Der Kultur-Krieg

Radio- und Fersehsender streichen Antikriegs-Songs aus dem Programm, Musiker wehren sich mit MP3s

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Die konservativen Radio-Netzwerke in den USA trommeln für den Krieg am Golf. Musiker mit anderer Anschauung laufen Gefahr, nicht mehr gespielt zu werden. Zahllose Stars reagieren darauf, indem sie ihre Protestsongs im Netz veröffentlichen.

Spearhead bietet "Bomb the world" zum Download an

Als die Dixie Chicks-Sängerin Natalie Maines bei einem Konzert in London bemerkte, sie schäme sich für die Politik ihres Präsidenten, löste sie damit in ihrer Heimat einen Proteststurm aus. Zahlreiche Radiosender erklärten, keine Platten der Country-Band mehr spielen zu wollen. Country-Fans überschütteten Radios mit wütenden Anrufen und zerstörten öffentlich die CDs der Dixie Chicks. Schließlich befasste sich sogar das Parlament von South Carolina mit der Äußerung der Sängerin. In einer gemeinsamen Resolution befanden dessen Abgeordnete, die Äußerungen der Sängerin seien unamerikanisch und bedürften einer öffentlichen Entschuldigung.

Dieser seltsame Beschluss ist nur der Höhepunkt einer Auseinandersetzung, die derzeit die gesamte US-amerikanische Kulturindustrie erfasst hat. Auf der einen Seite stehen Künstler, die sich öffentlich gegen den Krieg aussprechen. Auf der anderen konservative Mediennetzwerke, die geschickt an die patriotischen Gefühle ihrer Zuhörer und -schauer appellieren und die Bevölkerung auf Krieg einschwören. Dahinter steht nicht nur die Jagd nach hohen Einschaltquoten, sondern auch der Versuch, sich politische Unterstützung der Bush-Regierung zu sichern.

Mit wehender Fahne gegen die Wettbewerbshüter

Ein Paradebeispiel dafür ist das Clear Channel-Netzwerk. Mit mehr als 1.200 Radiostationen gehört der Sender zu den größten Rundfunkbetreibern des Landes. Nach eigenen Angaben kann Clear Channel mehr als 100 Millionen Hörer auf sich vereinen. Die Größe der Firma hat in den vergangenen Monaten vermehrt für Kritik gesorgt. Organisationen wie die Future of Music Coalition werfen Clear Channel vor, ein Monopol aufzubauen und unabhängigen Bands praktisch kein Forum mehr zu bieten. Die Kritiker haben mittlerweile auch bei zahlreichen Politikern ein offenes Ohr gefunden. So hat der demokratische Senator Russ Feingold angekündigt, Clear Channels Wachstum per Gesetz begrenzen zu wollen. (siehe dazu auch:Die unsichere Zukunft der Musik)

Interessanterweise gehört Clear Channel nun zu den lautstärksten Unterstützern der Kriegspolitik des US-Präsidenten. Im ganzen Land organisierte der Sender Demonstrationen für Amerika. Allein in Atlanta nahmen nach Angaben des Senders 25.000 Menschen an solch einer Demonstration teil. Die Website des lokalen Clear Channel-Senders zeigt die Demonstranten mit unzähligen US-Flaggen und Plakaten wie "Thank you Tony Blair" und "Give war a chance". Zahlreiche Clear Channel-Stationen beteiligen sich zudem am Dixie Chicks-Boycott. Kritiker glauben, dass Clear Channels Engagement für die Truppen am Golf nicht ganz uneigennützig ist. Sollte es zu einer Diskussion über die Monopolstellung des Netzwerks kommen, kann ein bisschen Rückenwind aus Washington sicher nicht schaden.

Zahllose Antikriegs-Downloads im Netz

Doch auch andere Radio- und Fernsehnetzwerke haben seit dem Beginn des Kriegs kritische Musik aus ihrem Programm verbannt. Vor wenigen Tagen wurde ein internes Memo von MTV Europe öffentlich, in dem der Sender seine Mitarbeiter anweist, keine Videos mehr zu spielen, die gegen den guten Geschmack verstoßen oder die Gefühle der Öffentlichkeit verletzen könnten. Dazu gehören für MTV alle Titel, die sich mit "Krieg, Soldaten, Kriegsflugzeugen, Bomben, Raketen, Riots und Aufständen, Hinrichtungen" und ähnlichem auseinandersetzen. Tabu sind deshalb beispielsweise "Miss Sarajevo" von U2 oder auch "Holy Wars" von Megadeth. Verbannt wird auch das neue Video Boom!) der Punkrock-Band System of a Down, in dem diese mit Unterstützung des Oscar-Preisträgers Michael Moore gegen den Irak-Krieg wettert.

Zahllose Musiker haben daraus die Konsequenz gezogen, ihre Meinung direkt im Netz hörbar zu machen. "Gott sei dank gibt es das Internet, da wir gegen eine Firmenkultur kämpfen, die es praktisch unmöglich macht, Protest-Songs ins Radio zu bringen", erklärte dazu kürzlich REMs Mike Mills. REM lässt Surfer im Netz per Stream in die neue Antikriegs-Single Final Straw reinschnuppern.

Zahlreiche Bands gehen sogar noch weiter und stellen komplette MP3s ihrer Protestsongs ins Netz: Der ehemalige Rage against the Machine-Frontmann Zack de la Rocha agitiert gemeinsam mit DJ Shadow gegen den March of Death, Green Day zeigt mit Life during wartime, George Michael mit The Grave, die Beastie Boys mit In a world gone mad und Spearhead mit Bomb the world Flagge.

Weitere musikalische Beiträge gegen den Krieg gibt es zudem von Lenny Kravitz, Coldcut & DJ Spooky sowie dem früher einmal als Cat Stevens bekannten Yusuf Islam.