Länder belauscht.

Überraschend war daher die Meldung nicht, dass in den letzten Tag vor der Entscheidung, wie der Krieg geführt werden kann, die Delegierten des UN-Sicherheitsrates belauscht werden, um genauere Kenntnis über deren Haltung zu erlangen. Damit könne man, so das Memo, "den US-Entscheidungsträgern einen Vorteil verschaffen, um für die US-Ziele günstige Ergebnisse zu erreichen und Überraschungen zu vermeiden". Der Los Angeles Times berichtete eine Mitglied der US-Regierung, dass man dies schon immer so gemacht habe: "Das ist Routine." James Bamford, Autor von Büchern über die NSA, meint gar, die USA hätten sich deswegen darum bemüht, den UN-Hauptsitz nach New York zu holen, um besser lauschen zu können.

Empört zeigte sich bislang vor allem die chilenische Regierung. Präsident Ricardo Lagos verlangte eine sofortige Erklärung. In Chile hatte bekanntlich die CIA im Auftrag der US-Regierung beim Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende und bei der Machtübernahme des Militärs unter der Führung des Diktators Pinochet tatkräftig mitgeholfen. Wahrlich keine Werbung für den kommende Invasion in den Irak.

Zweifel an der Echtheit des Dokuments dürften mittlerweile ausgeräumt sein. Die vorübergehende Verhaftung einer Mitarbeiterin des britischen Geheimdienstes Government Communications Headquarters (GCHQ) am Wochenende spricht auch dafür. Eine 28jährige Frau wurde aufgrund des Verdachts, geheime Informationen verraten zu haben, verhört und auf Kaution wieder freigelassen. Nach dem Observer war das Memo von britischen Geheimdienstmitarbeitern, die sich dem Verlangen von amerikanischer Seite widersetzen wollten, der Zeitung zugespielt worden.

Auch GCHQ war angefragt worden, beim Ausspionieren zu helfen. Bekanntlich sind Kreise des britischen Geheimdienstes von der Blair-Politik nicht überzeugt (Lesen Sie den CIA-Bericht noch einmal!). Möglicherweise musste wegen des Boykotts dann das Blair-Dossier über die Vergehen des Irak weitgehend aus dem Internet mit Cut-and-Paste kopiert werden (Geheime Cut-and-Paste-Informationen). Das Plagiat wurde schnell bekannt und unterminierte die Glaubwürdigkeit der britischen und der amerikanischen Regierung noch einmal, wie dies jetzt auch die UN-Waffeninspektoren gemacht haben, die die angeblichen mobilen Labors als nicht-existent bezeichneten oder gar von Fakes der Geheimdienstinformationen sprachen, was das angebliche irakische Atomwaffenprogramm betrifft.

Ob die beabsichtigte UN-Untersuchung des amerikanischen Ausspionierens von UN-Delegierten irgendeine Wirkung haben dürfte, sofern sie tatsächlich stattfinden sollte, darf man bezweifeln. Der wohl bald startende Krieg wird das zu einer Lappalie machen, und andere Länder, die ähnliches betreiben, dürften nicht wirklich interessiert sein an einer solchen Untersuchung. Der Echelon-Skandal hatte zwar auch zu einem Ausschuss des Europäischen Parlaments geführt und ist in einen Bericht gemündet. Aber damit hatte es sich auch schon. Bedingt geschützt sind vor den Lauschaktionen der jeweiligen Geheimdienste jeweils nur die eigenen Bürger. Im Ausland fallen alle Beschränkungen.

Für den Observer geht die Lauschaktion von höchsten Kreisen der US-Regierung aus. Angeblich sei sie von der Sicherheitsberaterin Rice befohlen worden, Kenntnis davon aber müssten auch Verteidigungsminister Rumsfeld, CIA-Chef Tenet, NSA-Chef Mayden und schließlich Bush selbst haben. Nachdem offensichtlich das Memo auch beim GCHQ, das Echelon-Lauschposten betreibt, angekommen ist, könnte es an alle an diesem Lauschsystem beteiligten Geheimdienste, also die von Neuseeland, Australien und Kanada, gegangen sein.