Israels Atompolitik

Ein ungelöstes Problem, das zum gefährlichen Wettrüsten im Nahen Osten beiträgt und auch Bestandteil des Irak-Konflikts ist

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Zwar werde offiziell dementiert, dass der Iran dabei sei, Atomwaffen zu entwickeln; nichtsdestotrotz würden die Iraner aber in seltener Einmütigkeit ihr Recht auf Nuklearwaffen behaupten, meldete die Washington Post vor einigen Tagen. Nuklearwaffen seien eine Angelegenheit des "nationalen Stolzes" und vor allem des Kräftegleichgewichts in der Region, werden hochrangige Berater des Ayatolla Khameini zitiert. "So lange Israel sie hat, fühlen wir uns nicht sicher."

Das Argument ist nicht neu und wird nicht nur vom Iran vorgebracht. Ägypten mahnt seit vielen Jahren an, dass Israel seine Atomwaffenpolitik im Interesse der regionalen Sicherheit zumindest offen legen soll, hegt aber selbst, so viel man weiß, keine Pläne zum Aufbau eines Atomwaffenprogramms. Algerien, so wird schon länger gemunkelt, dagegen schon; Libyen interessiert sich dafür und nicht zuletzt der Irak, dessen Ambitionen in dieser Hinsicht allerdings wohl kaum mehr realisiert werden dürften - israelische Kampfbomber, einer der Piloten war der beim Shuttle-Unglück verstorbene Astronaut Ilan Ramon, zerstörten am 7. Juni 1981 den Reaktor Tammuz-1 oder Osirak. Alle diese Länder begründen ihre Aufrüstung mehr oder weniger mit dem Hinweis auf die Atommacht Israel, die Zerstörung des Reaktors Osirak weist auch darauf hin, dass Israel im Nahen Osten das Monopol auf Atomwaffen halten will. Dem Atomwaffensperrvertrag ist Israel niemals beigetreten.

Abschreckung und Geheimhaltung

Zusätzlich erhitzt wurde die schon lange schwelende Diskussion um Israels Nuklearpower im Sommer letzten Jahres durch einen Artikel in der israelischen Tageszeitung Ha'aretz. Ze'ev Schiff, der bekannte Miltärfachmann, behauptete darin, dass - Geheimdienstquellen zufolge - Israel dazu bereit sei, mit einem atomaren Gegenschlag auf einen Angriff seitens des Iraks zu reagieren, sollte der irakische Angriff Israel "ernsthafte Schäden" zufügen.

Reaktorkuppel von Dimona. Bild: Mordechai Vanunu

In der arabische Presse gab es wütende Aufschreie; nüchterne Beobachter sahen in dem Artikel allerdings ein geschicktes journalistisches Manöver im Sinne der israelischen Regierung. Hätte Sharon selbst diese Warnung ausgesprochen, hätte er zum einen ein langjähriges Tabu gebrochen und andrerseits die Nahost-Politik seines Freundes Bush gestört. Weil die "Message" aber von einem ernstzunehmenden Journalisten verbreitet wurde, entsprach sie vollkommen den beiden essentiellen Vorgaben der israelischen Atomwaffenpolitik: Abschreckung und zugleich Geheimhaltung.

Man wolle auf keinen Fall die erste Atommacht im Nahen Osten sein, lautete lange Zeit die offizielle Vorgabe. Man wollte die arabischen Nachbarn nicht provozieren und dazu anregen, ihrerseits an Atomwaffen zu entwickeln. Außerdem befürchtete man eine präventiven Anschlag auf das Nuklearanlage in Dimona, die mit französischer und südafrikanischer Hilfe gebaut wurde. Keiner der israelischen Politiker durfte öffentlich in irgendeiner Weise bestätigen, was amerikanische Aufklärungsflugzeuge 1960 entdeckten, nämlich dass die Anlagen bei Dimona zur Aufbereitung waffenfähigen Urans taugten, Israel also dabei war, sich ein nukleares Arsenal zuzulegen.

Amerikanische Experten inspizierten daraufhin Dimona sieben Mal in den sechziger Jahren, gewannen aber kein klares Bild über die Aktivitäten in Dimona, keine Beweise, ob Israel an der Bombe arbeitete. Dimona ist seitdem eine geschlossene Anlage geblieben und wurde niemals internationalen Inspektionen der IAEA geöffnet.

US-Politik: Lieber Wegschauen

Israel hatte seine Arbeit gut getarnt und später wollten die USA gar nicht mehr genau hinschauen. Walwort Barbour, der in den für das Nuklearprogramm entscheidenden Jahren 1961 -1973 der amerikanische Botschafter in Israel war, sagte später, dass sein Job in erster Linie darin bestand, den Präsidenten nicht mit der Frage zu konfrontieren, ob Israel die Bombe habe:

Der Präsident schickte mich nicht hierher, um ihm Probleme zu bereiten. Er will keine schlechten Nachrichten hören.

