Und Fernsehen macht - vielleicht - doch aggressiv

Nach einer Langzeitstudie wird höhere Aggressivität durch frühen Konsum von Gewaltfilmen bewirkt

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Dass die Betrachtung von Gewaltdarstellungen in Medien neben zahlreichen anderen Einflüssen Aggressivität fördern oder verstärken kann, dürfte nach den vielen Untersuchungen dazu kaum mehr ganz zu bestreiten sein. Eine neue Langzeitstudie stärkt die Vermutung. Unabhängig von Persönlichkeit, familiären und sozialen Kontext zeigen junge Frauen und Männer, wenn sie 15 Jahre zuvor häufig Fernsehsendungen mit Gewaltdarstellungen angeschaut hatten, eine erhöhte Neigung zur Aggressivität.

Psychologen der University of Michigan haben für ihre Studie, die in der März-Ausgabe der Zeitschrift Developmental Psychology erschienen ist, eine Untersuchung aus den 70er Jahren zugrunde gelegt. Damals wurde über 500 Kinder aus Chicago im Alter zwischen sechs und zehn Jahren befragt, welche Sendungen sie sehen, ob sie sich mit aggressiven Darstellern identifizieren und ob sie denken, dass die gesehen Szenen realistisch seien. Zur Kontrolle wurden auch Mitschüler und Eltern befragt und zur Beurteilung der Intelligenz die Schulleistungen herangezogen. Nach zwei Jahren hatte man bei den meisten noch einmal ihren Fernsehkonsum und die Neigung zum aggressiven Verhalten bewertet.

Imitation von Vorbildern als wichtiger Faktor

Ab 1991 -1995 versuchten die Psychologen dann, möglichst viele der damals befragten Kinder wieder aufzuspüren. Sie konnten nach einer komplizierten Suche 329 Frauen und Männer (überwiegend Weiße und aus besseren Gesellschaftsschichten) finden und sie erneut nach ihren Fernsehgewohnheiten und aggressivem Verhalten befragen. Zur Kontrolle wurden auch ihre Lebensgefährtinnen und Lebensgefährten oder andere Freundinnen bzw. Freunde befragt. Zudem wurden Informationen über Straftaten oder Verkehrsvergehen herangezogen. Allerdings waren im Hinblick auf die "alten" Daten die wiedergefundenen Partizipanten der ersten Studie insgesamt auch als weniger aggressiv in ihrer Kindheit eingestuft worden.

Bei der Auswertung stellte sich heraus, dass die Jungen, die viele Gewaltdarstellungen in ihrer Kindheit gesehen hatten, mit größerer Wahrscheinlichkeit körperlich aggressiv gegenüber ihren Freundinnen waren, wegen eines Vergehens verurteilt worden sind oder eine Verkehrsübertretung begangen haben. Sie wurden beispielsweise drei Mal so oft wie übrigen wegen irgendeines Vergehens verurteilt. Ähnliches zeigte sich bei den Frauen, die in ihrer Kindheit viele Filme mit Gewalt gesehen hatten. Allerdings ist hier die Neigung zur "indirekten Gewalt" größer. Wer viele derartige Filme in der Kindheit angeschaut, die Gewalt als realistisch beurteilt und/oder sich mit dem aggressiven Darsteller desselben Geschlechts identifiziert hat, ist später signifikant stärker selbst aggressiv.

Dass sich aus dem Fernsehkonsum die höhere Neigung zu Aggressivität vorhersagen lässt, treffe auch dann zu, so die Wissenschaftler, wenn man das Aggressivitätspotenzial während der Kindheit mit berücksichtigt. Es sind also nicht nur die sowieso aggressiven Kinder, die ihr Verhalten durch das Anschauen entsprechender Filme verstärken und ihr Verhalten als Erwchsene beibehalten. Der Zusammenhang ist besonders bei den Jungen am stärksten, die sich mit aggressiven männlichen Darstellern identifizieren - und davon gibt es ja nicht wenige. Interessant ist auch, dass die Aggressivität als Erwachsener und der Konsum von Gewaltfilmen bei den Männern nicht korrelieren, wohl aber bei den Frauen. Bei den Männern könnte dies auf die kausale Verursachung zur Gewaltneigung durch entsprechende Filme in der Kindheit hinweisen. Aber warum müssten aggressive Frauen dann ihre Neigung weiterhin am Bildschirm trainieren oder verstärken?

