Die McKinsey-Gesellschaft

Das ökonomische Programm der Effizienzsteigerung hat bereits alle Bereiche der Gesellschaft erfasst

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Accenture, Roland Berger, Bain, Booz Allen Hamilton, Price Waterhouse, Oliver Wyman & Company, The Boston Consulting Group, A.T. Kearney - der Markt ist voll mit Consulting Unternehmen, die bald nicht mehr weg zu denken sein werden aus unserem Alltag. Bereits jetzt prägen sie ihn durch ihre Informationsüberlegenheit und durch ihre Definitionsmacht über Lifestyle-Modelle. Allen voran McKinsey & Company, die 1926 gegründet wurde.

Los Angeles im Jahre 2019. Von der himmelhoch aufragenden, an die Bauten der Mayas erinnernden Pyramide der Tyrell Corporation tropft saurer Regen auf amorphe Menschenmassen hinab. Ein Anblick, das als Sinnbild herhalten kann für die dritte Phase des Kapitalismus: Der allumfassende Eroberungsfeldzug scheint abgeschlossen. Fraglich scheint nur noch, wie die Diktatur der Ökonomie die Welt neu programmiert.

Jedenfalls hat korporatives Kapital längst die Eingeweide der Gesellschaft vollständig durchdrungen, es dominiert sogar den Kern der menschlichen Fantasie: Nichts mehr gehört dem Menschen allein, sogar seine Erinnerungen sind von der Tyrell Corporation künstlich in das Bewusstsein implantiert worden. Was von Philip K. Dick als Science Fiction-Dystopie entworfen wurde, hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts erschreckend konkrete Konturen angenommen. Wenn man Dirk Kurbjuweits gerade erschienenes Buch "Unser effizientes Leben" liest, erhält man den Eindruck, dass das Blade Runner-Dasein bereits Realität geworden ist. Allerdings ist Kurbjuweits Leitmetapher nicht der Androide, sondern der McKinsey-Mensch. Ein Prototyp, der in Anlehnung an die weltweit führende Consulting Agentur benannt ist.

Das Unternehmen, das Effizienz zum obersten Prinzip erhoben hat und mit dieser Losung praktisch der halben Weltwirtschaft beratend zur Seite steht, begreift, so Kurbjuweits alarmierende Ausgangsbeobachtung, nicht mehr nur den ökonomischen Sektor als seine primäre Kampfzone. Längst hat es sich daran gemacht alle anderen gesellschaftlichen Gebiete zu erschließen: die Kultur, die Kirche, die Stadt, die Politik, die Bildung und nicht zuletzt die Forschung.

Das will der Autor jedenfalls als die wesentliche Entwicklung der letzten 10 Jahre ausgemacht haben. Denn solange verfolgt er die im Volksmund auch als "Sekte" titulierte Unternehmensgruppe. Bereits in den 1990er Jahren war er auf McKinsey aufmerksam geworden, traf den damaligen Chef, interviewte zahlreiche Mitarbeiter und gewann somit Einblick in die Arbeitsweise und Ideologie der Firma. Er lernte aber auch die Wirkung von McKinsey kennen. Besonders eindrucksvoll ist die Schilderung einer viel sagenden Verwechselung: Eine Verlagsangestellte, die vielleicht wegen der schwarzen, eleganten Kleidung des Autors plötzlich unaufgefordert anfängt, ihren Arbeitsplatz zu verteidigen und nervös Argumente gegen ihre Entlassung aufbietet, bis ihr Chef das Zwiegespräch mit den Worten unterbricht: Der Mann ist doch gar kein Mitarbeiter von McKinsey.

McKinseys Optimierungsprogramm der Straffungen, Rationalisierungen und der Gewinnmaximierung, kurz: Das Programm der Effizienzsteigerung hat psycho-soziale Folgen. Unter der impliziten Forderung, die Masse solle die Elite als Leistungsmaßstab verwenden, entsteht nicht nur eine vermeintlich "athletische Gesellschaft", sondern auch ein Konkurrenzdruck, der viele Menschen deutlich überfordert. Sie werden von McKinsey programmatisch "gebrochen", um flexibel zu werden. Hier deutet sich ein Paradoxon an:

"In fast jedem Einzelfall lassen sich gute Gründe für Effizienz und ökonomisches Verhalten finden, in der Summe kommt eine Gesellschaft dabei heraus, die nicht lebenswert ist."

Das Produkt nennt Kurbjuweit die "McKinsey-Gesellschaft". Ein Begriff, mit dem er eine Topografie skizziert, in der nicht mehr allein zählt, wo die Consulting Firma waltet und schaltet. Nein, es geht um die Früchte der Eigendynamik, die die McKinsey-Denkschule entfaltet hat. Kurbjuweit begreift McKinsey in diesem Sinne als eine Metapher für einen allumfassenden Wandel in der Gesellschaft, den der Philosoph Joachim Koch mal wie folgt auf den Punkt brachte:

"Im Mittelalter prägte die Kirche Denken und Verhalten, seit der Aufklärung galt die Vernunft als Maßstab allen Handelns. Heute spielt diese Rolle die Ökonomie: Sie prägt unsere Vorstellungen von Glück, Liebe und Lebenssinn."

Bleiben da noch Auswege und Alternativen? Diesbezüglich ist Kurbjuweit eher Skeptiker. Er beschreibt umfassend, wie die letzten, vom Effizienz-Denken unerfasst gebliebenen Bereiche von McKinsey annektiert werden. Besonders spannend nimmt sich sein Blick auf die Kirchen aus. Spätestens seit dem 2. Weltkrieg haben sie an gesellschaftlicher Relevanz eingebüßt. Seit geraumer Zeit bröckelt ihre Existenzgrundlage. Erst neulich berichtete die Süddeutsche Zeitung einmal mehr über die lähmende Finanzkrise des Erzbistums und McKinseys Rat, einen härtest möglichen Stellenabbau durchzuführen und zu verkaufen, was sich verkaufen lässt. Mit der administrativen Transformation dieses Sektors geht allerdings auch die Transformation der spirituellen Domäne in einen Dienstleistungssektor einher - vielleicht Kurbjuweits denkwürdigstes Beispiel für die "McKinsey-Gesellschaft".

Dirk Kurbjuweit: Unser effizientes Leben. Die Diktatur der Ökonomie und ihre Folgen. Rowohlt. 192 S., € 17,90.