1968 machte allerdings ein CIA-Bericht klar, dass Israel mit Erfolg angefangen hatte, Atomwaffen herzustellen. Welche Waffen und wie viel Israel produziert hatte, wusste man aber nicht - bis heute gibt es darüber nur Schätzungen; zwar gilt das israelische Nuklear-Arsenal als das größte außerhalb der fünf offiziell anerkannten Atomwaffenstaaten, aber die Zahlen differieren zwischen 200 und 400 geschätzten atomaren Sprengköpfe.

Offizielles Thema der Sicherheitspolitik im Nahen Osten wurde das atomare Potenzial Israels jedoch nie. Seit Golda Meirs Regierung gibt es eine informelle diplomatische Absprache zwischen den amerikanischen Präsidenten und den israelischen Regierungschefs: Israel verpflichtet sich dazu, dass es niemals öffentlich erklärt, über Atomwaffen zu verfügen; im Gegenzug dazu wird Israel von amerikanischer Seite nicht dazu gezwungen, dem Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichen.

Dieses Schweige-Abkommen, dass Golda Meir mit Nixon aushandelte, ist in modifizierter Form von Clinton bestätigt worden. Clinton ging weiter als seine Vorgänger und bestätigte öffentlich, dass Israel über "Abschreckungswaffen" verfüge, wollte aber nicht weiter ins Detail gehen. Es heißt, dass sowohl Netanyahu wie Barak Briefe von Clinton in ihrer Ministerpräsidentenschublade hatten, in denen er ihnen versicherte, dass Israels Atomsprengköpfe keinesfalls Gegenstand von Friedensverhandlungen sein werden.

Welchen Wert Israel auf die Geheimhaltung seiner atomaren Waffen legt, dokumentiert zum einen der Fall Avner Cohen, der mit der Veröffentlichung seines Buches "Israel and the Bomb" 1998, indem er die Geschichte des israelischen nuklearen Waffenprogramms detailliert beschreibt (siehe auch: The bomb that never is), für internationales Aufsehen und einem ungeheuerlichen Skandal in Israel sorgte und zum anderen der Fall Mordechai Vanunu. Der ehemalige Mitarbeiter in Dimona hatte Anfang der achtziger Jahre Fotos von der Anlage und Beschreibungen der dortigen Aktivitäten an die Londoner Times weiter gegeben und wurde, nachdem er vom Mossad gekidnappt wurde, 1986 zu 18 Jahren Einzelhaft verurteilt.

Dort sitzt er noch immer - bis zum nächsten Jahr. Es sei denn, die Norweger, die ihn für den diesjährigen Friedensnobelpreis vorgeschlagen haben, sind erfolgreich, sogar so erfolgreich, dass Vanunu den Preis bekommt. Vielleicht hat die israelische Justiz dann ein Einsehen.

Kurzkommentar von Florian Rötzer:

Ein Fahrplan zur Lösung der Krise im Nahen Osten wird sich, wenn es auch um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen geht, nicht allein auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina richten können, sondern auch auf den israelischen Besitz von Atomwaffen. Solange darüber nicht offen geredet wird, werden die Anrainerstaaten auch aus Abschreckungsgründen wie der Iran und auch der Irak gleichfalls immer wieder versucht sein, Atomwaffen in ihren Besitz zu bringen. Und ohne darüber zu sprechen, wird man keiner US-Regierung in der arabischen Welt glauben, ernsthaft an einer friedlichen Lösung des Nahost-Konflikts oder gar an einer Abrüstungspolitik interessiert zu sein, wie das jetzt angeblich das wichtigste Anliegen gegenüber dem Irak sein soll.

Der US-Regierung bliebe der Makel erhalten, in dieser Hinsicht ähnlich wie in dem von Sicherheitsresolutionen mit einem doppelten Maßstab gegenüber Israel und den arabischen Ländern zu arbeiten. Problematisch ist diese von den USA und anderen Ländern gedeckte atomare Abschreckungspolitik auch deswegen, weil sie direkt mit dem geplanten Irak-Krieg zusammenhängt. Nicht nur weil die Situation im Nahen Osten auch durch den israelischen Besitz von Atomwaffen geprägt, sondern auch weil Hussein versuchen könnte, Israel im Falle eines Angriffs wiederum mit Scud-Raketen anzugreifen und zu einem atomaren Gegenschlag zu provozieren. Zwar scheinen die US-Truppen mit allen Mitteln dies zu verhindern zu wollen, indem sie beispielsweise jetzt auch erstmals wieder mit B-1-Bombern irakische Stellungen in den Flugverbotszonen bombardieren. Hier hat der Krieg eigentlich schon begonnen, gelegentlich gibt es an einem Tag bereits 1000 Starts von Kampfbombern, die meist nur Kontrollflüge unternehmen, immer mehr aber auch den Krieg durch Bombardements vorbereiten, während angeblich noch um eine Resolution oder gar eine friedliche Verlösung verhandelt wird.