Nordkorea, Iran, Deutschland

Das Bundespräsidialamt weist in einem Schreiben an Telepolis alle Vorwürfe weit von sich, mit der Unterstützung der rheinischen Websperren einem Zensurstaat in die Hände zu arbeiten

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Dr. Manfred Fischer hat keinen leichten Job: Ihm obliegt es, die vielen Briefe und Zuschriften so gut wie möglich zu beantworten, die bei unserem Bundespräsidenten Johannes Rau täglich ins Schloss flattern. Dabei muss er sich etwa mit auf die Verfassung pochenden "Kanzlerwanderern" oder den Befürwortern echter Vielsprachigkeit der Homepage des ranghöchsten Politikers Deutschlands herumplagen. Seit einem knappen Monat kommen nun auch noch Netzbürger dazu, die sich über den Fortbestand der Informationsfreiheit im kommenden "Deutschland-Net" sorgen. Für sie hat die wandelnde Schnittstelle des Bundespräsidenten nun einige beruhigende Worte.

"Erschrocken und enttäuscht" hatten Zensurgegner Mitte März eine Stellungnahme Raus zu den von der Bezirksregierung Düsseldorf angeordneten, heftig umstrittenen Websperrungen in Nordrhein-Westfalen aufgenommen. Derartige Maßnahmen würden "die Demokratie beschädigen", schrieb sich der Informatiker Volker Birk in einem Offenen Brief den Ärger von der Seele.

Die Heranziehung der Internet-Zugangsprovider, die letztlich nur Daten übertragen würden, zur Bekämpfung rechtsextremer Inhalte sei eine "verfassungsrechtlich mehr als bedenkliche Beschränkung der Informationsfreiheit der Bürger." Sie stelle Deutschland in eine Reihe mit ebenso verfahrenden, nicht gerade für ihr starkes Demokratieverständnis bekannte Staaten wie Iran, China, Nordkorea und weitere "alte Bekannte". Es könne nicht angehen, dass eine Regionalbehörde den Nutzern vorschreiben könne, was diese im Internet sehen dürften und was nicht.

Just am 1. April ereilte Telepolis, das den Streit um die technisch wenig sinnvollen Webblockaden (Netzsperre für Fritzchen Doof) seit langem kritisch verfolgt, nun eine ebenso offene Antwort des Bundespräsidialamts auf die Beschwerdebriefe (Brief des Bundespräsidialamts).

Mit dem Schreiben will Raus PR-Mann Fischer die "Auffassung des Herrn Bundespräsidenten" zum Thema Sperrung rechtsextremer Seiten "niederlegen". Angesichts des hochgesteckten Ziels ist es allerdings misslich, dass in dem "Verteidigungsbrief" allein die bereits in zahlreichen Pressemitteilungen und Klageschriften wiedergegebenen Auffassungen des Düsseldorfer Regierungspräsidenten und nordrhein-westfälischen Medienwächters Jürgen Büssow (SPD) wiedergegeben werden. Eine eigenständige Meinung und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den potenziellen und von Kritikern bereits in allen multimedialen Formen ausgebreiteten Folgen der heutigen Websperrungen fehlt völlig.

Es könne "keine Rede davon sein, dass mit dem Vorgehen der Bezirksregierung Düsseldorf Zensur-Zustände wie in Nordkorea oder Iran eingeführt werden sollen", heißt es in dem Brief beispielsweise. Das zeige sich schon darin, dass die Bezirksregierung zunächst alles versucht habe, "die Provider zu einer nachhaltigen freiwilligen Verbesserung der angebotenen Inhalte zu bewegen."

Das ist die gängige Argumentationsschiene Büssows. Sie lässt allerdings vollkommen offen, ob die Zugangsanbieter hierzulande oder die eigentlichen Inhalteanbieter und Host-Firmen jenseits des Atlantiks "nachhaltig" bearbeitet worden sein sollen. Nur letzteres wird von Experten als erfolgsversprechend angesehen, da sonst auch bald Briefträger und Telefonfirmen für die von ihnen übermittelten Kommunikationsformen zur Rechenschaft gezogen würden. Doch über den Kampf Büssows gegen Neonazi-Strukturen in den USA oder Kanada, wo ein weiteres Verständnis von Meinungsfreiheit herrscht als hierzulande, ist bislang nichts dokumentiert.