Gewalt verkauft sich

Für die Psychologen ist ihre Langzeitstudie ein Beleg dafür, dass es nicht stimmt, dass aggressivere Kinder auch mehr Filme mit Gewaltdarstellungen anschauen, wie oft argumentiert wird. Dafür spricht, dass bei einem hohen Konsum von Gewaltfilmen in der Kindheit sowohl Männer als auch Frauen später eine höhere Aggressivität unabhängig davon zeigen, ob sie auch als Kind bereits aggressiv waren. Allerdings sind die Filme oder Serien, die am meisten Einfluss haben, nicht unbedingt jene, die nach den Erwachsenen am meisten Gewalt enthalten:

"Gewalttätige Szenen, die den Kindern am ehesten als Modell für ihr Verhalten dienen, sind diejenigen, in denen sie sich mit Gewalttätern identifizieren, bei denen dieser für die Gewalt belohnt wird und die die Kinder als Szenen betrachten, die zeigen, wie das Leben ist. Daher kann eine gewalttätige Szene mit Dirty Harry, bei der ein Verbrecher getötet wird, was Harry Ruhm einbringt, bedenklicher sein als ein blutiger Mord, der von einem verabscheuungswürdigen und vor Gericht gebrachten Verbrecher begangen wird."

Welcher sozialen Schicht die Kinder entstammten, welche Schuldbildung sie hatten und wie intelligent sie waren, scheint sich nach dieser Studie auf die Verbindung zwischen Gewaltfilmen und später erhöhter Neigung zur Aggressivität nicht wesentlich auszuwirken. Auch die Aggressivität der Eltern, deren Fernsehgewohnheiten und Erziehungsstile haben offenbar keinen entscheidenden Einfluss auf die langfristige Entwicklung. Die Psychologen fordern wegen der Korrelation von frühem Konsum von Gewaltfilmen und später vorhandener Aggressionsneigung einen stärkeren Schutz der Kinder. Auf Jugendliche und Erwachsene hätten solche Darstellungen nur kurzfristige Auswirkungen, weswegen man hier nicht so besorgt sein brauche. Dagegen würde jeder Gewaltfilm bei einem Kind die Wahrscheinlichkeit erhöhen, sich in manchen Situationen als Erwachsener aggressiver zu verhalten. Das war auch das Ergebnis einer anderen Langzeitstudie: Schon eine Stunde Fernsehen täglich fördert die Aggressivität.

Angeblich sei auch die Produktion von Filmen, die mehr Gewalt enthalten, durchschnittlich 10 Prozent billiger als von solchen, die weniger zeigen. Jede zusätzliche Gewaltszene reduziere die Kosten für die Herstellung von Fernsehserien um etwa 1.500 Dollar. Zudem finden sich für solche Filme mehr Zuschauer, können diese besser ins Ausland verkauft, in ein Computerspiel umgesetzt und mehr Werbeeinnahmen erzielt werden: "Violence sells" - nicht nur im Fernsehen, sondern womöglich auch in der Politik.

Allerdings kann man bei solchen Studien, die statistische Korrelationen untersuchen, stets skeptisch sein. Immer können Einflüsse übersehen worden sein oder könnte man fragen, wie Menschen vor dem Fernsehen aggressiv geworden sind. Und interessant wäre natürlich auch immer, wie überhaupt Medien die Menschen prägen. Langzeitwirkungen und Nebenfolgen gibt es ja nicht nur bei der Gewalt. Amerikanische Psychologen gehen etwa davon aus, dass die Anschläge vom 11.9. ein posttraumatisches Stresssyndrom bei Hunderttausenden von Amerikanern ausgelöst haben - vornehmlich bei Fernsehzuschauern: Traumatisierung durch Medienbilder?. Das aber wird auch dadurch relativiert, dass Menschen, die vermeintlich von Aliens entführt wurden, dieselben posttraumatischen Störungen zeigen wie Vietnamveteranen (Shut up and sleep with me). Das Gehirn jedenfalls scheint auf Ängste, die von Vorstellungen ausgehen, ebenso zu reagieren wie auf wirkliche Erlebnisse: Angst ist Angst. Und das wird dann auch wohl auf Medieninhalte zutreffen, die emotional wirken.