Statt sich mit den Ursachen des Rechtsextremismus auseinanderzusetzen und das Übel an der Wurzel zu packen, verweist auch der Schreiber des Bundespräsidenten lieber schlicht darauf, dass die vom Grundgesetz garantierte Informationsfreiheit hierzulande keineswegs schrankenlos sei und der Staat daher einzuschreiten habe. Die "großen Internet-Anbieter" - erneut stellt sich die Frage, ob damit nun die Access- oder die Content-Provider gemeint sein sollen - müssten etwas gegen den Missbrauch des Netzes tun. "Selbstdisziplinierung", so Fischers Formulierung, sei nötig.

Derlei Hinweise landen aber nur bei den Inhalte-Anbietern an der richtigen Adresse. Die von den Büssowschen Sperrungsverfügungen betroffenen Zugangsanbieter sehen sich dagegen in internationalen Selbstregulierungsgremien schon nach Kräften engagiert und als die falschen Ansprechpartner in reinen Inhaltsfragen.

Sackgasse

Das Schreiben aus dem Hause Raus belegt damit einmal mehr, dass die Debatte um Website-Sperrungen in einer Sackgasse angelangt ist und beide Seiten seit über einem Jahr mit den immer gleichen, höchstens variierten Argumenten aneinander gnadenlos vorbei reden. Die Äußerungen von Rechtsexperten, Konferenzen und Gegenkonferenzen, Demos und Bundestagsdebatten haben bisher nicht einmal dazu geführt, dass die beiden Seiten über das Thema in eine "geglückte", von rein sachlichem Verständnis geprägte Kommunikation eingestiegen sind. Ganz zu schweigen davon, dass sich eine von beiden Seiten getragene Einigung abzeichnen würde. Stattdessen bieten die unzähligen in dem Rechtsstreit bislang abgesonderten Stellungnahmen eine Fundgrube für Psychologen für Forschungen im Bereich pathologischer Kommunikation.

Ginge es nur um die zwei einzelnen Nazi-Seiten, die nach einer taktischen Streichung der mit teilweise unappetitlichen Bildern aufwartenden Seite rotten.com von Büssows erster Schwarzen Liste übrig geblieben sind, hätte das ganze Hin und Her längst schizophrene Züge angenommen. Vertreter der für eine weit gehende Informationsfreiheit eintretenden Nutzerfraktion haben jedoch bereits ausführlich dargelegt, dass es dabei nicht bleiben wird.

Imageschäden für den Internet-Standort Deutschlands sind jedenfalls schon heute zu verzeichnen: So schneidet die Bundesrepublik etwa im aktuellen Netz-Monitor des World Economic Forums bei den Punkten Netzregulierung und Informationsfreiheit ähnlich schlecht ab wie China oder Singapur. Chinas Netz-Zensoren verweisen sogar inzwischen auf die längst "fortschrittlicheren" Vorbilder im tiefen Westen. Zudem öffnet das von Rau befürwortete Vorgehen Büssows bislang nur eine neue "digitale Kluft" zwischen Losern, die an einer DNS-Sperre scheitern, und Power-Usern, die sich mit Hilfsmitteln wie anonymen Webproxies oder allerlei anderen Hackerwerkzeugen zum Umgehen von Webzensur frei durchs Netz bewegen.

Der Fall Büssow ist damit zu wichtig, um ihn allein Richtern zu überlassen, die im Zweifelsfall - genauso wie Raus Öffentlichkeitsarbeiter - nur auf das gute "Briefing" der Düsseldorfer Bezirksregierung zurückgreifen (1:0 für Büssow ?). Die Nutzer selbst sind weiter gefragt, sich in den Streit mit ihren Briefen, Forumsbeiträgen und anderen Aktionen einzubringen. Die "Antwort" aus dem Bundespräsidialamt beweist hier zumindest, dass die Stimmen wahrgenommen werden. Und auch den eher auf Bundes- als auf Landesebene zu findenden "Netzpolitikern" bleibt wenig anderes übrig, als bei ihren Kollegen und Genossen weiter Aufklärungsarbeit rund um ein globales Kommunikationsmedium zu betreiben.